„Eine Sammlung wird durch Abarten erst schön!“ – titelte Wolfgang Jakubek in einem Artikel des Briefmarken-Spiegels aus dem Jahre 2002 . Er stellte in dem damaligen Beitrag den Plattenfehler „Basis des zweiten „l“ in „Schilling“ verkürzt“ auf der 3-Schilling-Marke gezähnt (Mi.Nr.15) vor. Obwohl dieser Fehler schon seit weit über 100 Jahren (nämlich seit 1892) literaturbekannt war, hatte der Michel-Katalog bis zum Jahre 2003 keine Notiz davon genommen.
Damit Sie wissen, worum es geht, hier nachstehend einmal die Abart auf drei Einzelmarken:
Hier sind die drei Farben der 3 Schilling blau – alle zeigen die verkürzte Basis des zweiten „l“ sehr deutlich
Nachdem der Artikel im BMS erschienen war, gab es einige Rückmeldungen von Sammlern, die diesen Fehler in ihren Sammlungen gefunden hatten. Die Statistik von Herrn Jakubek, zu der Zeit (2002): 5 lose Stücke, ein Brief und ein Briefstück! Das dürfte also danach etwas aktualisierungsbedürftig gewesen sein. Natürlich ist der Plattenfehler keine „Massenware“… Anhand eines Oberrand-Bogenteils konnte ich die Position im Bogen feststellen, bei der dieser Fehler auftritt:
Die Bogengröße der Hamburger Freimarken sind 12 Reihen zu jeweils 8 Marken (= 96 Marken), der Bogenoberrand mit der Inschrift definiert eindeutig FELD 7 für die Abart
Man kann den Fehler gut mit bloßem Auge sehen!
Das Suchen und Finden ging aber weiter: Der gleiche Plattenfehler kommt schon auf der ungezähnten Ausgabe vor – mit Hilfe der Verbandsprüferin, Frau Gertraud Lange, konnten wir ihn auf drei Briefen nachweisen. Einen davon zeige ich Ihnen hier:
3 Schilling nach Bremen – und die Abart kann man deutlich sehen..
Der Stempel geht zwar etwas drüber – aber der Plattenfehler ist deutlich sichtbar!
Auf einem Brief aus der berühmten „Boker“-Sammlung nach Amsterdam findet sich der Fehler auf der linken Marke eines waagerechten Paares; damals, in den 1980er Jahren, wurde er noch unerkannt verkauft!
Frau Lange konnte weitere interessante Details beisteuern. In ihrem Archiv hatte sie den Fehler auch auf einem Probedruck-Bogenteil der 3 Schilling (Mi.Nr. P4 2 rot) nachgewiesen, auch hier auf dem bekannten Feld 7:
Der Scan konnte nur von einer Archivvorlage genommen werden und erscheint daher etwas verpixelt…Der Plattenfehler auf FELD 7 ist deutlich zu sehen.
Und nun wird es „ganz verrückt“: Ebenfalls im Archiv von Frau Lange erscheint der Plattenfehler auf Feld 2:
Ich denke, dass es sich hier um eine Einheit der Mi.Nr. 15 U handelt. Der Farbe nach kommt das Stück einer Mi.Nr.4 schon sehr nahe. Leider habe ich hiervon auch nur die Archivvorlage
Sie sehen, nach über 150 Jahren nach Erscheinen der ersten Hamburger Briefmarken gibt es immer noch Überraschungen! Vielleicht haben Sie, verehrter Leser, noch weitere Belegstücke zu diesem Thema? Über Ihre Zuschrift würde ich mich freuen!
Nachstehend hier der damalige Artikel von Wolfgang Jakubek aus dem Jahre 2002:
Die Überschrift „Achtung, Umleitung“, die ich für Post während der Elbblockade (Aspekte zur Hamburger Postgeschichte Nr.27) benutzte, könnte auch für diesen Beitrag passen.
Napoléons Kontinentalsperre begann am 21.November 1806. Sie verbot jeden Handel, auch Korrespondenz mit England. Aber der Austausch von Nachrichten war (über-)lebenswichtig, nicht nur für die Kaufleute, und so gab es Möglichkeiten…
Es ist an der Zeit, dass ich hier Mr. Freeling vorstelle. Freeling war Sekretär des Generalpostmeisters in London, und er organisierte und koordinierte ab sofort den Postversand zum Kontinent. Husum, Tönning und Göteborg wurden zu regelmäßigen Anlaufstationen. Um eventuellen Kontrollen durch die Franzosen zu entgehen, durften Briefe aus England nicht mehr (Herkunfts-) Stempel tragen. Diese Anweisung Freelings (vom August 1807) ging ganz offiziell an alle Postmeister im Vereinigten Königreich. Doch auch schon vorher wurde diese Praxis geübt. So berichtet der britische Konsul in Altona schon Anfang Januar 1807 „Briefe ohne Stempel kann man gefahrlos verschicken, empfehlenswert ist das Adressieren der Briefe in französischer oder deutscher Sprache“. Und Freeling schreibt „…Die Briefe aus London verlassen seit letztem Dezember [1806] das Auslandspostbüro ohne verräterische Stempel und Vermerke.“
Zudem kam Freeling mit dem Postmeister des Herzogtums Berg zu einer losen Übereinkunft über die Beförderung von Briefen von und nach England über Hamburg. 6d. pro Brief sollten der („Judas“-)Lohn sein. (Denn das Herzogtum Berg war ja eine feindliche Macht, ein solcher „Deal“ war der Geldgier des Postmeisters geschuldet; Napoléon musste den Braten gerochen haben, denn ab 1808 wurde aus der bergischen Post das Französische Hauptpostamt, die Postkontrollen wurden verschärft…).
