Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (14) – Das Amt Ritzebüttel

Das Hamburger Amt Ritzebüttel – ein postgeschichtlicher Überblick von 1799 bis 1867.

Die beiden netten Damen, die im Museum des heutigen „Bürgerschlosses“ arbeiten, haben auf ihren Heimatort Ritzebüttel verständlicherweise eine ganz andere Sicht als wir Hamburger, die – mitten in der Corona-Zeit im April 2021 – dort einen Besuchstermin bekamen. „Ritzebüttel ist die Keimzelle und das [geistige] Zentrum von Cuxhaven“, einer lebendigen, modernen Stadt an der Mündung der Elbe, die sich heute als Zentrum einer touristischen Region versteht, mit Badestränden, Schiffstouren zu Seehundsbänken, Wattfahrten nach Neuwerk und dem Ausgangspunkt der Schiffsverbindung nach Helgoland.

Das Ritzebütteler Schloss war vor 500 Jahre kein „Schloss“ in dem Sinne, wie wir es heute vielleicht verstehen, es war eher das Zentrum einer Wehranlage, mit einem anständigen Burggraben und Kanonen auf den Wällen, bereit, Hamburger Interessen gegen allerlei Begehrlichkeiten fremder Mächte (z.B. der Engländer oder der Dänen) zu verteidigen.

Heute heißt es „Bürgerschloss Ritzebüttel“, und dort finden Veranstaltungen wie Tagungen oder Kunstausstellungen statt, man kann dort auch heiraten oder eine andere Familienfeier veranstalten. Der „museale“ Bereich ist klein, im Grunde besteht er aus dem Gebäude selbst, das in seiner äußeren Form seit über 300 Jahren unverändert ist; das aufwändig restaurierte Innere beherbergt nur wenige Artefakte aus der Zeit der Hamburger Amtmänner, die dort immerhin fast 500 Jahre lang das Sagen hatten.

Das Amt Ritzebüttel wurde bereits im 14.Jahrhundert eine Hamburger Exklave und blieb dies bis zum „Groß-Hamburg-Gesetz“ aus dem Jahre 1937, als Hamburg dieses Gebiet mit „umliegenden“ Stadtteilen wie Altona und Wandsbek tauschte. Welche strategische Bedeutung dieser Außenposten an der Elbmündung für Hamburg hatte, habe ich schon in meinem Artikel „Aspekte…(9) – Der elektromagnetische Telegraph und das preußisch-österreichische Seegeschwader“ beschrieben. Welche postalischen Spuren Ritzebüttel hinterlassen hat, möchte ich gern hier aufzeigen.

Die Hamburger Amtmänner – eine Gedenktafel mit allen jemals tätigen Herren hängt im Museum – waren „kleine Könige“.  Sie konnten und mussten alle Entscheidungen für die Stadt Hamburg allein treffen; dazu gehörte die Überwachung der Wehrhaftigkeit der Schlossanlage, die Rechtsprechung (bis zur Einführung der Gewaltenteilung im Jahre 1864), die Beobachtung und Überwachung des Schiffsverkehrs u.a. Es waren Senatoren oder hochgestellte Persönlichkeiten der Hamburger Politik, die das Amt meist für sechs Jahre ausübten, und die sich praktisch in der „Diaspora“ ihre Meriten verdienen sollten. Viele Namen Ritzebütteler Amtmänner finden wir später als Bürgermeister von Hamburg wieder.

Eine Postverbindung nach Hamburg bestand alten Quellen zufolge seit ca. 1740. Eine Reise nach Hamburg dauerte 3 Tage, die reitende Post war sicherlich schneller; erst ab 1848 gab es eine Telegraphenverbindung. Meine frühesten Briefe aus Ritzebüttel stammen aus der Zeit 1799-1800. Einen Poststempel gab es nicht, der Aufgabeort wurde handschriftlich notiert.

