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Mysterium „Michel“ – oder: Die Bibel der Sammler ?

Glauben Sie nicht alles, was im „Michel“ steht…

Neulich sagte ein alter Freund zu mir: „Du musst Dir mal einen neuen „Michel“-Katalog kaufen, die Preise in Deinem Katalog sind ja hoffnungslos veraltet“. Nun, ich hatte gerade meinen Deutschland-Band 2 aus dem Jahre 2017 aufgeschlagen, und es ging um ungezähnte Ausgaben der Bundesrepublik aus den 1960er Jahren. Ganz konkret ging es um den „Geschnittenen Bismarck“, die Katalognummer 463 U; diese hochgeschätzte Marke notiert nämlich im Katalog vor 7 Jahren mit dem stolzen Betrag von 1000 Euro, im Jahre 2024 ist der Preis halbiert, auf 500 Euro. „Dafür muss es doch plausible Gründe geben“, dachte ich mir. Eine Rückfrage beim zuständigen Verbandsprüfer, wie viele Exemplare sein Prüfbüro denn in den letzten 30 Jahren vorgelegt bekommen hätte, ergab die ernüchternde Zahl „gerade mal ein halbes Dutzend“.

Die Angelegenheit ließ mir keine Ruhe und ich verglich nun einige andere Preise ungezähnter Marken der Bundesrepublik aus den 1960er Jahren. Und siehe da, unser alter Bismarck war nicht das einzige Opfer des Michel-Kahlschlages.

Noch stärker „gerupft“ wurden z.B. die Europamarke aus dem Jahre 1964 (Mi.Nr. 446U), die von 600 auf 250 Euro mehr als halbiert wurde und auch die wunderschöne Sondermarke zum 125jährigen Jubiläum der Briefmarke (Mi.Nr.482 U), bei der die Sense von 850 Euro auf nunmehr 400 Euro niederging. Beide Stücke sehen Sie oben.

Der Markt sagt uns etwas anderes:

Jüngst sah ich zwei Ergebnisse auf Auktionen, die doch recht bemerkenswert waren.

Dieses Paar (die linke Marke rechts ungezähnt, die rechte Marke völlig ungezähnt) erzielte auf einer Auktion in Düsseldorf im Juni 2024 den stolzen Preis von 1500 Euro (+ Aufgelder), der „Michel“-Wert für zwei Einzelstücke: 900 (Neunhundert) Euro.

 

Und bei diesem „Geschnittenen Bismarck“ fiel der Auktionshammer auf einer Auktion in Hamburg, Anfang Juli 2024,  bei 1000 Euro (+ Aufgeld), „Michel“-Wert – s.o. – 500 (Fünfhundert) Euro.

Das Katalogwerk des „Michel“-Kataloges ist sicher eines der besten weltweit. Die „eigenen Recherchen und die umfassende Marktbeobachtung“ bei der Preisgestaltung, die, wie die Redaktion stets in ihren Vorworten betont, ausschlaggebend sind, müssten bei den oben genannten Ausgaben allerdings zu anderen Resultaten führen!

 

 

Wer kennt heute noch Paul Voigt?

So sehen Sie aus, die ersten deutschen Fotoessays:

Ich hatte kürzlich Gelegenheit, diese einmalige Serie persönlich in die Hand zu nehmen. Nach den Brustschildmarken, die ja 1872 noch in Gulden- und Kreuzerwährung erschienen waren und den ersten „Pfennige“/“Pfennig“-Ausgaben aus den Jahren 1875/79, sollte im Jahre 1890 eine Markenausgabe in einem neuen Design erscheinen. Der jüngste Graphikdesigner der Reichsdruckerei wurde beauftragt. Sein Name: Paul Voigt. Die Reichsdruckerei war gerade einmal zwei Jahre alt, als er dort seine Ausbildung begann. 25 Jahre später war er der Chef der Gravierabteilung der Reichsdruckerei. Er wurde zu einem der Größten seiner Zunft im Deutschen Kaiserreich.

Diese Serie seiner Entwürfe aus dem Jahre 1889 – alle im gleichen Format der später erschienenen Marken –  ist erhalten geblieben. Paul Voigt hat sie Anfang der 1890er Jahre verschenkt. Sie tauchten dann in den 1980er Jahren erstmals wieder auf, nachdem man schon geglaubt hatte, dass sie in den Kriegswirren verschollen waren.