Die nachfolgenden beiden Briefe sind schöne Beispiele für diese „klandestine“ Postbeförderung:
HAMBOURG B.G.D. 4 Mars 1807. Der rote Zweizeiler auf einem Brief an die Firma Otard in Cognac sieht harmlos aus, aber…
..er kam aus London und ist in einer originellen Mischung aus Englisch und Französisch geschrieben..
„I salute you cordially“, die nette Schlußformel von Mr. Currie
Auf die gleiche Art und Weise ging es nach Turin:
HAMBOURG B.G.D. 8 JUIN 1807
Abgesandt am 26.Mai aus…
London, wie der Empfänger notiert hat.
Keinerlei Herkunftsvermerke, auch nicht auf der Rückseite des Briefes. (Die Belistiftnotizen sind von einem späteren Besitzer des Briefes)
Einen ganz und gar ungewöhnlichen Postlauf zeigt der nächste Brief. Wir schreiben das Jahr 1809.
Von London [10.März 1809] nach Riga FRCO NIENHUUS
über das Französische Postamt in Hamburg – Datums-L1 13 AVRIL 1809
Empfängervermerk in Riga, der „netterweise“ nochmals alle Postlaufdaten dieses Briefes zusammenfasst!
Wie ist so etwas möglich, oder auch: „wie kommt Spinat aufs Dach“?
Schon Prof. Hans A.Weidlich und C. Muys hatten in Rundbriefen des Altbriefsammlervereins im Jahre 1981 [1] die Vermutung geäußert, dass es sich bei dem Stempel „Frco NIENHUUS“ um einen Hamburger Stempel handelte. Aber erst durch die Hilfe von Georg D. Mehrtens, Bremen, der hartnäckig im Bremer Staatsarchiv suchte und fündig wurde, konnten der Postlauf und die Stempel erklärt werden. Der Brief wurde vermutlich von London durch einen privaten Forwarder nach Holland geschmuggelt. Von Holland aus bestand immer noch die Fahrpost zwischen Amsterdam und Bremen, in bremischer Regie (!). Und auf dieser Route, nachzulesen bei C. Piefke [2] , „…beförderte der frühere Postmeister Heymann nach wie vor auch Briefsendungen mit der ihm gebliebenen Fahrpost. Es geschah dies auf Verabredung zwischen den Hansestädten, die auch sonst den Franzosen manches Schnippchen schlugen.“
In Hamburg wurde der Brief dann im Französischen Postamt abgefertigt und mit dem Stempel „Frco NIENHUUS“ damit „als aus Holland stammend“ deklariert. Die Weiterbeförderung erfolgte über Berlin und Memel nach Polangen, wo die russische Post die Reststrecke bis Riga übernahm.
Weitere interessante Informationen und Details zu den Taxen und der Portoberechnung erhielt ich von Karlfried Krauss, Potsdam. Beiden genannten Herren an diese Stelle meinen herzlichen Dank!
Ein paar Jahre weiter ins Jahr 1813 – immer noch besteht die Kontinentalsperre:
128/HAMBURG [29.1.1813] nach Rouen in Frankreich
..aber mit der Bitte um Weiterleitung nach London
Die „Huth, London“ – Korrespondenz ist ja sehr bekannt. So lernen wir noch Freunde der Firma und Familie in Frankreich kennen! Auch bei diesem Brief ist äußerlich nicht ersichtlich, dass sein Ziel „England“ sein sollte. Der Vermerk „3p freight“ auf der Vorderseite und der Empfängervermerk innen machen den Brief bedeutsamer als einen einfachen Brief aus bekannter Weinkorrespondenz nach Frankreich..
Und noch einmal ein Brief nach Amerika:
1813, 3.3., nach Philadelphia
Der Brief ist in zwei Etappen geschrieben worden. Zunächst am 3.März 1813, wenig optimistisch in Hinblick auf die Geschäfte..
dann am 13.4. fast schon euphorisch: „I am happy to be able to tell you the agreeable news that the Russian trups which are entered in our place the 18th alt have returned us our old constitution..“
Die Russen unter Tettenborn waren am 12.März 1813 in Hamburg einmarschiert, aber bereits am 30.5. wieder verschwunden. Erst fast ein Jahr später, am 19.Mai 1814 wurde Hamburg endgültig von den Franzosen befreit.