 

Bei dem rechts gezeigten Brief handelt es sich um Schreiben des damaligen Amtmannes Johann Arnold Heise („J.A.Heise“) an den „Hochwohlgeborenen Herrn Syndikus“ der Stadt Hamburg. J.A.Heise war von 1794 bis 1803 Amtmann in Ritzebüttel, später, ab 1807, Hamburger Bürgermeister.

Auch aus den ersten Jahren des 19.Jahrhunderts sind philatelistische Spuren selten. Erhalten gebliebene Dokumente haben meist militärischen Inhalt. In dem nachfolgend gezeigten Schreiben aus „Cuxhaven, den 31. Januar 1810“ fordert der Kommandant des „Königlich Westphälischen Artillerie-Regiments“ fünfzig Arbeiter aus Neuhaus an, die bei den Arbeiten an den Befestigungsanlagen helfen mussten.

Nach der Besetzung durch die Franzosen und der Errichtung des Départements „Bouches d`Elbe“ wurde am 1.Oktober 1810 ein französisches Postamt eröffnet. Der zweizeilige Departementstempel „128/RITZBÜTTEL“ war in Gebrauch. Die Militärbriefe waren natürlich portofrei; es musste aber der Vermerk „Service Militaire“ und ein entsprechender Franchise-Vermerk angebracht werden:

Und noch ein Brief aus der „Franzosenzeit“: Ovalstempel COMMANDEMENT DE RITZEBÜTTEL ET CUXHAVEN. Die beiden Ortsbezeichnungen wurden nebeneinander gebraucht, obwohl der Zusammenschluss der Ortsteile offiziell erst im Jahre 1872 erfolgte.

Ende der 1820er Jahre kam ein zweizeiliger Stempel in Gebrauch, der in zwei unterschiedlichen Längen (43 und 52mm Länge) bekannt ist. Ob diese Stempel nebeneinander gebraucht wurden, oder ob der „kleine“ Stempel praktisch als „Reservestempel“ später wieder benutzt wurde, ist mir nicht bekannt. Zwischendurch gab es dann auch eine handschriftliche Entwertung, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen – die zeitliche Abfolge ist interessant:

Dieser Brief datiert aus dem Jahr 1842 und zeigt einen Langstempel RITZEBÜTTEL mit zusätzlicher handschriftlicher Datumsaufgabe und lief über das hannoversche Otterndorf nach Oldenburg. Geschrieben wurde der Brief in „Altenwalde“, einer Ortschaft, die auf hannoverschem Territorium liegt, praktisch an der Grenze zum hamburgischen Amt Ritzebüttel (s. die Übersichtskarte oben). In Ritzebüttel gab es zu der Zeit noch kein hannoversches Postamt, aber der Hamburger Postamtmann Oelkers hat sicher auch die hannoverschen Interessen mit vertreten … Eine spannende Geschichte, und auch wenn der Brief sein Alter zeigt, ist er es sicher wert, hier gezeigt zu werden.

Cholerastempel

Jetzt haben Sie schon einige der Hamburger Amtmänner kennengelernt, zumindest als Absender einiger Dienstbriefe… Eine ihrer wichtigen Aufgaben war es auch, Post von Schiffen, die aus Seuchengebieten kamen, zu desinfizieren. Um dies amtlich zu bestätigen, hatten die Amtmänner spezielle „Quarantäne-Siegel“, die personalisiert waren.  Ein paar Beispiele:

Dies ist der einzig mir bekannte Brief, der die Desinfizierung von aus Hamburg ausgehender Post belegt. Im Cholerajahr 1831 von Bremen vermutlich über die hannoversche Postroute nach Ritzebüttel gelaufen, dort vom Amtmann Hartung behandelt. Die Choleraschlitze und die Bräunung vom Essigwasser sind erst bei der zweiten Desinfizierung in Queensborough entstanden.

