Es gibt wenigstens drei verschiedene Methoden, alle gleichermaßen bewährt, mittels deren der Interessent sich gründlich über die Schwerpunkte und Vorzüge, die Spezialisierungen und die Eigentümlichkeiten eines Auktionsangebots informieren kann. Zwei von ihnen dürfen als traditionell gelten, die dritte steht dank der technischen Entwicklung erst seit wenigen Jahren zur Verfügung. Sie alle haben ihre gesonderten Vorzüge, weshalb hier keiner der drei Methoden zu Lasten der jeweils anderen der Vorzug gegeben werden soll; sie alle lassen sich zudem sinnvoll und zeitökonomisch kombinieren.
Klassisch sind erstens die formalen Besichtigungsgänge (mit oder ohne vorherige Kenntnisnahme des Angebotenen) in den Hinterzimmern der Auktionsveranstalter selbst. Wann immer es sich realisieren lässt und es mutmaßlich den zeitlichen und organisatorischen Aufwand (Anreise, evtl. Hotelaufenthalt) lohnt, sind solche Besichtigungsgänge zweifellos eine gute Wahl, denn nur sie führen den Besichtiger und das Anzuschauende tatsächlich zueinander. Da die potentielle Auktionskundschaft heutzutage aber nur noch in Ausnahmefällen lokal dominiert ist, sondern sich vielmehr als wenigstens national, fast immer aber als international erweist, ist die direkte persönliche Auktionsbesichtigung längst nicht mehr der Regelfall. Vielmehr werden Gebots- und Kaufentscheidungen vorzüglich anhand der Eindrücke gefällt, die die Offerte im gebundenen, heute bisweilen luxuriös ausgestatteten Auktionskatalog generiert. Als dritte Option zur Kenntnisnahme des Auktionsangebots bietet sich (erst) seit einigen Jahren die Selbstunterrichtung anhand der Darstellung auf der Webseite des Auktionshauses an, die oft um elaborierte Download- und Vergrößerungs-Optionen ergänzt sind – vor allem Letztere sind ein vorbildlich einsetzbares ‚feature‘ auf der Homepage der Schwanke-Auktion.
Für welche dieser unterschiedlichen Weisen der Kenntnisnahme und Selbstvergewisserung (am besten für mehr als nur eine) man sich entschließen mag, ein Eindruck scheint leidlich konstant: Ganz gleich, welche Betrachtungsweise – Besichtigung, Katalog- oder Online-Studium – man wählt, man nimmt oftmals erstaunlich unterschiedliche Dinge wahr. Obwohl alle drei Arten der Betrachtung in der Regel mit großem Interesse, nachhaltiger Aufmerksamkeit und philatelistischer Sorgfalt betrieben werden, sieht der Interessent doch oft sehr verschiedene Dinge. Auch wenn sämtliche relevanten Merkmale in allen Darstellungsvarianten jeweils objektiv sichtbar sind, werden sie doch oft nur zu Teilen und manchmal gar nicht wahrgenommen. So funktioniert eben unsere gerichtete, d.h. von Interessen abhängige Wahrnehmung. Es scheint mir folglich ratsam, sofern der eigene Zeithaushalt es erlaubt, alle drei Betrachtungsweisen zum Zuge kommen zu lassen, und zwar nicht parallel, sondern nacheinander. Das mag zwar langwierig und ermüdend sein, und es hilft auch nicht immer sehr viel weiter, aber Sie werden sich häufig wundern, was Sie bei der einen „Ansicht“ Zug um Zug entdecken, das Ihnen bei den anderen Betrachtungsweisen vollständig entgangen ist.
Topstück einer neu entdeckten sächsischen Korrespondenz nach Australien, dazu eine spektakuläre 6-Farben-Frankatur nach Neuengland (wie sie z.B. in Preußen gar nicht herstellbar war; mehr als 5 Farben gingen dort nicht).
