Desinfizierte Post
Ein sehr interessantes Thema ist die Behandlung der Post in Zeiten von Seuchen. Man ging früher davon aus, dass durch das Übergeben („von Hand zu Hand“) von Briefen oder Paketen möglicherweise auch Krankheiten übertragen werden konnten und ersann daher verschiedene Möglichkeiten, Briefe und andere Postsachen zu desinfizieren. Das geschah insbesondere durch Eintauchen in Essigwasser oder durch Räuchern von Poststücken in speziellen Räucherkammern. Hierfür wurden die Briefe oftmals vorher mit Messern geschlitzt oder mit Nadeln durchstoßen, so dass der Rauch die Briefschaften sozusagen „durchströmen“ konnte.
Den Nachweis einer Desinfektion ist bei frühen Briefen nicht immer sicher zu erbringen; oftmals sind bräunliche Verfärbungen im Briefpapier, die von der Reinigung mit Essigwasser herrühren und die dann meist gehäuft in bestimmten Jahren zu finden sind , die einzigen Zeugnisse. Erst ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts wurde dann vielfach durch einen entsprechenden Stempel auf der Briefschaft die Prozedur der Desinfektion dokumentiert. Aus Hamburg kennen wir die Cuxhavener Quarantäne-Stempel, von denen ich einige schon in einem vorherigen Beitrag gezeigt habe. (www.schwanke-philatelie.de/2021/04/aspekte-zur-hamburger-postgeschichte-14-das-amt-ritzebuettel/)
Die Cuxhavener Quarantäne-Stempel sind fast immer auf Post zu finden, die von – meist – überseeischen Gebieten nach Hamburg hereinkam. Ich habe einen Brief gefunden, bei dem dieser Stempel auf ausgehender Post zu sehen ist:
Dieser Brief kam aus Bremen und wurde vermutlich über die hannoversche Postroute nach Ritzebüttel/Cuxhaven befördert und dort als ausgehende Post vom Amtmann Hartung „behandelt“. Bei der Ankunft in England hat man ihn dann noch ein zweites Mal desinfiziert, mittels Räucherschlitzen und wohl auch Essigwasser, und zwar in Queensborough.
Findet man Desinfektionsstempel auf Post aus z.B. dem Mittelmeerraum relativ häufig, so sind solche aus nordischen oder norddeutschen Ländern eher selten zu finden. Im Sommer des Jahres 1831 brach in Russland die Cholera aus und verbreitete sich rasch über den baltischen Raum nach Westen. Hamburg war stark betroffen.
Sie sehen die kleinen Löcher im Briefpapier – das sind Zeugnisse einer Desinfektion, die vermutlich in Greifswald oder Stralsund vorgenommen wurde. In dem vorzüglichen Werk von K.F. Meyer „Desinfected Mail“ wird dieser Brief beschrieben. [1] Es kommt – wie so oft – auf den Inhalt an:
Anordnung vom 17.Oktober 1831 „Choleraausbruch in Hamburg“. Auf der zweiten Seite die Auflistung der Städte, die betroffen sind, mithin also die gesamte Ostsee-Küste. Die kleinen Durchlochungen („Rastellöcher“) im Briefpapier sind gut zu sehen.
Dieser Brief aus Schweden nach Amiens wurde über das K.S.&N.P.C. (=Königlich Schwedisches & Norwegisches Postcontor) in Hamburg abgefertigt und lief über das preußische Postamt nach Frankreich (CPR4 = Correspondance Prusse 4.Rayon), wo er beim Grenzübertritt geschlitzt und geräuchert wurde. Dies ist insofern ungewöhnlich, als Post aus Skandinavien während der Cholera-Epidemie möglichst unter Umgehung Hamburgs nach Süden geleitet wurde.