Was denn nun – „Ritzebüttel“ oder „Cuxhaven“ (?), so könnte man fragen. Beide Ortsbezeichnungen wurden ja nebeneinander verwendet. „Ritzebüttel“ stand für den

Verwaltungsbezirk, „Cuxhaven“ war nur das Hafengebiet. Im Jahre 1841 gab es eine neue Vereinbarung zur Postverbindung zwischen Großbritannien und dem Hamburger Stadtpostamt, und wenn die Tarife „angepasst“ wurden, bedeutete dies nicht wie heute eine automatische Verteuerung – das Gegenteil war der Fall. Das Postaufkommen stieg, und die Tarife wurden gesenkt. Auch Bremen profitierte davon und konnte nach London bestimmte Post über die – von Hannover betriebene – Postroute Bremen-Cuxhaven transportieren. Eine lesenswerte Beschreibung der alten Postroute finden Sie z.B. auf wikipedia . Heute kann man auf dem weitgehend wiederhergestellten Postweg sehr gut mit dem Fahrrad unterwegs sein. Für die Abfertigungsstelle in Cuxhaven gab es einen speziellen Stempel:

Dieser einzeilige Stempel ist nicht häufig. Ich habe ihn nur auf Post aus Bremen gefunden und vermute, dass die von dort kommende Post (die ja eine „hannöversche“ war) gleich zur Abfertigungsstelle am Hafen ging. Die Leitung der Poststelle hatte Postmeister J.W.Oelkers [er war der zweite „Oelkers“ aus der Postmeister-Dynastie der Oelkers, die die Postmeister-Stelle über 80 Jahre lang fast ununterbrochen innehatte], den wir auch auf nachfolgendem Postschein finden – der Vordruck ist hier wieder „Ritzebüttel…Hamburgisches Post=Comptoir“ – die „Multitask-Fähigkeit“ der Postmeister unter Beweis stellend…:

Ab dem Jahre 1854 kam der Einkreisstempel in Gebrauch.

In der Form anderer Hamburger Vorortsstempel wurde ab 1850 (?) dieser kleine Rahmenstempel benutzt:

Dieser Stempel soll bis zum Jahre 1867 in Gebrauch gewesen sein. Es ist selten, und ich habe ihn auf ganzen Belegen sonst nur nachverwendet, also aus der Zeit nach 1867, gesehen.

Das Porto von Hamburg nach Ritzebüttel betrug 2 Schilling, in umgekehrter Richtung natürlich ebenso. Ab 1859 wurde mit Marken frankiert und neben dem oben gezeigten Einkreisstempel kommt jetzt der „Ritzebütteler Wellenstempel“ zum Einsatz. Eine Besonderheit dieses Wellenstempels ist, dass er meist als Vorausentwertung diente, einem Mittel der „Postautomatisation“, das Hannover an vielen Orten einsetzte, eben auch in Ritzebüttel (siehe unten!). Die Hamburger haben sich das garantiert abgeguckt, denn andere Vorausentwertungen von Hamburg gibt es nicht.

Die „Schuchmacher“-Korrespondenz. Fräulein Elise wohnte an der Alster, Herr Otto Schuchmacher in Ritzebüttel. Aus dieser Korrespondenz sind zum Glück einige Belege erhalten geblieben.

„Zwischendurch“ ein Brief nach Groden. Wie Sie auf den Landkartenausschnitten oben sehen können, liegt Groden im Amtsbezirk von Ritzebüttel, also auf Hamburger Gebiet. Briefe dorthin liefen folglich über das Hamburger Stadtpostamt und wurden mit Hamburger Marken frankiert (während z.B. ein Brief in das nur 5km entfernte Altenbruch beim Hannoverschen Postamt in Hamburg hätte aufgegeben werden müssen!). Groden hatte im Jahre 1866 kein eigenes Postamt, der Brief ging nach Ritzebüttel und wurde von dort zum Empfänger befördert.

