Die „Postautomatisation“ macht auch vor Hamburg nicht halt: am 26.August 1864 erscheinen von fast allen Wertstufen gezähnte Versionen.
Das zunehmend höhere Postaufkommen erforderte ein schnelleres Abfertigen der Postsendungen, und die Perforation der Markenbögen erleichterte den Postbetrieb ungemein, auch wenn an das Publikum nach wie vor nur ganze Markenreihen (à 8 Stück) abgegeben werden sollten.
Wir greifen mal etwas vor auf den 4-Schilling-Wert. Hier ist ein kompletter Markenstreifen von 8 Stück zu sehen. 12 Reihen senkrecht – macht eine Bogengröße von 96 Stück.
Mit Ausnahme der Wertstufen zu 1 1/4 und 2 1/2 Schilling kamen alle Werte ab dem 26.8.1864 an die Postschalter. Die beiden „Ausnahmen“ nehmen ja schon aufgrund ihres abweichenden Druckverfahrens (Steindruck statt Buchdruck) eine Sonderstellung ein; ich habe dazu ja schon an anderer Stelle ausführlich berichtet (Aspekte (5) – Der Beginn des Deutsch-Dänischen Krieges und die postalischen Auswirkungen). Nachfolgend nun ein Ausflug zu den anderen Wertstufen, ihren Besonderheiten und Verwendungen.
Die Wertstufe zu 1/2 Schilling.
Zentrierung des Markenbildes beim Perforieren der Bögen war „Glücksache“…
Hier hatte es schon besser geklappt
Die Zähnungsmaschine arbeitete nicht immer perfekt: Ein waagerechtes Paar, bei dem die senkrechte Perforation fehlt.
Innerhalb Hamburgs betrug das Porto ab dem 1.Januar 1865 nur noch 1/2 Schilling
Ein hübscher Damenbrief nach St.Pauli
Nach Bergedorf war ab dem 15.6.1866 der Tarif ebenfalls 1/2 Schilling
Der Absender hatte von der Portoreduktion auf 1/2 Schilling vermutlich nicht gehört. Für die Nachsendung nach Lübeck wurde kein Nachporto vermerkt.
Drucksachen kosteten schon seit 1858 nur 1/2 Schilling, zumindest nach Bremen und einigen anderen Orten. Hier ein Streifband, eines von wenigen noch erhaltenen Stücken.
Mehrfachfrankatur: 1 1/2 Schilling nach Lübeck. Im Mai 1867 gab es schon die Wertstufe zu 1 1/2 Schilling. Die hatte der Absender wohl gerade nicht zur Hand.
Nicht ganz „sattelfest“ – das Porto nach Ludwigslust in Mecklenburg wäre 2 1/2 Schilling gewesen. Hier klebt also 1/2 Schilling zu viel drauf. Immerhin ist der Sechserstreifen die größte bekannte gestempelte Einheit dieser Marke.
Die 1/2 Schilling-Wertstufe wurde oft zur Ergänzung bzw. zum „Kombinieren“ gebraucht. Bei den Steindruckmarken hatte ich schon bei den Norwegen-Frankaturen (Aspekte Nr.5 – siehe oben) darauf hingewiesen. Hier kommen nun noch ein paar andere Beispiele:
4 1/2 Schilling – zumindest ungewöhnlich
Hier darf man mal spekulieren, was für eine Portostufe das werden sollte…
4 Schilling waren das Porto nach Preußen
2 1/2 Schilling nach Dänemark
3 Schilling nach Bremen – das stimmt genau
Wenn man einmal mit dem Kombinieren anfängt.. 4 Schilling wären es nach Preußen gewesen, 4 1/4 sind es am Ende geworden!
„Krumme“ Portostufen kamen häufiger vor, wie auch schon an anderer Stelle erwähnt. Die oft zitierte „preussische Sparsamkeit“, nämlich bloß nicht zu viel zu frankieren, war sicher oftmals dem Bedürfnis untergeordnet, die Briefe so schnell wie möglich zu spedieren. Und wenn mal 1/4 oder 1/2 Schilling zu viel draufgeklebt werden musste, weil eben gerade nichts „Passendes“ zur Hand war, war dies von nachrangiger Bedeutung. Man kann aber generell sagen, dass alle diese Mischfrankaturen recht selten sind.
„Eine Sammlung wird durch Abarten erst schön!“ – titelte Wolfgang Jakubek in einem Artikel des Briefmarken-Spiegels aus dem Jahre 2002 . Er stellte in dem damaligen Beitrag den Plattenfehler „Basis des zweiten „l“ in „Schilling“ verkürzt“ auf der 3-Schilling-Marke gezähnt (Mi.Nr.15) vor. Obwohl dieser Fehler schon seit weit über 100 Jahren (nämlich seit 1892) literaturbekannt war, hatte der Michel-Katalog bis zum Jahre 2003 keine Notiz davon genommen.
