Martinas weiter Wurf
Wir alle kennen das nur zu gut und haben es schon bis zum Überdruss mit eigenen Augen sehen müssen: Als „Sammlung Alle Welt“ wird manches Markengewusel gerne von kenntnisarmen Zusammenträgern tituliert, das dann von Händlern, Auktionatoren und anderen Erfahreneren nur (und allenfalls) mit ganz spitzen Fingern weitergereicht wird. Meist handelt es sich um umfangreiche Konglomerate von Steck- und Vordruckalben, in die der Sammler, nicht selten von Kindesbeinen an, alles dasjenige länderweise und in der Regel katalogunsicher einsortiert hat, was vor seinem Pinzettenzugriff nicht mehr zu retten war. Solche Objekte dokumentieren wenigstens dreierlei: Dem betreffenden Sammler fehlte es – außer an einem hinreichenden Kontostand und an ein wenig Mut – vor allem an den für die Sammlungsanlage erforderlichen philatelistischen und Markt-Kenntnisse. An den so entstandenen „Sammlungen“ kann man dieses Manko unschwer ablesen. Ich weiß, wovon ich rede: Ich habe gerade ein solches Objekt in meinem Büro herumstehen: zwei riesige Umzugskartons, gefüllt mit teueren Vordruck- und wohlfeilen Steckalben, dazu dann die üblichen Markenwüsten in Zigarrenkisten und Tupperware, in Tütchen und Umschlägen sowie abenteuerlich-bunte Zusammenstellungen mit Titeln wie „250 Verschiedene von Ganz-Weit-Weg“.
Manches ist in solchen Objekten durchaus sauber und ordentlich gesteckt und macht auf die Gattin und andere Nichtphilatelisten einen wenigstens aufgeräumten Eindruck. Aber der Kenner blättert dieses ganze Gewese mit zunehmendem Tempo und Schrecken durch, nur um dabei festzustellen, dass diese „Kollektion“ unter peinlichster Vermeidung jeglicher auch nur potentiell wertträchtiger Briefmarke angelegt worden ist. Zwei prall gefüllte Umzugskisten – und der Heizwert liegt erkennbar über dem Handelswert! Bund, Berlin und DDR von 1960 bis 1980 bilden die „Lichtblicke“ dieses verzweiflungswürdigen Bestands. Oft hoffnungslos ist dann der Versuch, die Eigentümer sachlich über den Unwert ihres Erbes aufzuklären, Eigentümer, die einfach nicht begreifen können, dass „der Vater“ nicht wirklich wusste, was er tat. Die beiden Kisten in meinem Büro wären mit zusammen 50 Euro völlig ausreichend bezahlt. Aber ich traue mich nicht, sie jemandem anzubieten.
Zeugnis philatelistischer Umsicht und Klugheit
Anders – und zwar sehr grundlegend anders – präsentiert sich ein sicher ebenfalls mit „Kollektion Alle Welt“ oberflächlich zutreffend bezeichneter Bestand von ausgesucht guten Ländersammlungen von allen Kontinenten, der die aktuelle Schwanke-Auktion eröffnet: Sammlungen Alle Welt, aus zahlreichen verschiedenen Ländern – oft sehr gut bestückt und (soweit die Ferndiagnose ein solches Urteil erlaubt) nahezu ohne Ausschuss. Von deutschen und europäischen Sammelgebieten, aber selbst auch aus entlegeneren Weltgegenden – etwa kleineren Staaten Südamerikas, der Karibik, Afrikas, Südostasiens oder Ozeaniens bis hin zu aller Herren Inselchen – sind sehr solide ausgebaute, qualitativ und in der Regel auch wertmäßig gutklassige und ausgewogene Länder- und Gebietssammlungen vorhanden, sehr häufig beginnend mit der jeweiligen klassischen Markenerstausgabe (MiNrn. 1 und folgende). Diese Einzelobjekte, mit tätigem Phila-Verstand angelegt, sind offensichtlich allesamt reich- und werthaltig genug, um jeweils für sich alleine bestehen und entsprechend separat angeboten werden zu können. Über welche „Alle-Welt-Sammlungen“ kann man schon Vergleichbares sagen?
Auf diese Weise, mit dieser länderweisen Portionierung und mit dieser qualitativen Klasse (über die auch die vielen Zusatzabbildungen der Schwanke-Website attraktiven Aufschluss geben), kommen auktionseröffnend exakt 365 Einzelsammlungen und –partien per Sonderkatalog auf den Laufsteg der Hamburger Auktion. Gemeinschaftlich bringen diese Positionen es auf eine Gesamtschätzung von immerhin mehr als 210.000 Euro (575 Euro/Los im Durchschnitt). Da praktisch jedes dieser werthaltigen, oft auch mit besseren Doubletten und mit begehrten Spezialitäten bestückten Einzelobjekte zur detaillierteren Auflösung durch den Handel oder zum weiteren Ausbau durch den Sammler geeignet scheint, darf man getrost vermuten, dass der Gesamterlös dieser schönen Partien ihrem Schätzwert beträchtlich davonlaufen wird.
