Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (27): Achtung, Umleitung! Die Elbblockade ab 1803

Das Bemühen, geschichtliche Begebenheiten durch postalische Zeitzeugen abzubilden oder nachzuzeichnen, erhebt für viele Sammler die Philatelie in den Rang einer Hilfswissenschaft. Und das könnte in diesem Falle zutreffen.

Es geht um den Zeitraum von 1803 bis 1806. Nach dem – brüchigen – Frieden von Amiens (1802) hatte Großbritannien erneut Frankreich den Krieg erklärt, mit der Folge, dass bald darauf die Postverbindungen aus dem Süden Europas nach England unterbrochen waren. Die Postkurse über Calais-Dover oder Ostende-Dover funktionierten nicht mehr. Und jetzt kommt wieder Hamburg ins Spiel. Die Postschiffe Richtung Hamburg sollten, von Harwich kommend, Cuxhaven anlaufen. Ab 1803 aber blockierte England die Elbe und so wurde Tönning Ausweichstation. Von dort wurde dann die Post auf dem Landweg über dänisches Gebiet nach Hamburg befördert und umgekehrt. Hier ein Brief, der in ein neutrales Land ging, in die Vereinigten Staaten von Amerika:

Die Post nach England wurde ebenfalls über Hamburg abgefertigt, wie dieser Brief dokumentiert:

„HAMBURGH – ein englischer Stempel!“ war die Überschrift einer Veröffentlichung von Rolf Dieter Jaretzky im Jahre 1965 [1]. Dieser Stempel ist selten und nur aus den Jahren 1803-1804 bekannt. In seiner Form (und Datumsfolge) sicherlich britischen Ursprungs; jedoch hat es in Hamburg niemals ein britisches Postamt gegeben, vermutlich aber einen britischen Postagenten, der die englische Post als aus Hamburg kommend kenntlich machte, zur Festsetzung des Portos. Im gleichen Artikel erwähnt Herr Jaretzky, dass ihm aus gleicher Korrespondenz – „S. Barber Esq.“ – drei weitere Briefe bekannt seien, alle aus Nimes in Frankreich.

Auch der nächste Brief kommt – vermutlich – aus Frankreich.

Ein Hamburger Turmstempel aus dem Jahre 1806 (?). Ein solcher Stempel war bisher nicht bekannt, es wären immerhin 8 Jahre, bevor wir die Verwendung dieses Stempels ab dem Jahre 1814 kennen. Der untere Teil – zweizeilig HAMBURGH und Datumsangabe – ähnelt dem vorher gezeigten Stempel, die schwarze Farbe könnte auch durch Oxidation der roten Farbe entstanden sein, hier bleiben leider Fragen offen. In jedem Fall aber wurde der Brief nach London und dann darüber hinaus befördert. Es ist ein privater Brief an eine militärische Adresse („Major d`Infanterie“). Aber so sehr man hofft, etwas über militärische Aktivitäten und/oder Transportmöglichkeiten und -wege zu lesen, es geht nur um private Angelegenheiten. Auch dieser Brief muss vom britischen Postagenten in Hamburg behandelt worden sein.

Als Napoléon am 14.10.1806 Hamburg besetzte, musste der Agent seine Tätigkeit aufgeben. Am 21.November 1806 wurde die Kontinentalsperre verhängt, und nun wurde die Korrespondenz mit England noch viel schwieriger.

[1] R.D.Jaretzky. HAMBURGH – ein englischer Stempel. 1965.

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (26): Ritzebüttel „revisited“ oder: Sachen gibt`s, die gibt`s gar nicht….

Einen umfassenden Überblick über die in der Hamburger Enklave „Ritzebüttel“ verwendeten Poststempel hatte ich bereits in meine „Aspekten zur Hamburger Postgeschichte (14) Das Amt Ritzebüttel“ zu geben versucht. Das dachte ich zumindest.

Aber wie soll man über etwas berichten, von dem man gar nicht weiß, dass es existiert?