Zu Paul Voigts 25jährigem Dienstjubiläum hatte sich die Kollegen aus der Gravierabteilung „einen Spaß gemacht“ und dem Jubilar dieses kleine Dokument im Stil einer Banknote geschenkt. Briefmarken waren für die damaligen Graveure ein „Nebenprodukt“, andere Aufträge wie die Gravur von Banknoten, Ex Libris etc. nahmen einen viel größeren Umfang ein. Hier das Ex Libris von Paul Voigt:

Die berühmte „Krone/Adler“-Ausgabe des Deutschen Reiches wird heute von vielen Philatelisten „spezial“ gesammelt. Die sechs Marken erschienen in Millionenauflagen und waren über 10 Jahre lang die einzigen im gesamten deutschen Kaiserreich verwendeten Briefmarken. Wer aber kennt heute noch Paul Voigt?

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (25) – Ein „neuer“ Stempel des Hannoverschen Postamtes !?

„6“ ggr.v.d.St.P.

Einen solchen Stempel hatte ich noch nie gesehen. Ein wundervoll klarer Abschlag auf einem Brief aus dem Jahre 1835 von London nach Swinemünde im damaligen Preußen, handschriftlich „6“ eingefügt. Der Brief sollte per Schiff nach Hamburg befördert werden, er zeigt auf der Rückseite den Eingang beim Stadtpostamt und vorderseitig den Abgangsstempel HAMBURG/31.AUG. des preußischen Postamtes. Die Taxierung „P 1/8“ in roter Tinte rechts oben zeigt an, dass der Brief vom Absender als Schiffsbrief freigemacht war („P(aid) 1s./8d.“). In Tinte taxiert „10 3/4“, das waren Silbergroschen, die der Empfänger zu zahlen hatte, nämlich 9 Hamburger Schilling (= ca. 6 3/4 Sgr.) plus 4 Sgr. für den preußischen Anteil.

Ein wunderbarer Brief, werden Sie sagen – alles klar, wenn da nicht der Stempel links oben wäre. „Sechs Gute Groschen von der Stadt-Post“, das hat sich ganz offensichtlich das Hannoversche Postamt vergüten lassen. Die Stempeltype weist eindeutig auf Hannover hin, und die Beschreibung im Auktionskatalog versucht zu deuten: „Vermutlich musste der Brief wegen der zu dieser Zeit grassierenden Cholera-Epidemie von Ritzebüttel über Stade (…) mit der hannoverschen Post (statt üblicherweise mit der Stadtpost) befördert werden (…)“. Das ist eine sehr „ambitionierte“ Interpretation.

Die Cholera-Epidemie grassierte vier Jahre früher, wir kennen das Jahr 1831 als DAS Seuchen-Jahr. Ich glaube daher nicht so recht an diese Erklärung. Möglich wäre immerhin, dass sich die hannoversche Post in Ritzebüttel (Cuxhaven) des Briefbeutels bemächtigt hatte, die vom Londoner Postamt an das Hamburger Stadtpostamt adressiert war. Ähnliche „Freibeuterei“ gab es oftmals mit bremischer Post, zudem wurde die Post in Ritzebüttel für Hamburg und Hannover in Personalunion abgefertigt. Den umtriebigen Postmeister Oelkers habe ich Ihnen bereits in meinen „Aspekten (14) – das Amt Ritzebüttel“ vorgestellt. Die hannoversche Post wollte eben auch am Transport verdienen und verhielt sich oft „übergriffig“. In Chr. Piefkes Werk über die Bremische Landespost werden einige solcher Begebenheiten zitiert. [1] 

Der Vergütungs-Stempel auf dem oben gezeigten Brief darf als Unikat bezeichnet werden – eine erstaunliche Entdeckung nach immerhin fast 200 Jahren! Er ist zudem, wie es in der Auktionsbeschreibung heißt „..der einzig uns bekannte Vergütungsstempel aus dem gesamten Bereich der deutschen Vorphilatelie“. Dennoch bleiben Fragen offen.

Was den Brief zudem einmalig macht, ist sein Absender – es war der berühmte Polarforscher John Ross. Adressiert ist der Brief an den britischen Generalkonsul E.A.Krause in Swinemünde. John Ross hatte im Jahre 1835 zwei Expeditionen zum Auffinden der Nordwestpassage hinter sich und hielt zu der Zeit Vorträge bei verschiedenen „Geographischen Gesellschaften“ in London, Dublin u.a. Wer mehr zu John Ross erfahren möchte, kann dies komprimiert bei Wikipedia nachlesen. Ein bemerkenswertes Denkmal setzt ihm u.a. auch Sir Michael Palin („Monty Python“)  in seinem Werk „Erebus“, in dem es um die Suche nach der Franklin-Expedition geht.[2]

Hier der vollständige Inhalt des Briefes an den Britischen Generalkonsul:

Selten trifft das Attribut „spannend“ so zu wie auf diesen Brief!

 

[1] Chr.Piefke. Geschichte der Bremischen Landespost. 1947. S.74-77 u.a.

[2] Michael Palin. EREBUS. Ein Schiff, zwei Fahrten und das weltweit größte Rätsel auf See. London, 2018.