Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (1): Die frühesten Kaufmannsbriefe aus HAMBURG

Spricht man von ganz frühen Briefen aus Hamburg, so fallen Historikern frühe amtliche oder kirchliche Dokumente ein, Dokumente, die durch amtliche, vom Magistrat angestellte Boten in andere Städte, zu Fürsten, Königen und Kaisern befördert worden sind. Solche Dokumente sind in aller Regel nur in Museen zu sehen oder liegen in staatlichen Archiven.

Zeugnisse erster, einigermaßen regelmässiger Postverbindungen von Hamburg sind erst aus dem 16.Jahrhundert bekannt. Hier geht es um Briefe, in denen Kaufleute untereinander in Verbindung traten und dieser Informationsaustausch durch staatlich oder private geregelte Botendienste bewerkstelligt wurde. Diese frühesten Kaufmannsbriefe aus Hamburg wurden erst bekannt, als in den 1980er Jahren das „Corsini-Archiv“ auf den philatelistischen Markt kam.

Die Corsini – Korrespondenzen

Die Corsinis waren eine Kaufmannsfamilie, deren Aktivitäten bereits um 1300 in Florenz nachzuweisen sind. Bereits in dieser Zeit entwickelt sich in den oberitalienischen Städten aus dem frühen Tauschhandel des Mittelalters ein neues Wirtschaftssystem, dessen Zielsetzung es ist, dass aus dem Handel mehr Zugewinn entsteht, dass aus Geld mehr Geld wird: Der Kapitalismus…. Schon bald reichen die Verbindungen der Kaufleute und ersten Bankiers in Italien weit über die Landesgrenzen hinaus.

Auch in London gründen die Corsini eine Niederlassung.

Zinn aus Cornwall, Sardinen aus Looe, Elefantenzähne und Neufundland-Kabeljau aus Plymouth, Tuchwaren aus Colchester und Norwich, Heringe aus Yarmouth: Die Corsinis kaufen und exportieren englische Produkte nach ganz Europa.

Im Gegenzug kommen Waren aus gut hundert europäischen Städten nach London. Insbesondere Stoffe und feste Tuche („Fustian“ oder Berchent, ein fest gewebtes Tuch, aus dem besonders Arbeitskleidung hergestellt wird und das als „Jeans“ oder „Denim“ (de Nimes) später weltberühmt wird), aus Florenz und Venedig kommt Seide, aus der die Roben Königin Elisabeth I. gemacht wird und die William Shakespeare für die Kleider seiner Schauspieler im Globe Theater verwendet.

Sie waren Bankiers und hatten Niederlassungen in Augsburg, Lyon, Köln oder Venedig.

Piraten und Wegelagerer waren ihre ewigen Gegenspieler, wovon viele Berichte Zeugnis ablegen. 340 Handelshäuser in 100 Städten korrespondierten mit ihnen, von Lissabon bis Danzig, von Malta bis Middelburg. Die Briefe wurden mit der „Merchants Strangers Post“, der „Merchant Adventurers Post“, der Thurn & Taxis` schen Post oder anderen Transportunternehmen befördert, sie benutzten allgemeine Botendienste oder ihre eigenen Kuriere, von Florenz über Pisa, Mantua, Nürnberg, Köln, Brüssel und Calais.

Spanien kämpfte gegen Wilhelm von Oranje in den Niederlanden, französische Könige wurden ermordet, Katholiken brachten Hugenotten um und umgekehrt. Die Spanische Armada kam und verschwand…

Und immer gingen die Geschäfte weiter, mit wenig mehr als einem kurzem Blick auf die blutigen Gemetzel um sie herum.

Dass wir heute einen so vorzüglichen Einblick in die Kaufmannswelt des 16.Jahrhunderts haben, verdanken wir dem glücklichen Umstand, dass das Archiv der Firma Corsini in London im Großen Brand von 1666 (bei dem vier Fünftel der City of London in Schutt und Asche gelegt wurden) nicht zerstört wurde.

Die Briefe waren zum Teil vorausbezahlt, aber meistens wurde das Beförderungsentgelt dem Konto des Absender belastet. Es etablierten sich die „Forwarding Agents“, es gab Routen- , Kurier- und Tax-Vermerke, Schiffsbriefe und sogar „Einschreiben“ ….

Es ist der Zeitraum von etwa 1580 bis 1600,

auf den wir durch die Corsini-Korrespondenzen einen Blick auch auf das Leben und Treiben in Hamburg und das Handeln seiner Kaufleute bekommen.