Zum Schluss zeige ich noch einen Brief, der überhaupt keine Transitvermerke aufweist:
1813, 22.10., London nach Narva
Faktisch war im Oktober 1813 die Kontinentalsperre nicht mehr wirksam. Ob der Brief über die bekannte Route London-Hamburg-Preußen lief oder vielleicht durch Schweden (?), kann ich nicht feststellen.
[1] Prof. Hans A.Weidlich. Ein Franco-Grenze-Stempel der Bergischen Post. In Rundbrief Altbriefsammlerverein 1981, S.34 und dazu die Antwort von C. Muys
[2] Christian Piefke. Geschichte der Bremischen Landespost. Bremen, 1947.
Das Bemühen, geschichtliche Begebenheiten durch postalische Zeitzeugen abzubilden oder nachzuzeichnen, erhebt für viele Sammler die Philatelie in den Rang einer Hilfswissenschaft. Und das könnte in diesem Falle zutreffen.
Es geht um den Zeitraum von 1803 bis 1806. Nach dem – brüchigen – Frieden von Amiens (1802) hatte Großbritannien erneut Frankreich den Krieg erklärt, mit der Folge, dass bald darauf die Postverbindungen aus dem Süden Europas nach England unterbrochen waren. Die Postkurse über Calais-Dover oder Ostende-Dover funktionierten nicht mehr. Und jetzt kommt wieder Hamburg ins Spiel. Die Postschiffe Richtung Hamburg sollten, von Harwich kommend, Cuxhaven anlaufen. Ab 1803 aber blockierte England die Elbe und so wurde Tönning Ausweichstation. Von dort wurde dann die Post auf dem Landweg über dänisches Gebiet nach Hamburg befördert und umgekehrt. Hier ein Brief, der in ein neutrales Land ging, in die Vereinigten Staaten von Amerika:
1803, 26.8. Hamburg nach Philadelphia
links ein Forwarder-Vermerk aus London: 20.September 1803 und der Ankunftsvermerk des Empfängers – 8.Decem !
Teil des Inhalts: „…two vessels arrived at Tonningen (= TÖNNING)“
Die Post nach England wurde ebenfalls über Hamburg abgefertigt, wie dieser Brief dokumentiert:
HAMBURGH NOV 18 1803. Der Posttarif „1/4s“ gestrichen, da der Brief von London nach Bath nachgesandt wurde. Rückseitig der Londoner Ankunftstempel vom 3.Dec. 1803
Schwer zu lesen, ich glaube aber, „Nimes“ als Absendeort zu erkennen, geschrieben am 1.November 1803. Wohl um Papier zu sparen, hat der Absender „criss-cross“ geschrieben, über den Text in horizontalen Linien zusätzlich weitere Informationen in vertikaler Richtung
„HAMBURGH – ein englischer Stempel!“ war die Überschrift einer Veröffentlichung von Rolf Dieter Jaretzky im Jahre 1965 [1]. Dieser Stempel ist selten und nur aus den Jahren 1803-1804 bekannt. In seiner Form (und Datumsfolge) sicherlich britischen Ursprungs; jedoch hat es in Hamburg niemals ein britisches Postamt gegeben, vermutlich aber einen britischen Postagenten, der die englische Post als aus Hamburg kommend kenntlich machte, zur Festsetzung des Portos. Im gleichen Artikel erwähnt Herr Jaretzky, dass ihm aus gleicher Korrespondenz – „S. Barber Esq.“ – drei weitere Briefe bekannt seien, alle aus Nimes in Frankreich.
Auch der nächste Brief kommt – vermutlich – aus Frankreich.
HAMBURGH JUN 3 – Turmstempel ?! Nach Irland adressiert.
Eingang in London FOREIGN JU 12
Leider kein Absendeort erkennbar, ein Privatbrief
Ein Hamburger Turmstempel aus dem Jahre 1806 (?). Ein solcher Stempel war bisher nicht bekannt, es wären immerhin 8 Jahre, bevor wir die Verwendung dieses Stempels ab dem Jahre 1814 kennen. Der untere Teil – zweizeilig HAMBURGH und Datumsangabe – ähnelt dem vorher gezeigten Stempel, die schwarze Farbe könnte auch durch Oxidation der roten Farbe entstanden sein, hier bleiben leider Fragen offen. In jedem Fall aber wurde der Brief nach London und dann darüber hinaus befördert. Es ist ein privater Brief an eine militärische Adresse („Major d`Infanterie“). Aber so sehr man hofft, etwas über militärische Aktivitäten und/oder Transportmöglichkeiten und -wege zu lesen, es geht nur um private Angelegenheiten. Auch dieser Brief muss vom britischen Postagenten in Hamburg behandelt worden sein.
Als Napoléon am 14.10.1806 Hamburg besetzte, musste der Agent seine Tätigkeit aufgeben. Am 21.November 1806 wurde die Kontinentalsperre verhängt, und nun wurde die Korrespondenz mit England noch viel schwieriger.
[1] R.D.Jaretzky. HAMBURGH – ein englischer Stempel. 1965.