Den nachfolgenden Erlebnisbericht zur eigentlichen Auktion verdanken wir Frau Maggie Heins aus Berlin, die als Auktionsagentin an der Auktion in Rouen teilnahm.
Rouen den 20. Januar 2008
Meine Schuhe knirschten unter meinen eiligen Schritten auf dem französischen Kopfsteinpflaster, in meinem Kopf schwirrten die Gedanken. Jetzt, wo ich in Rouen angekommen und auf dem Weg zur Auktionshalle war, stellt sich doch Nervosität ein. Rouen war zwar nicht meine erste Auktion; in Deutschland hatte ich so etwas schon häufiger gemacht. Aber da ging es um kleinere Summen. Und deutsch spreche ich, französisch nicht. Würde ich auch heute den Überblick behalten? Die Nerven ruhig? War das Ganze überhaupt gut überlegt? Andererseits, was sollte schon passieren? An meiner Seite hatte ich im französischen Nieselregen eine perfekt französisch sprechende Begleitung, die ich zu meiner Sicherheit im Vorfeld organisiert hatte.
Die Auktion in Rouen sollte um 14:30 beginnen, und wir wollten natürlich auf jeden Fall pünktlich sein. Als wir nach kurzem Weg durch die Innenstadt um 14:10 Uhr am Hotel des Ventes ankamen waren die Türen verschlossen. Hatte ich etwas durcheinander gebracht? Nach meiner bisherigen Erfahrung mit Briefmarkenauktionen hätten alle Interessenten längst da sein müssen, geschäftig noch einmal den Katalog studieren und taxieren, welcher Konkurrent eintrifft, der ihnen die besten Stücke wegzuschnappen droht. Immerhin, wie extra zu meiner Beruhigung geschickt, war schon ein sehr freundlicher Herr aus der Schweiz eingetroffen und wartete ebenfalls an der Tür. Er begann uns in die typischen Abläufe französischer Auktionen einzuweihen. Doch nicht nur die Uhren scheinen in Frankreich anders als in Deutschland zu ticken. In Frankreich würde jedes Los sofort bar oder mit Scheck bezahlt, so sagte er uns. Bar?, schoss es mir durch den Kopf. Geld hatte ich höchstens für das Bahnticket und mein Mittagessen dabei. Aber doch nicht für philatelistische Preziosen! Mein Vater hatte mich im Vorfeld beruhigt. Er habe alle Formalitäten mit dem Händler geregelt. Außerdem hatte er mir für alle Fälle eine Vollmacht mitgegeben. Aber was war das jetzt noch wert?
Kurz vor halb drei kamen plötzlich aus allen Seitenstrassen lauter Franzosen, sie schienen gerade von einem ausgiebigen sonntäglichen Mittagessen zu kommen. Manche kamen in Gruppen und mit Begleitung. Wie aus dem Nichts wurde es auf der Strasse vor dem Saal voll und laut – die Türen blieben aber verschlossen. Dann endlich, Minuten waren vergangen, kam der Auktionator mit dem Händler. Ich hatte eine weitere Lektion gelernt: Hier ist der Kunde nicht König, sondern muss sich schon gedulden. Immerhin will er ja etwas haben! Ich stellte mich dem Auktionator kurz vor und fragte ob er wüsste, dass ich auf Rechnung kaufe. Alles in Ordnung, alles wunderbar. Gut! Der große Einzug in den Saal erfolgte. Es gelang mir und meinem Begleiter tatsächlich, einen Platz weiter vorne zu ergattern. Ich schaute mich erstmals um, und staunte. Die Räumlichkeiten glichen eher einem Berliner Trödelladen als einer Auktionshalle. Am Rand standen Schränke, Kommoden, Stühle, Möbel jeglicher Couleur, die scheinbar darauf warteten, demnächst unter den Hammer zu kommen. Vorne war aus alten Tischen eine Barriere zur Bühne gebaut. Hier lag in Kartons und Kisten ein Teil der Lose. Es war kalt im Saal, trotz der winterlichen Temperaturen wurde nicht beheizt. Vielleicht sollte das unser Gefühl unterstützen, doch nur unwichtiger Bittsteller zu sein? Der Saal fühlte sich gut; ich schätze, es waren vielleicht 60 bis 80 Personen. Die meisten waren Franzosen, sie unterhielten sich lautstark durch den Saal. Ein großes Sehen und Gesehen werden! Auf der Bühne saßen, nein, thronten der Händler, dann erhöht der Auktionator und daneben seine Frau am Computer. Neben ihr stand noch die Tochter. Minister, König, Königin und Prinzessin, schoss es mir durch den Kopf. Aber das mag dem antiken Ambiente des Saales geschuldet gewesen sein.