So erging es mir jedenfalls mit dem in diesem Artikel gezeigten Brief. Ein Rahmenstempel RITZEBÜTTEL aus dem Jahre 1853. Er ist weder im Standardwerk von Dr. Meyer-Margreth [1] noch im Stempelhandbuch der Arbeitsgemeinschaft [2] abgebildet oder beschrieben.

Erst das genaue Studium des „Lenthe“ über die Poststempel von Hannover [3] brachte eine Erklärung:

„Ein ungewöhnlich großer Rahmenstempel von RITZEBÜTTEL, wo seit 1.Januar 1852 ein hannoversches, durch den dortigen hamburgischen Postbeamten mitverwaltetes Postbüro eingerichtet war, ist bisher nur in 2 Exemplaren vom März 1853 (einmal auf Marke 1ggr grün, einmal ohne Marke auf Brief) bekannt geworden, seine Herkunft ist nicht nachweisbar, Hamburg, dessen Stempel sich auch auf Hannover-Marken befinden, hat ihn bisher für sich nicht in Anspruch genommen.“

Hier nun der Stempel:

Ein blauer zweizeiliger Rahmenstempel (57x20mm), datiert RITZEBÜTTEL APR 1  auf einem Brief nach Kirchwärder im Bergedorfer Landbezirk (Vierlande). Vorderseitig mit dem Fußpoststempel, rücks. der Ovalstempel des Hamburger Stadtpostamtes, beide vom gleichen Datum (3.4.1853). Der Brief lief dann nach Bergedorf (roter Zweizeiler rückseitig), und der vorderseitige Rahmenstempel B.L.P.A. (Bergedorfer Landpostamt) bestätigt die Weiterbeförderung über Bergedorf hinaus.

Warum ist dieser Stempel so selten?

Eine mögliche Erklärung ist sicher, dass der Einkreisstempel von Ritzebüttel der – anfangs in schwarzer, später in blauer Stempelfarbe – über viele Jahre Verwendung fand, bereits ab Anfang April 1853 in Gebrauch gewesen sein muss. Im Stempelhandbuch der Arbeitsgemeinschaft [2] wird der 4.4.1853 als frühestens Datum genannt. Vielleicht ist der Rahmenstempel auch kaputt gegangen oder wurde – nach Einführung des Einkreisstempels – bestenfalls noch als Reservestempel verwendet.

Mehrere „Raritätsfaktoren“ kommen bei dem oben gezeigten Brief zusammen. Neben dem ohnehin raren Abgangsstempel noch die seltene Destination „Bergedorfer Landbezirk“ (und dazu noch an die Privatadresse von Pastor Lüders in Kirchwärder…). So soll dieser Brief, der aus der berühmten „Boker“-Sammlung stammt (und auch dessen handschriftliche Notizen rückseitig trägt), im Jahre 1989 bei Köhler in Wiesbaden zum Preis von 5.000 DM zugeschlagen worden sein, einem zur damaligen Zeit „riesigen“ Preis für einen vorphilatelistischen Brief…

 

[1] Meyer-Margreth, Dr.Ernst. Die Poststempel von Hamburg. Hamburg, 1965.

[2] Handbuch der Poststempel von Hamburg bis 1875. Hrsg. Arbeitsgemeinschaft für Postgeschichte und Philatelie Schles-Holstein, Hamburg und Lübeck e.V. Hamburg, 2004.

[3] Lenthe, A.von. Hannover, Postanstalten und Poststempel. Hannover, 1971.

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (25) – Ein „neuer“ Stempel des Hannoverschen Postamtes !?

„6“ ggr.v.d.St.P.

Einen solchen Stempel hatte ich noch nie gesehen. Ein wundervoll klarer Abschlag auf einem Brief aus dem Jahre 1835 von London nach Swinemünde im damaligen Preußen, handschriftlich „6“ eingefügt. Der Brief sollte per Schiff nach Hamburg befördert werden, er zeigt auf der Rückseite den Eingang beim Stadtpostamt und vorderseitig den Abgangsstempel HAMBURG/31.AUG. des preußischen Postamtes. Die Taxierung „P 1/8“ in roter Tinte rechts oben zeigt an, dass der Brief vom Absender als Schiffsbrief freigemacht war („P(aid) 1s./8d.“). In Tinte taxiert „10 3/4“, das waren Silbergroschen, die der Empfänger zu zahlen hatte, nämlich 9 Hamburger Schilling (= ca. 6 3/4 Sgr.) plus 4 Sgr. für den preußischen Anteil.