Mecklenburg war sehr vorsichtig. Ein Brief aus dem hannoverschen Stade über Hamburg nach Mecklenburg. In Hamburg dem mecklenburgischen Postamt übergeben (Zweizeiler Hamburg/31.12.1831), adressiert nach „Golchen bei Brühl“. Der Brief wurde an der Grenze desinfiziert – Rastellöcher und der kleine Kreisstempel SAN.ST. mit dem Büffelkopf. Dieser Stempel ist sehr selten, ich kenne außer diesem Brief nur einen weiteren, der in den Büchern von K.F.Meyer und C. Ravasini abgebildet ist. Dazu heißt es dort: „…cholera was very much feared and the letters were destroyed.“ [2]
Aber nicht nur im Norden war man in Bezug auf die Cholera in Hamburg auf dem „Quivive“. Post aus Hamburg wurde eben auch an anderen Stellen „behandelt“. Hier kann ich einen Paketbegleitbrief zeigen, der vom hannoverschen Postamt in Hamburg abgefertigt wurde und nach Braunschweig ging:
Post nach Frankreich wurde in Hamburg vom Thurn & Taxis`schen Postamt abgefertigt. Die Behandlung gegen die Seuche fand aber meines Wissens nicht in Hamburg statt, sondern erst nach dem Grenzübergang; jedenfalls ist in der mir zugänglichen Literatur kein Hinweis zu finden, dass sich in Hamburg (mit Ausnahme der Cuxhavener Quarantäne-Station) eine „Contumaz“- oder Seuchenstation befand.
Interessant ist der Inhalt, den ich als Auszug wiedergebe:
„Die Cholera Krankheitsfälle steigen leider; von gestern bis heute, erkrankt 40, gestorben 12, genesen 6. In Summe jetzt: erkrankt 302, gestorben 133, genesen 17, bleibt Bestand 152. Man wird aber immer ruhiger, denn auch hier beurkundet es sich, dass bei vorsichtiger Lebensweise nicht viel zu fürchten, und bei gleich ärztlicher Hülfe, beim ersten Anfange, Rettung gewiß ist. Die bis jetzt Gestorbenen sind entweder solche, die prädisponiert waren, oder solche, die nach begangenen Diätfehler oder Erkältung zu spät Hülfe nachsuchten. Dergleichen leichtsinnige Leute giebt es in einer großen Stadt viele, und es ist daher kein Wunder, wenn Viele ergriffen wurden.“
Ebenfalls nach Bordeaux lief der folgende Brief
Auch hier beziehen sich Teile des Inhalts auf die Cholera:
„In Geschäften Stille, die Cholera ist hier seit mehreren Tagen sehr im Abnehmen wie aus anl. Bericht zu ersehen belieben. Wären nicht noch manche Störungen durch Absperrungen, man würde von der Krankheit nicht mehr reden, da überall nicht mehr darauf reflektiert wird.“
Es bleibt zu erforschen, warum der erste Brief nach Bordeaux Räucherschlitze aufweist, die beiden anderen jedoch „gerastelt“ wurden.
Ende Januar 1832 war in Hamburg die Cholera-Epidemie vorbei, dennoch wurde dieser Brief sogar zweimal desinfiziert – in Frankfurt a./M. und beim Grenzübertritt nach Frankreich (Rastellöcher für die „Durchräucherung“). Der Ovalstempel „Gereinigt in Frankfurt a./M.“ ist recht selten, dies hier ist, soweit mir bekannt ist, der späteste Abschlag.
In Hamburg selbst erschienen Extra-Ausgaben der Hamburgisch-Altonaischen Nachrichten zur Cholera-Epidemie, hier zwei Beispiele:
Neben den statistischen Zahlen findet man in den Innenteilen der Zeitungen auch Ratschläge, wie man sich verhalten solle. Formulierungen und „erhobene Zeigefinger“ ähneln sehr denen, die wir heute – noch unter dem Eindruck der Corona-Jahre 2020-2022 – meinen, doch alle schon einmal gehört zu haben…
[1] K.F.Meyer. Desinfected Mail, Kansas/USA, 1962. S.289
[2] Carlo Ravasini. Documenti Sanitari, Turin, o.J. S.342