Nun war es also soweit: Am 1.Januar 1859 erschienen die ersten Freimarken, und es waren gleich 7 (sieben) verschiedene Wertstufen. Das war (und blieb) bei den Deutschen Staaten einmalig, denn kein altdeutscher Staat hatte es bisher auf mehr als sechs verschiedene Wertstufen gebracht. In der schon im vorigen Kapitel zitierten Bekanntmachung der Postverwaltungsdeputation vom 27.Dezember 1858 wird genau aufgeführt, welche „Sorten“ es gab, welche Farbe diese haben und für welche Zwecke die einzelnen Werte zu gebrauchen waren. Die Bekanntmachung ist vollständig auf dieser Webseite hinterlegt; wer die Muße hat, sollte sich die einzelnen Bestimmungen einmal durchlesen.
Zunächst einmal: alle Freimarken wurden ohne Perforation gedruckt, was die Postabfertigung nicht unbedingt beschleunigt haben dürfte, und die Mindestabnahme betrug 8 Stück pro Sorte, nämlich eine komplette horizontale Reihe.
Durch Zufall – und Übereinkunft – zur „Nummer 1“ in allen Katalogen wurde die kleinste Wertstufe zu 1/2 Schilling, schwarzer Druck. Zu verwenden war sie nur für die Frankierung von Zeitungen und Drucksachen; selbst die Brieftaxe für Ortsbriefe betrug 1 Schilling, und das noch bis zum Jahre 1865, bevor das Stadtbriefporto auf 1/2 Schilling abgesenkt wurde. Da die Hamburgischen Marken nie ungültig wurden, wäre natürlich die Verwendung als Ortsporto nach dem 1.1.1865 möglich gewesen, aber zu dem Zeitpunkt war ja schon die zweite, die gezähnte Ausgabe erschienen.
Viererblock mit zwei postfrischen Exemplaren der ersten Hamburger Briefmarke
Vom linken Rand mit Reihenzahl „6“
Rechte obere Bogenecke mit Randinschrift und Reihenzähler „1“
Feiner Strichstempel
Vom rechten Bogenrand mit Reihenzahl „6“
Drucksachenhülle nach Jever. Innen ist noch ein zarter Abdruck der ehemals einliegenden Geschäftsdrucksache zu sehen.
Der nebengesetzte Schmetterlingsstempel vom 2.Juli 1860 dokumentiert die zeitrechte Verwendung als Drucksachenfrankatur. Das Stück stammt aus der berühmten „Traber“-Sammlung.
Und damit geht es schon zur nächsten Wertstufe, der Marke zu 1 Schilling braun. Dieser Wert wurde zum größten Teil im Ortsverkehr gebraucht, und die Vorräte wurden auch aufgebraucht, denn größere ungebrauchte Restbestände sind nicht erhalten geblieben.
Linkes Randstück
Paar mit vollständiger Originalgummierung
Es gibt einige verschiedene Stempel, die auf der 1 Schilling-Marke zu finden sind:
Der lange Strichstempel 57mm
Der „normale“ Strichstempel
Schmetterlingsstempel vom März 1860
Ovalstempel vom August 1864
Der erste Strichstempel war 57mm lang und ist eigentlich nur auf Briefen oder großen Briefstücken einmal komplett zu sehen:
Die Adresse auf diesem Brief wurde ausgeschnitten und wieder ergänzt. Zum „Zeigen“ des langen Stempels ist er aber ein gutes Beispiel.
Ortsbrief an Frau Senatorin Versmann in der Milchstrasse in Pöseldorf
2-Schilling-Frankatur nach Cuxhaven. Ist der kleine Punkt oben rechts am „M“ ein Vorstadium der Abart oder nur ein Fliegenschiss?