Dieser Brief wurde zu der Zeit, als Hannover bereits von Preußen annektiert war, in Hamburg in den Briefkasten geworfen. Das Stadtpostamt übergab ihn dem preußischen Postamt, das den Doppelkreisstempel danebensetzt und die Beförderung nach Altenbruch vornahm. Das Porto wäre korrekt 1 Silbergroschen oder 1 1/3 Hamburger Schillinge gewesen; eine 1 1/3 Sch.-Marke gab es aber nicht und der Absender hat dann zur 1 1/4 Schilling-Marke noch 2x 1/2 Schilling dazugeklebt. Interessant ist auch der vorderseitige – gestrichene – Vermerk „durch Güte“. Vermutlich hatte der Absender gehofft, einen (preiswerten) Spediteur zu finden …

Nachtaxiert wurden „3/4“ (Sgr. = 1 Schilling). Die „8 pfg.) Bestellgeld war eine Erfindung des hannoverschen Postmeisters Oelckers, über den es viele Klagen gab. Hamburg hat nie Bestellgeld erhoben.

 Welche Postwertzeichen-Wertstufen waren in Ritzebüttel am Postschalter zu haben? Ich kann Ihnen nur Frankaturen mit der 1/2, der 1 und 2 Schilling-Marke vorstellen, von der Wertstufe zu 4 Schilling kenne ich nur eine lose Marke. Auch die 2-Schilling-Ganzsachen hat es gegeben, und zwar mit und ohne Wasserzeichen. Beide Sorten wurden nebeneinander verwendet,

Seit dem 1.Januar 1852 bestand in Ritzebüttel neben der Hamburger Post auch eine Hannöversche Postexpedition. Diese wurde vom Hamburger Postbeamten mit verwaltet. Die offizielle Bekanntgabe erfolgte in Hannover am 30.Dezember 1851:

1852 – Hannover hatte ja schon Briefmarken verausgabt… 

Die mit Hannover-Marken frankierte Post ging auch in andere Postgebiete:

Die „Zuständigkeiten“ der Hamburger und der Hannoverschen Post vermischten sich ganz offensichtlich. Für die Post nach London wäre das Hamburger Stadtpostamt zuständig gewesen. Der links gezeigte Brief wurde in „Cuxhaven“ – in englischer Sprache – geschrieben und ging  direkt aufs Schiff. Frankiert mit einer vorausentwerteten 1/10 Thaler-Marke von Hannover!

Das Hannoversche Postamt war eigentlich auch nicht zuständig für Post ins Thurn & Taxis`sche Postgebiet oder nach Preußen (2. und 3.Brief). Wie dies gehandhabt wurde oder wie eine Gebührenverrechnung stattfand, weiß ich nicht. Beide Briefe haben rückseitig keine Stempel des hamburgischen TT- bzw. preußischen Postamtes, sind also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht über Hamburg gelaufen.

Vorausentwertungen waren in Ritzebüttel an der Tagesordnung. Aber auch der Einkreisstempel fand Verwendung. Ein paar Beispiele für Post in das „richtige“ Postgebiet:

Ein seltener Taxstempel. Die Vortaxe eines inländischen Portobriefes, die 1,5 Groschen bedeutete und vom Empfänger zu zahlen war:

Als Hannover durch Preußen besetzt wurde, ging auch das Postwesen am 1.10.1866 in preußische Hände über. Folglich wurden auch im Amt Ritzebüttel preußische Marken verwendet. Belege aus dem kurzem Zeitraum bis Ende 1867 sind selten. Gewisse leichte Qualitätseinschränkungen muss man wohl tolerieren.

Mit dem 31.12.1867 endete nicht nur die preußische Post in der hannöverschen Abteilung des Hamburger Amtes Ritzebüttel, sondern ebenso die Hamburger Post. Einige Stempel wurden weiterverwendet, wir finden sie auf Marken des Norddeutschen Postbezirks und des Deutschen Reiches, und es gibt dort viel Seltenes. Doch das soll ein späteres Thema sein.