Eine kleine Zeittafel aus der Hamburger Geschichte notiert folgende Denkwürdigkeiten:

1577: In der Hamburger Börse wird ein Postmeister eingestellt, der ein- und ausgehende Boten kontrolliert und in dessen Haus Briefe abgegeben werden können.

1584: Schwere Sturmflut, Bruch des Hammer Deiches

1588: 24 Wochen ununterbrochener Regen. Sturmflut, Deichbrüche.

1589: Der Nikolai-Kirchturm brennt nach einem Blitzschlag ab.

1590: Im Auftrag des Hamburger Rates bezieht ein Kapitän Warnecke auf der Elbe vor Stade Wache, um Hamburger Schiffer daran zu hindern, in Stade ihre Ladung zu löschen, die in Hamburg dringend gebraucht wird.

1593: Sturmflut. 40 Schiffe mit Korn gehen in der Nordsee unter.

1598: Starker Winter. Man kann über das Eis nach Dänemark laufen. Die Pest in Hamburg hält an.

1600: Durch Eingriffe in den Elblauf wird mehr Wasser in die Norderelbe geleitet und den Schiffen damit mehr Tiefgang verschafft. Hamburg hat jetzt 40.000 Einwohner.

In den Briefen lesen wir zum Beispiel Berichte über Geschäfts-Transaktionen, die der Absender für die Corsinis getätigt hat, finden Auflistungen über die Güter, die mit dem jeweiligen Schiff transportiert werden, aber auch Berichte über die allgemeine Geschäftslage.

Die Briefe wurden durch Schreiber in den Kaufmannskontoren angefertigt, auf gutem Papier, oft mit schönen Wasserzeichen. Jeder Brief wurde gefaltet und gesiegelt und oftmals mit einer Schnur verschlossen, die durchgeschnitten werden musste, um den Brief lesen zu können. So war sichergestellt, dass kein Unbefugter von außen auch nur einen kleinen Teil des Inhaltes lesen konnte.

Um die hohen Risiken des damaligen Transportes zu verringern, schlossen sich oft mehrere Kaufleute zusammen und versandten ihre Waren auf verschiedenen Schiffen. Die Ballen und Kisten wurden mit Kaufmannszeichen versehen, die ebenfalls in den Briefen notiert wurden. Sendungen für einen Empfänger, die in mehreren Schiffen angekommen waren, konnten so am Bestimmungsort leicht wieder zusammengeführt werden.

Die begleitenden Kaufmannsbriefe wurden in der Regel in Kopie oder sogar mehrfach ausgefertigt und so auf verschiedenen Schiffen zum Empfänger transportiert. Unter den von mir untersuchten 20 aus Hamburg stammenden „Corsini“-Briefen fand ich zwei Stück gleichen Datums und etwa gleichen Inhaltes, jedoch war ein Brief in Hamburg, der andere in Stade geschrieben worden (!) – siehe unten.

Es handelt sich ausnahmslos um Schiffsbriefe

bei den von mir untersuchten Hamburger Corsini-Briefen.

Sehr oft wird die Beförderungsmöglichkeit benannt: „Con la Nave de…“ (Es folgt der Name des Kapitäns, der meist auch Schiffseigner war), hinzugesetzt in der Regel eine Beschwörungsformel wie „che lo dio salve“ (also etwa „Den Gott beschütze“).

Ein paar Bemerkungen zu den auf den Briefen regelmäßig wiederkehrenden Signaturen und Zeichen:

Vorder- oder rückseitig finden sich kleine handschriftliche Kürzel, die wohl den Absendern zuzuordnen sind. Robson Lowe bezeichnet diese als „Writers` Manuscript Endorsements“. Die in seinen Ausarbeitungen vertretene Meinung von Giorgio Migliavacca, es handele sich um die Benennung des jeweils zu wählenden Kurierdienstes kann ich nicht teilen. Da es sich bei den Hamburger Briefen um Schiffsbriefe handelt, war ein Kurier nicht von Nöten. Vielmehr glaube ich, dass es Kürzel des/der jeweiligen Schreiber sein könnten. Dies wäre dann vielleicht zugleich eine Art „Kontrollsignatur“ für den Kaufmann.

Auf der Rückseite ist fast immer ein Empfangs-„Registraturvermerk“ der Firma (Bartolomeo) Corsini zu finden, der in der Regel den Absendernamen sowie Absende- und Ankunftsdatum umfasst. 

Darunter ist meistens ein „Gebührenvermerk“ zu sehen, der auf allen untersuchten Hamburg-Briefen ähnlich ist.