Damit Sie wissen, worum es geht, hier nachstehend einmal die Abart auf drei Einzelmarken:
Hier sind die drei Farben der 3 Schilling blau – alle zeigen die verkürzte Basis des zweiten „l“ sehr deutlich
Nachdem der Artikel im BMS erschienen war, gab es einige Rückmeldungen von Sammlern, die diesen Fehler in ihren Sammlungen gefunden hatten. Die Statistik von Herrn Jakubek, zu der Zeit (2002): 5 lose Stücke, ein Brief und ein Briefstück! Das dürfte also danach etwas aktualisierungsbedürftig gewesen sein. Natürlich ist der Plattenfehler keine „Massenware“… Anhand eines Oberrand-Bogenteils konnte ich die Position im Bogen feststellen, bei der dieser Fehler auftritt:
Die Bogengröße der Hamburger Freimarken sind 12 Reihen zu jeweils 8 Marken (= 96 Marken), der Bogenoberrand mit der Inschrift definiert eindeutig FELD 7 für die Abart
Man kann den Fehler gut mit bloßem Auge sehen!
Das Suchen und Finden ging aber weiter: Der gleiche Plattenfehler kommt schon auf der ungezähnten Ausgabe vor – mit Hilfe der Verbandsprüferin, Frau Gertraud Lange, konnten wir ihn auf drei Briefen nachweisen. Einen davon zeige ich Ihnen hier:
3 Schilling nach Bremen – und die Abart kann man deutlich sehen..
Der Stempel geht zwar etwas drüber – aber der Plattenfehler ist deutlich sichtbar!
Auf einem Brief aus der berühmten „Boker“-Sammlung nach Amsterdam findet sich der Fehler auf der linken Marke eines waagerechten Paares; damals, in den 1980er Jahren, wurde er noch unerkannt verkauft!
Frau Lange konnte weitere interessante Details beisteuern. In ihrem Archiv hatte sie den Fehler auch auf einem Probedruck-Bogenteil der 3 Schilling (Mi.Nr. P4 2 rot) nachgewiesen, auch hier auf dem bekannten Feld 7:
Der Scan konnte nur von einer Archivvorlage genommen werden und erscheint daher etwas verpixelt…Der Plattenfehler auf FELD 7 ist deutlich zu sehen.
Und nun wird es „ganz verrückt“: Ebenfalls im Archiv von Frau Lange erscheint der Plattenfehler auf Feld 2:
Ich denke, dass es sich hier um eine Einheit der Mi.Nr. 15 U handelt. Der Farbe nach kommt das Stück einer Mi.Nr.4 schon sehr nahe. Leider habe ich hiervon auch nur die Archivvorlage
Sie sehen, nach über 150 Jahren nach Erscheinen der ersten Hamburger Briefmarken gibt es immer noch Überraschungen! Vielleicht haben Sie, verehrter Leser, noch weitere Belegstücke zu diesem Thema? Über Ihre Zuschrift würde ich mich freuen!
Nachstehend hier der damalige Artikel von Wolfgang Jakubek aus dem Jahre 2002:
Die Überschrift „Achtung, Umleitung“, die ich für Post während der Elbblockade (Aspekte zur Hamburger Postgeschichte Nr.27) benutzte, könnte auch für diesen Beitrag passen.
Napoléons Kontinentalsperre begann am 21.November 1806. Sie verbot jeden Handel, auch Korrespondenz mit England. Aber der Austausch von Nachrichten war (über-)lebenswichtig, nicht nur für die Kaufleute, und so gab es Möglichkeiten…
Es ist an der Zeit, dass ich hier Mr. Freeling vorstelle. Freeling war Sekretär des Generalpostmeisters in London, und er organisierte und koordinierte ab sofort den Postversand zum Kontinent. Husum, Tönning und Göteborg wurden zu regelmäßigen Anlaufstationen. Um eventuellen Kontrollen durch die Franzosen zu entgehen, durften Briefe aus England nicht mehr (Herkunfts-) Stempel tragen. Diese Anweisung Freelings (vom August 1807) ging ganz offiziell an alle Postmeister im Vereinigten Königreich. Doch auch schon vorher wurde diese Praxis geübt. So berichtet der britische Konsul in Altona schon Anfang Januar 1807 „Briefe ohne Stempel kann man gefahrlos verschicken, empfehlenswert ist das Adressieren der Briefe in französischer oder deutscher Sprache“. Und Freeling schreibt „…Die Briefe aus London verlassen seit letztem Dezember [1806] das Auslandspostbüro ohne verräterische Stempel und Vermerke.“
Zudem kam Freeling mit dem Postmeister des Herzogtums Berg zu einer losen Übereinkunft über die Beförderung von Briefen von und nach England über Hamburg. 6d. pro Brief sollten der („Judas“-)Lohn sein. (Denn das Herzogtum Berg war ja eine feindliche Macht, ein solcher „Deal“ war der Geldgier des Postmeisters geschuldet; Napoléon musste den Braten gerochen haben, denn ab 1808 wurde aus der bergischen Post das Französische Hauptpostamt, die Postkontrollen wurden verschärft…).