Bei dem rechten Brief erwähnt das Attest bei der linken Marke eine kleine Druckzufälligkeit: „kleiner Punkt oben am M von HAMBURG“:
Die kleine Druckzufälligkeit
Der als Plattenfehler im Michel gelistete Punkt
Hier noch einmal auf einer gestempelten Marke
Die beiden anderen hier gezeigten Marken zeigen den Plattenfehler „Mi.Nr. 2 I“ . Kann sich aus der Druckzufälligkeit der Plattenfehler entwickelt haben? Über das Thema „Abarten“ beim Sammelgebiet Hamburg wird noch zu sprechen sein…
7 Schilling – Porto nach England, mal „etwas anders“ dargestellt..
Zum Abschluss des Kapitels „1 Schilling“ noch etwas ganz Feines: Darstellung des 7-Schilling-Portos nach England durch 1x 1 plus 2x 3 Schilling. Buntfrankaturen der ersten Markenausgabe sind sehr selten; das „Publikum“ war angehalten, möglichst „passend“ zu frankieren, und der 7 Schilling-Wert war ja eigentlich vorhanden!
Jetzt geht die Post ab nach Lübeck!
Der 2-Schilling-Wert war für den Tarif nach Lübeck verausgabt worden.
Die rechte obere Bogenecke zeigt die Reihenzahl „1“
Mit dem nebengesetztem Schmetterlingsstempel lässt sich die Verwendung genau datieren
Auch der linke Rand mit Reihenzählern
Teil der oberen Bogeninschrift
2 Briefe nach Lübeck –
– unterschiedliche Strichstempel
…und von Lübeck nach Bremen. 3 Schilling war der Tarif dorthin, und erstaunlicherweise nur 6 Schilling nach New York, wenn denn der Brief direkt von Hamburg per Dampfboot befördert wurde.
Unterrandstück ohne Gummierung
Die beiden unteren Marken sind postfrisch
Randstück und Schmetterlingsstempel aus dem Jahre 1859
Die Abart „Zweites „l“ an der Basis verkürzt“
3 Schilling nach Bremen. Die Marke zeigt die bekannte Abart von Feld 7 im Bogen, vergrössert oben dargestellt
„Reicht nicht“ – das Porto nach Oldenburg wäre mit 3 Schilling normalerweise völlig korrekt gewesen. Aber vielleicht war der Brief schwerer und wurde daher nachtaxiert?
6 Schilling nach New York, aber nur bei Beförderung per Dampfboot von Hamburg
Die Wertstufe zu 4 Schilling gibt es in zwei Farbnuancen: „gelbgrün“ und „bläulichgrün“. (Der „Michel“-Katalog macht es wissenschaftlich-komplizierter und bezeichnet die Farben als „dunkelgelblichgrün“ und „(dunkel)grünoliv“; das mag nun jeder seinem Gusto handhaben, ich bleibe bei den altbekannten Farbbezeichnungen, die jahrzehntelang in allen Attesten Gültigkeit hatten…)
gelblichgrün als Bogenecke…
… und bläulichgrün
Das Farbenspiel gestempelt
Gelblichgrün mit Originalgummierung
Dieser Viererblock hat das Wasserzeichen „Turm“ bzw. das Hamburger Wappen
Ohne Gummierung – die Bogeninschrift „macht was her“
Doppeldruck – bläulichgrüne Nuance
Schon ziemlich selten – nach Helgoland im Juli 1859. Das 4-Schilling-Porto fand nur auf Briefen nach Helgoland und einigen Orten im Oldenburgischen Verwendung
Der 4-Schilling-Wert der 1859er Ausgabe auf Brief ist meiner Meinung nach das „Pièce de Résistance“, eben weil die Verwendungsmöglichkeiten sehr eingeschränkt und das Postaufkommen nach Helgoland und nach Oldenburg nicht eben sehr hoch waren. Der 9-Schilling-Wert, zu dem wir gleich kommen, notiert in den gängigen Katalogen zwar ebenso hoch, ist aber deutlich häufiger anzutreffen.
7 Schilling war das Porto u.a. nach Amsterdam und nach London, nach Großbritannien allerdings erst ab dem 1.7.1859 (vorher kostete es 9 Schilling). Hamburg – London, das war seit Jahrhunderten eine „innige“ Beziehung; Kaufmannsbriefe zwischen beiden Städten beginnen mit den „Corsini“-Korrespondenzen. Ich habe diese schon in den „Aspekten zur Hamburger Postgeschichte Teil (1)“ ausführlich beschrieben. Mit Marken frankierte Briefe sind keine Raritäten, aber in ordentlicher Erhaltung kann man manchmal etwas länger suchen.
Ein Viererblock vom rechten Rand
Bogenecke – auf den breiten Rändern kann man Radfahren!