Auch hierzu gibt es verschiedene Interpretationen.

Ich denke, die Kürzel könnten „p.q./3“ lauten, also „per questa/3 (pence)“, die im Hause Corsini dem Konto des Absenders „abgelastet“ wurden. Ein solches Abrechnungsverfahren war zumindest bekannt, in einigen Briefen der Corsini-Korrespondenzen haben sich jedenfalls Geschäftspartner über (hohe) Portokosten beschwert.

Sehen wir uns jetzt einige Briefe im Detail an:

 

 Zwei typische Corsini-Briefe aus den Jahren 1585 und 1586, beide an Bartolomeo Corsini „in Londra“ adressiert. Mit Zusatz des Schiffes bzw. des Schiffseigners „Con la nave hari Grimbarch“ bzw. „con ricardo harper“ und der Formel „i dio salvi“ (in etwa: den Gott beschütze). Am Oberrand der Briefe die oben beschriebenen „Writers` endorsements“.

Registraturvermerk des Empfängers: „D´Amborgo bzw. „D´Ambo“, dann das Datum und der Name des Absenders (Mart.Enzesperger bzw. Gilis de Grane. Unter diesen Notizen m.M. die Portoablastung auf das Konto des Absenders: „p.q./3“ (per questa/3). Diese Vermerke sind auf allen mir vorliegenden hamburger Briefen an Corsini gleich. Die Portogebühren wurden dem Konto des Absenders im Hause Corsini belastet.

Noch einmal Abbildungen von rückseitigen Registratur-Vermerken. Die inhaltliche Signatur ist immer gleich: „p.q./3“ (=per questa/3[pence]).  Ich vermute, dass dieser Betrag dem in der Firma Corsini geführten Kontokorrentkonto des Absenders belastet wurde.

Kaufmannszeichen, die zur Kennzeichnung der Güter (Ballen und Kisten) dienten. Die Kaufmannszeichen wurden auch oft  auf der Adressseite der Briefe angebracht. 

„Delle due balle fustani delle regine del maestro Cipoletti di Cremona …“ – Zwei Ballen Fustian vom Meister Cipoletti aus Cremona – Kleider für die Königin [Elisabeth I]! Aus einem Brief von 1595 an Bartolomeo Corsini.

Dieser Brief ist stark gebräunt. Dies rührt von der Desinfektion gegen Seuchen her. Die Briefe wurden auf ein Rost in einem Kasten gelegt, darunter wurden Kräuter angezündet. Die Dämpfe sollten alle Krankheitskeime „ausräuchern“. Pest und Cholera waren um 1600 in Europa sehr gefürchtet. In Hamburg wird im Staatskalender von 1598 die Pest erwähnt.

 

1596, 19.November. Ein höchst bemerkenswertes Brief-„Paar“: Beide Briefe gleichen Datums, von „Alessandro Rocha u. Giobat. Ghinucci“ an Bartolomeo Corsini in London adressiert. Gleiches Inhaltsverzeichnis über verschiedene Waren (von verschiedenen Handelshäusern), die in 4 Schiffen versandt wurden. Der linke Brief wurde in Hamburg, der rechte jedoch in Stade aufs Schiff gegeben! Ein schönes Beispiel, welche Methoden die Kaufleute anwandten, um die erheblichen (Transport-)Risiken zu verringern.

Literatur:

Auktionskataloge: Christie` s Robson Lowe „The Corsini Correspondence“, London 4.9.1984,

Philatelist and PJGB (Philatelic Journal of Great Britain), hrsg. Robson Lowe, London. 1984-85, Vol. 4, No.3-4, Vol 5, No.6, Vol. 6,

dto. „Postal History 16th-18th Century“ Zürich 17.-18.4.1985

dto. „The Postal history of Western Europe and the Mediterranean 1539-1884“ Zürich 4.11.1986

Zum weiteren Studium der CORSINI-Korrespondenzen empfehle ich Ihnen auch einen im Jahre 2020 in der DBZ Nr.17 erschienenen Artikel von Michael Burzan. Dieser Artikel enthält viele zusätzliche historische Informationen, doch bleibt auch hier die Deutung der verschiedenen Zeichen, Abkürzungen und Hinweise auf den Corsini-Korrespondenzen oftmals im Unklaren. Postgeschichtler haben diesbezüglich sicher noch manche harte Nuss zu knacken!

Hier finden Sie den Artikel von Michael Burzan: 

DBZ-17-20-Corsini-A