„Billwärder – bey der grünen Brücke“ – Die Hamburger Fußpost
Der Brief, den ich Ihnen vorstelle, fällt durch einen besonders sauberen Stempelabdruck der Hamburger Fußbotenpost auf, „Die verschnörkelten Buchstaben „FP“ im Kreis“.
Die Fußpost in Hamburg war eine Institution, die von 1796 bis 1834 eigenständig existierte, danach im Rahmen der staatlichen Hamburger Post bis 1864, also immerhin fast 70 Jahre lang, und dennoch sind von den frühen Stempeln, die bis etwa 1835 in Gebrauch waren, nur recht wenige Stücke erhalten geblieben.
Der Brief kam aus London, der Absender notierte „Craigs Court, 4.Januar 1822“ (Craigs Court ist eine kleine Sackgasse in der Nähe des Trafalgar Squares und war zu der Zeit, als dieser Brief geschrieben wurde, durch seine Nähe zum Königlichen Palast, eine sehr feine Adresse!). Der Brief wurde als Kapitänsbrief nach Hamburg befördert und dann dort dem Stadtpostamt zur weiteren Beförderung übergeben.
Adressiert ist der Brief an einen „Capt. Jones …..Hamburgh“, was wohl für den Fußboten nicht ganz ausreichte, denn in einer anderen Handschrift wurde hinzugefügt „Billwärder“ und – links unten – „bey der grünen Brücke“.
Am 14.Januar hat Capt. Jones den Brief erhalten und dies vorn auf der rechten Seite des Briefes notiert. Die Nachrichten aus England waren sicher nicht beruhigend, wie der Captain auf der Rückseite in einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung notiert: „ From Mr. Greenwood streneously urgeing to return to England…“
Auf der Vorderseite des Briefes ist links oben mit Rötelstift die Taxierung „2“ angebracht, das waren 2 Schilling – die doppelte Rate (des normalen „innerörtlichen“ Tarifes von 1 Schilling) für die Bestellung im Landbezirk.
Im Jahre 1822 war Billwärder, wenn auch gar nicht weit von der Hamburger Innenstadt und vom Hafen entfernt, eine ländliche Gegend. Die Karte, die ich gefunden habe, datiert aus dem Jahre 1830 und zeigt die „Grüne Brücke“ etwas südlich von Bullenhusen; im nördlichen Bereich der Karte erkennt man „Hamm“, westlich „Hammer Holz Hafen“ und im Süden den Verlauf der Elbe, mit Entenwerder, der Veddel und der Peute. Vom heutigen Stadtzentrum sind es vielleicht 8 km Entfernung. Nebenbei bemerkt: Ganz in der Nähe der Grünen Brücke befindet sich heute einer der wichtigsten philatelistischen „Hotspots“ von Hamburg, die Philatelistische Bibliothek!
Der Brief selbst ist fast schon ein „ikonischer“ Hamburg-Beleg. Erich Kuhlmann schreibt in seinem Werk „Die Post im alten Hamburg“ [1]: „Briefe mit Stempelabdruck aus der Anfangszeit der Fußpost sind heute sehr selten“ und bildet diesen Brief auf Seite 48 ab. Er befand sich zu der Zeit der Veröffentlichung (1984) in der Sammlung von W. Diesner.
1822 – das war ja eigentlich gar nicht die „Anfangszeit der Fußpost“, die zu der Zeit ja immerhin schon ¼ Jahrhundert existierte – und doch stimme ich Kuhlmanns Aussage zu, nämlich dass diese Stempel sehr selten sind.
Ein paar andere Belege stelle ich Ihnen hier vor, die zeitlich Einordnung ist manchmal nicht ganz einfach, aber wir versuchen es einmal.
Ein weiterer Brief mit dem „FP“-Kreisstempel, ein sehr originelles Stück in Dreiecksform, mit einer Notiz an den Zimmermeister Schmitt „auf St.Jorg“ (= der Vorstadt St.Georg). Die Notiz hat etwa den folgenden Inhalt: „Die … Taubenklappe ist … zum 3ten mal gänzlich abgerissen… und nun schon wieder fertig gebaut…“
Der Brief datiert aus dem Jahre 1834 und ist mein spätester Beleg für die Verwendung des roten „FP“-Stempels.
Der Ovalstempel „Ganz frey“ wurde laut der „einschlägigen“ (Stempel-) Literatur um das Jahr 1820 herum verwendet. (In der Sammlung von Dr. Ernst Meyer-Margreth, der heutigen Vereinssammlung des Hamburger Vereins für Briefmarkenkunde, befindet sich ein Brief vom 23.12.1820 mit diesem Stempel). Der abgebildete Brief hat keinen Inhalt und ist deshalb leider nicht datierbar.