Ein wunderbarer Brief, werden Sie sagen – alles klar, wenn da nicht der Stempel links oben wäre. „Sechs Gute Groschen von der Stadt-Post“, das hat sich ganz offensichtlich das Hannoversche Postamt vergüten lassen. Die Stempeltype weist eindeutig auf Hannover hin, und die Beschreibung im Auktionskatalog versucht zu deuten: „Vermutlich musste der Brief wegen der zu dieser Zeit grassierenden Cholera-Epidemie von Ritzebüttel über Stade (…) mit der hannoverschen Post (statt üblicherweise mit der Stadtpost) befördert werden (…)“. Das ist eine sehr „ambitionierte“ Interpretation.

Die Cholera-Epidemie grassierte vier Jahre früher, wir kennen das Jahr 1831 als DAS Seuchen-Jahr. Ich glaube daher nicht so recht an diese Erklärung. Möglich wäre immerhin, dass sich die hannoversche Post in Ritzebüttel (Cuxhaven) des Briefbeutels bemächtigt hatte, die vom Londoner Postamt an das Hamburger Stadtpostamt adressiert war. Ähnliche „Freibeuterei“ gab es oftmals mit bremischer Post, zudem wurde die Post in Ritzebüttel für Hamburg und Hannover in Personalunion abgefertigt. Den umtriebigen Postmeister Oelkers habe ich Ihnen bereits in meinen „Aspekten (14) – das Amt Ritzebüttel“ vorgestellt. Die hannoversche Post wollte eben auch am Transport verdienen und verhielt sich oft „übergriffig“. In Chr. Piefkes Werk über die Bremische Landespost werden einige solcher Begebenheiten zitiert. [1] 

Der Vergütungs-Stempel auf dem oben gezeigten Brief darf als Unikat bezeichnet werden – eine erstaunliche Entdeckung nach immerhin fast 200 Jahren! Er ist zudem, wie es in der Auktionsbeschreibung heißt „..der einzig uns bekannte Vergütungsstempel aus dem gesamten Bereich der deutschen Vorphilatelie“. Dennoch bleiben Fragen offen.

Was den Brief zudem einmalig macht, ist sein Absender – es war der berühmte Polarforscher John Ross. Adressiert ist der Brief an den britischen Generalkonsul E.A.Krause in Swinemünde. John Ross hatte im Jahre 1835 zwei Expeditionen zum Auffinden der Nordwestpassage hinter sich und hielt zu der Zeit Vorträge bei verschiedenen „Geographischen Gesellschaften“ in London, Dublin u.a. Wer mehr zu John Ross erfahren möchte, kann dies komprimiert bei Wikipedia nachlesen. Ein bemerkenswertes Denkmal setzt ihm u.a. auch Sir Michael Palin („Monty Python“)  in seinem Werk „Erebus“, in dem es um die Suche nach der Franklin-Expedition geht.[2]

Hier der vollständige Inhalt des Briefes an den Britischen Generalkonsul:

Selten trifft das Attribut „spannend“ so zu wie auf diesen Brief! Lesen Sie weitere Details und Interpretationsmöglichkeiten in dem Artikel von Björn Rosenau „Neu entdeckter Vergütungsstempel…des hannoverschen Postamtes in Hamburg!?“ [3] 

 

[1] Chr.Piefke. Geschichte der Bremischen Landespost. 1947. S.74-77 u.a.

[2] Michael Palin. EREBUS. Ein Schiff, zwei Fahrten und das weltweit größte Rätsel auf See. London, 2018.

[3] Björn Rosenau: Neu entdeckter „Vergütungsstempel“ („ggr.v.d.St.P.) des hannoverschen Postamtes in Hamburg !?“ in Rundbrief Nr.86 (2024) der Arge Hannover und Braunschweig.