Genau 365 Einzelpartien könnten sicherlich dazu verführen, den Gesamtbestand, entsprechend dem kalendarischen Verlauf, als „Jahreslauf-Sammlung“ (oder irgendwie ähnlich, aber im selben Sinne) zu bezeichnen. Das mag, falls es denn überhaupt jemals ernsthaft erwogen wurde, daran gescheitert sein, dass wohl der Einlieferer selbst eine eher noch sympathischere Bezeichnung gefunden hat: Der Bestand trägt nun den Namen „Sammlung Martina, Philatelie weltweit“ – mutmaßlich der erste nennenswerte Name Sale der Auktionsgeschichte, der nach einem Kind im Vorschulalter benannt ist. Denn Martina heißt die 4-jährige Enkelin des Einlieferers, und der Versteigerungserlös soll dereinst die Ausbildung der jungen Dame gewährleisten. Die kleine Martina sollte sich schon jetzt mit kräftigen Lobpreisungen ihres Großvaters nicht zurückhalten. Angesichts des zu erwartenden Erlöses muss uns jedenfalls um Martinas Zukunft nicht bange sein. Der Verkaufserlös dürfte – und von akademischen Bildungsgängen verstehe ich etwas – bei solidem Lebenswandel beispielweise selbst für die Ausbildung an einer der amerikanischen Elite-Universitäten ausreichen. – Lassen Sie uns also schauen, dass aus dem Kind was wird…
Was ich sonst noch sagen wollte
Über die Freude an kleinen gediegenen Qualitäts-Ländersammlungen soll nicht vergessen werden, dass im Schwanke-Angebot auch für diejenigen schönstens gesorgt ist, die statt gleich mit ganzen Sammlungen lieber mit wenigen und im Extremfall nur mit einer einzigen, dann vergleichsweise wertvollen Briefmarke zufriedenzustellen sind. Dafür bietet die Auktion reichlich Gelegenheit und eine ansprechende Auswahl.
Der Reigen beginnt u.a. mit recht gehaltvollen Offerten mehrerer Dutzend Einzellose von Albanien und Äthiopien (Gesamtpreisansatz über 14.000 Euro €) und geht beispielsweise über ein gutes Sortiment von rund einem Dutzend Losen (Zungenwerte) Finnlands, Dänemarks MiNr. 2I auf gutem Brief (2000 €), eine Kabinett-Einzelfrankatur von Portugals 50 Reis der Erstausgabe (4000 €), je eine 54 und 108 Parale des Fürstentums Moldau (2000 bzw. 7000 €), eine seltene MiNr. 3 Type II der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft auf Brief (4500,-), eine den Titel des Hauptkatalogs zierende spektakuläre Fünffarbenfrankatur der Österreichischen Post in der Levante (7500,- €), eine gute dreifarbige Frankatur von Modena (3000,- €), eine rare teilgezähnte „10 Centesimi bistro“ (MiNr. 9bUu) Italiens (4000,-€) und Parmas Erstling auf kompletter Zeitung (2000,- € / von MICHEL mit lustigen 54,000 € bewertet) bis hin zu Liechtensteins ungebrauchter Dienstmarke MiNr. D5B mit sehr seltener Zähnung (3000,-€).
Gefallen könnte manch Einer sicher auch an einem illustrierten, kolorierten und mit einem Ganzsachen-Ausschnitt frankierten Karikatur-Umschlag von der britischen Insel finden, den wir, eben weil er so gefällig ist, hier ebenfalls im Bild zeigen möchten (700,-).
Nicht unbedingt auf der Raritäten-, ganz sicher aber auf der Kuriosa-Seite werden wir wohl ein größeres Briefstück aus Chile mit nicht weniger als drei waagerechten und einer senkrechten Halbierung der 10 Centavos, MiNr. 2I, einzuordnen haben. Wenn wir uns nicht einen wirklich exzentrischen Bediensteten im Postamt CALDERA ausmalen wollen, dann müssen wir wohl annehmen, dass der Kollege dort Markenhalbierungen nicht „nach Bedarf“, sondern „auf Vorrat“ hergestellt hat, die der dann – eben doch im Bedarfsfall – wieder zu einer portorichtigen Frankatur zusammengeflickt haben wird.
Hawaii (inkl. besserer Ganzbogen oder Bogenteile) und China (frühe Ausgaben ebenso Kulturrevolution) sind ebenfalls mit interessanten Offerten vertreten. Und wer es gerne sehr günstig (75,-) und dennoch attraktiv und postgeschichtlich ein wenig rätselhaft mag, der ist mit einer hübschen Ganzsache Jaipurs mit Zusatzfrankatur sicherlich gut bedient (hilfreich wäre freilich, wenn man ein wenig Bengali verstünde). Weniger rätselhaft, dafür um Einiges kostspieliger ist dagegen ein seltener Doppelaufdruck auf einer ungebrauchten MiNr. 18 von den Cayman Islands (8000,-) – sicher gibt es dafür auf der Ursprungs-Insel ein passendes Schließfach.
Aus deutschen Landen schließlich, um die nicht ganz aus dem Blick zu verlieren, bietet der Hauptkatalog der anstehenden Schwanke-Auktion im Einzellos-Teil manches interessante Stück, das der eigenen Sammlung sicher zur Zierde gereichen könnte. Ich denke dabei beispielsweise an einen bemerkenswerten, seltenen und außerdem schönen Incoming-Brief nach Braunschweig aus Neusüdwales aus Jahr 1864 – er ist praktisch einmal um den Globus gereist und ist dennoch kein Allerwelts-Brief (Los 2004, 1500,- €).
Hinzu kommt ein im mittleren Preisbereich starker deutscher Kolonienteil, darunter eines von nur fünf bekannten gestempelten Exemplaren der MiNr. 18F der Britischen Besetzung Togos, ein Top-Stück, für 8000,- €. Mehr als ein Dutzend Exemplare der Oppelner Notausgaben mit relativ neuen Gruber-Prüfungen werden, da bin ich sicher, ebenfalls Interesse finden.
Und zuguterletzt treffen wir uns ja vielleicht noch auf ein „Gesundheitsbier“ (siehe „Hamburger Luxusbriefchen von 1865“, Los 2084, Rückseite)!