Wie oben erwähnt, begann die Tätigkeit der Fußpost bereits im Jahre 1797. Aus der frühen Periode kann ich einige Belege vorführen:
Brief aus Rotterdam, bis Hamburg forwarded durch J.D.Klefeker, wie der seitliche Vermerk besagt, an Herrn Peters „auf den neuen Steinweg No.1“ adressiert. Empfangsvermerk 24.Januar 1798.
Brief aus Pyrmont an M.Bremond. Ein ganz entzückender kleinformatiger Brief geschrieben am 23.Januar 1798 „chez grotte maitre cordonnier près le badhaus“, adressiert an den „neuen Steinweg près la porte d`altona No.1“. Empfangsvermerk 28.Januar 1798.
Brief aus Rotterdam, bis Hamburg forwarded durch J.D.Klefeker gemäß Vermerk auf der Briefklappe, adressiert wiederum an Herrn Peters „auf den neuen Steinweg No.1“. Empfangsvermerk 17.März 1798.
Brief aus Plymouth an M. Bremond d`Ars, geschrieben am 6.April und adressiert an „Neuen Steinweg No.1“. Empfangsvermerk 27.May 1798.
Alle vier Briefe stammen also aus dem Jahre 1798 und der Fußpoststempel ist stets die (erste) Type, mit dem verschnörkelten FP und der Uhrzeit darunter. Interessant ist die stets gleiche Adresse (auf dem neuen Steinweg No.1), obwohl es verschiedene Empfänger waren, der eine, M.Peters, offenbar ein Kaufmann aus Rotterdam, der andere ein französischer Adliger „auf Tour“ durch Europa. (Die Familie Bremond d`Ars ist eine sehr alte französische Adelsfamilie, die sich bis ins 14.Jahrhundert zurückverfolgen lässt.)
Ich vermute, dass sich an der Stelle „Neuer Steinweg No.1“ ein Wirtshaus befand, wo vermutlich die Post abgeliefert wurde, vergleichbar dem Londoner „coffee house“-System.
Der letzte Brief, den ich vorstelle, datiert vom 18.August 1800. Er ist adressiert an einen M. Dafraiche per Adresse „alter Wandrahm“ und der Absender kam aus Wandsbeck. Hier sieht man eine andere Stempeltype, „FP“ steht etwas schräg und die Uhrzeitangabe ist waagerecht darunter und nicht mehr halbseitlich wie bei der ersten Type.
Während der letzten 30 Jahre habe ich Auktions- und Festpreisangebote dieser Fußpoststempel verfolgt, und ich habe nicht sehr viel mehr als die hier gezeigten Exemplare gesehen. Die Hamburger Stadtpost, also die Fußbotenpost, musste auch nicht, wie fast alle anderen Postanstalten, während der Franzosenzeit von 1806-1813 ihren Dienst einstellen. Und dennoch – wo sind die Korrespondenzen geblieben, die von dieser Einrichtung „verarbeitet“ wurden und auf denen man eigentlich solche Fußpoststempel finden müßte?
Für die relative Seltenheit gibt es meiner Meinung zwei entscheidende Gründe.
Zum einen: die Fußpost beförderte keine Post aus Hamburg hinaus, sondern war mehr oder weniger ein Kurierdienst innerhalb der Hamburger Stadtmauern inklusive der Vorstadt (und der Landgebiete, wie das erste Beispiel zeigt). Nachrichten recht trivialer Art (wie z.B. die Nachricht an den Zimmermeister Schmitt über den erfolgreichen Bau einen Taubenschlages, s.o.!) wurden in der Regel auch nicht aufgehoben.
Zum anderen hat es in Hamburg keine großen Archive wie z.B. die französischen Weinarchive gegeben bzw. haben keine das große Feuer 1842 (mit der Zerstörung von größten Teilen der Hamburger Innenstadt) und die beiden Weltkriege des 20.Jahrhunderts überlebt.
Als die Hamburger Fußpost im Jahre 1835 in die staatliche Hamburger Stadtpost überging, stieg auch das Postaufkommen gewaltig an. Es kamen die nierenförmigen „F.P.“-Stempel in Verwendung. Gute Abschläge davon sind zwar keine Massenware, aber doch recht häufig zu finden. Ich werde dazu in einem anderen Kapitel einige Besonderheiten vorstellen.
[1] Erich Kuhlmann. Die Post im alten Hamburg“. Postgeschichtliche Blätter Hamburg 1984/Heft 27.