Zahlreiche ‚kleine‘ Spezialofferten
Nicht entgangen sind mir beim Studium des Angebots der 352. Schwanke-Auktion unter anderem – und vor allem – die ungewöhnlich zahlreichen, kleinen, aber gehaltvollen Spezialofferten (oft nur ein Dutzend einschlägiger Lose oder wenig mehr) aus vielen Gebieten der deutschen und internationalen Philatelie und Postgeschichte, auf die wir uns im Folgenden konzentrieren wollen. Nur wenige einschlägige Beispiele können allerdings hier vorgestellt oder auch nur erwähnt werden. Entsprechend empfiehlt sich das genaue Studium des abwechslungsreichen Programms – ganz egal, auf welchem der vorstehend skizzierten Wege.
Neben den bereits abgebildeten raren Sachsen-Briefen im niederen bzw. hohen vierstelligen Euro-Bereich gefallen – sehr viel günstiger zu haben – beispielsweise ein halbes Dutzend Lose mit ausnehmend hübschen, je mit Zusatzfrankaturen verwendeten Ganzsachen Islands (Ausrufe: 120 bis 700 Euro). Klassische europäische und außereuropäische Ganzsachen, jeweils mit guten Zusatzfrankaturen und seltenen Verwendungen oder Abstempelungen, finden sich auch in anderen Bereichen der aktuellen Schwanke-Offerte in stattlicher Zahl. Wenn wir von Island kommend im Norden bleiben, nämlich bei Norwegen, fällt zunächst ein handverlesenes Angebot mit rund 20 spezialisierten Losen der (meist) Oskar-Ausgabe des Landes mit schönen Streifeneinheiten und Mischfrankaturen auf, dazu Wappen-Ausgaben in Buntfrankaturen; die Taxen liegen hier zwischen 90 und 1500 Euro.
Nie zuvor zu Gesicht gekommen sind mir Ländermischfrankaturen zwischen klassischen Freimarken Österreichs (Kreuzer-Ausgabe) jeweils mit britischer MiNr. 22 auf zwei Briefstücken, die noch erkennbar einstmals nach Thailand bzw. nach China adressiert waren. Zu einem Gesamtgebot ab 1800 Euro steht das Pärchen zur Verfügung.
Eher aus der geographischen Nähe, nämlich aus Stuttgart, stammen dagegen zehn Positionen zur Stuttgarter Stadtpost (Lose Nr. 1810-1819; Startpreise je zwischen 100 und 1000 Euro). Wer das Handbuch zur Stuttgarter Stadtpost von Horst Jaedicke kennt oder einmal eine einschlägige (Ausstellungs-)Sammlung gesehen hat, der kann nicht nur die postgeschichtliche Begeisterung für ein solches Gebiet nachvollziehen, sondern er weiß auch, wie attraktiv – und teils auch selten – Belege dieser lokalen Stadtpostbeförderung sein können. Das Schwanke-Angebot bestätigt genau dies.
Auktionseröffnend bietet übrigens Albanien mit einer Auswahl guter Einzelwerte und Besonderheiten der Erstausgaben einige interessante Aufmacher. Mehr als 60, teils spezialisierte Positionen weist sodann das Angebot für Altitalien und das italienische Königreich auf; darunter sind sowohl gute und attraktive Frankaturen und gesuchte Einzelwerte als auch interessante Abarten und andere Spezialitäten wie zum Beispiel eine ungebrauchte MiNr. 10II des Kirchenstaats (1500 Euro), der ungebrauchte Modena-Fehldruck Nr. 2IF (400 Euro) – der so unzweideutig ist, dass er mich selbst noch in Versuchung führt –, ferner Parmas MiNr. 2 im nicht ganz astreinen gestempelten Viererblock (Ausruf 1000 Euro bei 45,000 Michel) und die Zeitungsmarke Nr. 1 auf Zeitung (2000 Euro). Hinzu kommen gute Briefe Altitaliens – beispielsweise ein unfrankierter Brief vom offiziellen Ersttag der Lombardei & Venetiens vom 1. Juli 1850 (250 Euro) sowie seltene Streifen- und Blockeinheiten aus den 1860er und 1870er Jahren. Die Schätzpreise beginnen „italienweit“ schon bei 70 Euro und scheinen teils „am unteren Ende kalkuliert“.