Die nachfolgenden beiden Briefe sind schöne Beispiele für diese „klandestine“ Postbeförderung:
HAMBOURG B.G.D. 4 Mars 1807. Der rote Zweizeiler auf einem Brief an die Firma Otard in Cognac sieht harmlos aus, aber…
..er kam aus London und ist in einer originellen Mischung aus Englisch und Französisch geschrieben..
„I salute you cordially“, die nette Schlußformel von Mr. Currie
Auf die gleiche Art und Weise ging es nach Turin:
HAMBOURG B.G.D. 8 JUIN 1807
Abgesandt am 26.Mai aus…
London, wie der Empfänger notiert hat.
Keinerlei Herkunftsvermerke, auch nicht auf der Rückseite des Briefes. (Die Belistiftnotizen sind von einem späteren Besitzer des Briefes)
Einen ganz und gar ungewöhnlichen Postlauf zeigt der nächste Brief. Wir schreiben das Jahr 1809.
Von London [10.März 1809] nach Riga FRCO NIENHUUS
über das Französische Postamt in Hamburg – Datums-L1 13 AVRIL 1809
Empfängervermerk in Riga, der „netterweise“ nochmals alle Postlaufdaten dieses Briefes zusammenfasst!
Wie ist so etwas möglich, oder auch: „wie kommt Spinat aufs Dach“?
Schon Prof. Hans A.Weidlich und C. Muys hatten in Rundbriefen des Altbriefsammlervereins im Jahre 1981 [1] die Vermutung geäußert, dass es sich bei dem Stempel „Frco NIENHUUS“ um einen Hamburger Stempel handelte. Aber erst durch die Hilfe von Georg D. Mehrtens, Bremen, der hartnäckig im Bremer Staatsarchiv suchte und fündig wurde, konnten der Postlauf und die Stempel erklärt werden. Der Brief wurde vermutlich von London durch einen privaten Forwarder nach Holland geschmuggelt. Von Holland aus bestand immer noch die Fahrpost zwischen Amsterdam und Bremen, in bremischer Regie (!). Und auf dieser Route, nachzulesen bei C. Piefke [2] , „…beförderte der frühere Postmeister Heymann nach wie vor auch Briefsendungen mit der ihm gebliebenen Fahrpost. Es geschah dies auf Verabredung zwischen den Hansestädten, die auch sonst den Franzosen manches Schnippchen schlugen.“
In Hamburg wurde der Brief dann im Französischen Postamt abgefertigt und mit dem Stempel „Frco NIENHUUS“ damit „als aus Holland stammend“ deklariert. Die Weiterbeförderung erfolgte über Berlin und Memel nach Polangen, wo die russische Post die Reststrecke bis Riga übernahm.
Weitere interessante Informationen und Details zu den Taxen und der Portoberechnung erhielt ich von Karlfried Krauss, Potsdam. Beiden genannten Herren an diese Stelle meinen herzlichen Dank!
Ein paar Jahre weiter ins Jahr 1813 – immer noch besteht die Kontinentalsperre:
128/HAMBURG [29.1.1813] nach Rouen in Frankreich
..aber mit der Bitte um Weiterleitung nach London
Die „Huth, London“ – Korrespondenz ist ja sehr bekannt. So lernen wir noch Freunde der Firma und Familie in Frankreich kennen! Auch bei diesem Brief ist äußerlich nicht ersichtlich, dass sein Ziel „England“ sein sollte. Der Vermerk „3p freight“ auf der Vorderseite und der Empfängervermerk innen machen den Brief bedeutsamer als einen einfachen Brief aus bekannter Weinkorrespondenz nach Frankreich..
Und noch einmal ein Brief nach Amerika:
1813, 3.3., nach Philadelphia
Der Brief ist in zwei Etappen geschrieben worden. Zunächst am 3.März 1813, wenig optimistisch in Hinblick auf die Geschäfte..
dann am 13.4. fast schon euphorisch: „I am happy to be able to tell you the agreeable news that the Russian trups which are entered in our place the 18th alt have returned us our old constitution..“
Die Russen unter Tettenborn waren am 12.März 1813 in Hamburg einmarschiert, aber bereits am 30.5. wieder verschwunden. Erst fast ein Jahr später, am 19.Mai 1814 wurde Hamburg endgültig von den Franzosen befreit.
Zum Schluss zeige ich noch einen Brief, der überhaupt keine Transitvermerke aufweist:
1813, 22.10., London nach Narva
Faktisch war im Oktober 1813 die Kontinentalsperre nicht mehr wirksam. Ob der Brief über die bekannte Route London-Hamburg-Preußen lief oder vielleicht durch Schweden (?), kann ich nicht feststellen.
[1] Prof. Hans A.Weidlich. Ein Franco-Grenze-Stempel der Bergischen Post. In Rundbrief Altbriefsammlerverein 1981, S.34 und dazu die Antwort von C. Muys
[2] Christian Piefke. Geschichte der Bremischen Landespost. Bremen, 1947.