Natürlich gab es auch den dazugehörigen Hofstab: Drei Jungs im Anzug mit typisch französischem, breitem Krawattenknoten, standen hinten links auf und zwei junge Damen warteten am Rand. Als das gemeine Volk, also die Kaufinteressenten, endlich die Plätze eingenommen hatte, wurde es langsam leiser. Bieten sollte ich auf über die Hälfte der 150 Lose. Die Stimmung im Saal war unruhig. Es war etwa 15:00 Uhr, als die Auktion schließlich begann. Und wie! Das Prozedere war bei jedem Los folgendes: Der Händler las die gesamte Beschreibung aus dem Katalog vor. Währenddessen hielt hinten links einer der drei Jungs das Los hoch, unter anderem auch einzelne Albumblätter mit Marken. Das Ganze hatte etwas zuhöchst Kafkaeskes an sich. Da niemand ein Operglas dabei hatte, konnte es sich genauso gut um ein herausgerissenes Blatt aus dem Versandhauskatalog handeln. Auf die Entfernung war das nicht zu sagen. Und, wie um den gelungenen Gesamteindruck der Aufführung noch einmal zu unterstreichen, hatte der Auktionator einen wirklich sehr langen Hammer, den er während der Auktion hin und her schwang wie ein Dirigent seinen Taktstock. Nach jedem Zuschlag wurde sofort die Tochter von der Mutter losgeschickt und holte vom Käufer die Kaufsumme in bar oder einen Scheck.
Die Erregung und die Unruhe im Saal nahmen zu, je näher das Los Nr. 46 kam, dem Doppeldruckbogenteil der Bayern-Marke. Nach über einer Stunde grandioser Show mit vorgelesenen Katalogtexten, hochgehaltenen Losen, schwungvollen Bewegungen des Hammers und eingesammelten Schecks war es dann so weit. Die Luft im Saal knisterte vor Spannung. Ich selbst war unzufrieden mit der Ausbeute. Bisher hatte ich nur erfolglos auf ein oder zwei Lose geboten. Dort war er also: der doppelt gedruckte Bayernbogen! Deswegen waren fast alle hier gekommen. Auch meine Anspannung erreichte ihren Höhepunkt. Doch die Ernüchterung folgte schnell. Mein Limit war bald erreicht, ich musste nicht einmal die Hand heben. Bei sagenhaften 55.000.- Euro schlug der Hammer schließlich auf den Tisch.
Doch nun wurde es für mich erst so richtig ernst. Auf dem Katalog sah ich, dass ich von jetzt an bei fast jedem Los Mitbieten sollte. Doch zugleich verschlechterte sich meine Sicht auf die Dinge schlagartig. Die beiden Damen, die Bieter am Telefon vertraten, hatten die schlechte Angewohnheit, sich ganz nach vorne in die erste Reihe zu stellen. Nun sah ich zwar ihre Hinterköpfe, aber immer weniger vom Auktionator. Dann, es hatte geradezu etwas Erlösendes, konnte ich endlich die ersten Lose ersteigern. Doch zu meinem Entsetzen stand sofort die Tochter des Auktionators vor mir und wollte Geld oder einen Scheck. Wir schickten sie zurück zur ihrer Mutter mit dem Hinweis, es wäre mit dem Händler und Auktionator abgesprochen, dass ich auf Rechnung für meinen Vater kaufe. Madame wollte dies nicht akzeptieren, schickte Mademoiselle wieder zu uns. Das Mädchen, immerhin Tochter des Hauses, nahm ihre Aufgabe äußerst ernst. Sie ließ nicht locker, bestand auf einen Scheck oder das Geld. Währenddessen versuchte ich weiter zu bieten, dann ich hatte ja jetzt für fast jedes Los ein Gebot. Die Lage schien aussichtslos, wir waren förmlich belagert. Doch in größter Not fiel mir die Vollmacht meines Vaters ein. Die drückte ich ihr die Hand. Endlich, nach einer erneuten Tuschelei zwischen Mutter und Tochter auf der Bühne, wurde die Vollmacht dann dem Händler gezeigt. Nachdem er gnädig sein Haupt neigte, durfte ich weiterbieten und kaufen. Und ich hatte eine weitere Lektion gelernt: Papier hilft weiter. Wenn schon nicht Schein oder Scheck, dann wenigstens Schriftsatz.
Der Rest war ein Hauen und Stechen, der Auktionator mittlerweile hochrot, der Auktionshammer tanzte wie ein wilder Derwisch durch den Saal, die stetig steigende Erregung des Händlers war im ganzen Saal greifbar. Jedes Los brachte das Vielfache vom Ausruf. Es war keine Seltenheit, das der Zuschlag beim vierfachen oder mehr des Ausrufs erfolgte. Der Auktionator, insgeheim rechnete er vermutlich längst seinen Anteil heraus und überlegte, welchen Sportwagen er denn nun kaufen würde, verlor bei diesen Summen zwischendurch immer mal wieder den Überblick über die Bieter, was bei mir dazu führte, dass ich häufig mit winkenden Arm mein Gebot verdeutlichen musste. Aber weder Coolness noch Contenance spielten nun noch eine Rolle. Hauptsache, man wurde nicht übersehen! Eine halbe Stunde vor Ende fingen dann die ersten an, ihre Lose abzuholen und vorne an den Tischen ihrer Errungenschaften zu begutachten. Ich stand mittlerweile und winkte immer heftiger, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden und somit bieten zu können. Nach drei Stunden war die Show, und das war es wirklich, schließlich vorbei. Müde und durchgefroren eilten wir durch Rouen, um gerade noch rechtzeitig den Zug zu erreichen, der uns zurück in die Heimat bringen sollte. Ich atmete erst einmal so richtig durch, schloss die Augen und überlegte, was ich da eben eigentlich gerade erlebt hatte.