Wunderschön (und ab gerade einmal 300 Euro zu haben) ist auch die folgende Dreifarbenfrankatur der Österreichischen Post in der Levante nach Venedig – für die durchschnittliche Qualität dieser Italien-Offerte durchaus charakteristisch.
Für besondere Highlights aus deutschen Landen sorgt beispielsweise die Auflösung der sogenannten Sammlung „Fürstenhagen“ der Sowjetischen Besatzungszone. Das Angebot umfasst ca. 180 Positionen, mit jeder Menge dauergesuchter Spezialitäten, die – gerade bei diesem Gebiet besonders wichtig! – mit aktuellen Prüfungen, Attesten und Befunden daherkommen. Die aufaddierten Schätzpreise dieser 180 Lose bringen es auf mehr als 50,000 Euro, und sie sind, wenigstens mehrheitlich, so taxiert, dass noch „Luft“ bleibt, um ein wenig draufzulegen. Für den Spezialisten sind hier potentiell wenige Wünsche offen, soweit überhaupt eine noch so spezialisierungsversessene Sammlung der diffizilen Vielfalt der Philatelie der Sowjetischen Besatzungszone gerecht werden kann. Auf rund zwei Dutzend Lose aus der Auflösung einer guten Forschungssammlung Helgoland (vorsichtige Gesamttaxe: über 6600 Euro) muss außerdem unbedingt hingewiesen werden.
Für den eingefleischten Postgeschichtler mit einer guten Spürnase mag ferner ein Preußen-Brief, mit der Kopfmarke MiNr. 9 und zwei Exemplaren der Wappenmarke MiNr. 14 wertstufengleich und portokorrekt freigemacht, von einigem Interesse sein. Denn spätestens beim zweiten Blick erschließt sich, dass alle drei Marken zuvor schon einmal verwendet und auch vorschriftsgemäß abgestempelt worden waren – damit wird dieser Brief zu einem Dokument und Beweisstück für einen nicht nur versuchten, sondern vollendeten und insofern gelungenen Postbetrug.
Natürlich enthält das Angebot noch etlich weitere spannende Kollektionen, Spezialobjekte und Einzelmarken und Belege, die eine gesonderte Vorstellung erlauben und rechtfertigen würden. Beispielsweise bietet sich da eine bemerkenswerte, noch junge russische Abart aus dem Jahr 1962 an: Eine Sondermarke zum 100. Geburtstag des aserbaidschanischen Schriftstellers A. Sabir, die ein Porträt des Literaten zeigt. Alles prima, nur – die Inschrift war fehlerhaft (AZERBAITSCHAYN statt AZERBAITSCHAN, MiNr. 2625 I, russischer „Standard“-Katalog Nr. A2661). Zwar wurde diese Marke sofort vom Verkauf zurückgezogen und durch eine Ausgabe mit korrigierter Inschrift ersetzt. Doch 250 Exemplare entgingen der Vernichtung. In der Auktion zu haben ist ein postfrischer Eckrandviererblock, der – wenn nicht einmalig, so doch – jedenfalls höchst selten ist (Ausruf: 5000 Euro). Wohl Seltener noch, wenn auch letzthin ein wenig aus dem Fokus gerückt, dürfte die hier gezeigte MiNr. 3IIx von Mauritius sein – die erste Mauritius-Marke, die historisch auf die beiden POST-OFFICE-Werte folgte, präsentiert sich in akzeptabler Erhaltung mit Nummernstempel-Entwertung („3“) auf Briefstück mit beigesetztem Rahmenstempel SOUILLAC vom 9. März 1854 auf einem größeren Briefstück (3000 Euro). Neusüdwales schließlich steuert ca. 15 sehr beachtliche klassische Einzellose, darunter ein paar erstaunliche Markeneinheiten (zwischen nur 90 und 750 Euro), zum Angebot bei, Peru ein zentrisch gestempeltes Luxusstück seiner ersten Briefmarke (1800 Euro).
Für alles weitere sind Sie gerne aufgefordert, einen oder mehrere der eingangs skizzierten Wege zu beschreiten und sich mit dem Angebot der aktuellen Schwanke-Auktion hinreichend vertraut zu machen.
Gerd H. Hövelmann