Der Strichstempel gut datierbar
Ovalstempel ist seltener zu finden
Sogar eine gestempelte Bogenecke
und noch einmal vom rechten Rand
1863 – der Ankunftstempel beweist: Beförderungszeit 2 Tage!
Last but not least – die Wertstufe zu 9 Schilling. Die wurde im ersten Halbjahr 1859 für die Korrespondenz nach England gebraucht, danach finden wir sie nur noch auf Übersee-Briefen. Es gibt von der Marke eine frühe Auflage, gedruckt in hellem Gelb, die späteren Ausgaben gehen in gelb-orange Farbtöne über. Diese Farbunterschiede sind seit langem bekannt, eine Unterscheidung in den Katalogen findet bei diesem Wert (im Gegensatz zur 4-Schilling-Marke, s.o.) nicht statt.
Helle Farbe – schöner Viererblock
Nochmals frühe Auflage, hier vom Oberrand mit Teil der Bogeninschrift
Hier kann man die Farben der verschiedenen Auflagen einmal gut sehen
Am 2.April 1859 nach London – Ankunft schon 2 Tage später
Ich mag diesen Brief aus einem besonderen Grund. Er stammt aus der berühmten „Berkefeld/Mesters“- Korrespondenz. Die meisten dieser Briefe wurden in der Anschrift verändert, und zwar überschrieb man „Berkefeld“ in „Wüstenkopf“. Das war Datenschutz in analoger Form, und vielleicht wollte man auch die Herkunft verschleiern… Hier ist ein Brief in ursprünglicher Form, taufrisch und über 100 Jahre vor Sonne geschützt in einem Archiv verwahrt.
Und wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind, haben Sie „Hamburg komplett bis 1863“ gesehen. Dann kam im Jahre 1864 die Post nach Schleswig-Holstein und Dänemark dazu, die vom Stadtpostamt bewältigt werden musste, und die Postautomatisation in Form von perforierten (gezähnten) Marken nahm auch in Hamburg ihren Lauf.
Wie Alles begann – die ersten Briefmarken in Hamburg
„My dear Susel“ – so beginnt der Brief, den Henry Carew Hunt am 9.Juni 1840 in Hamburg an seine Frau in England schrieb. Der Kaufmann Mr. Hunt, der auch eine Niederlassung in Hamburg besaß, vertraute den Brief wohl dem Kapitän eines Schiffes an, das nach England ging, und dieser übergab ihn in London der Post, die den Brief dann an seine Empfängerin expedierte. Die neuen Postwertzeichen waren in England gerade einen Monat vorher „erfunden“ worden und die Briefgebühr von 1 Penny war natürlich ein ganz anderer Schnack als die sonst fälligen 1sh/6d., die normalerweise als Gebühr von Hamburg fällig gewesen wären.
Der erste mit einer Briefmarke frankierte Brief aus Hamburg
My dear Susel… – so beginnt er
„Hamburgs ältester Brief“ titelte die BILD, als ich das Stück vor ca. 15 Jahren versteigerte. Das stimmt natürlich nicht ganz, denn die frühesten Handelskorrespondenzen aus Hamburg datieren in das 16.Jahrhundert zurück, aber man sicher sagen, dass dieses Poststück der optimale Beginn einer Hamburg-Sammlung sein könnte, die das Thema „Postwertzeichen“ zum Inhalt hat.
Ich kenne einige Briefe aus verschiedenen europäischen Ländern, die nach England liefen und mit einer „Penny Black“ frankiert sind, interessanterweise stammen sie alle aus dem Juni oder Juli 1840.
Im „London Philatelist“, dem Journal der Royal Philatelic Society in London, erschien im September 2018 ein Artikel, der die Verwendung des ersten Postwertzeichens der Welt auf Briefen aus fremden Ländern thematisierte. Patrick Maselis, der damalige Präsident der „Royal“, stellte einen Brief mit der Penny Black – aus Antwerpen kommend – vor und schrieb mir dazu, „dies sei der ultimative Beginn seiner Sammlung und logischerweise die „Seite 1“ seines Belgien-Exponates.
Der hamburgische Postbeamte hat im Jahre 1840 den oben gezeigten Brief natürlich nicht gesehen, aber die – praktische – Idee einer „Briefmarke“, also einer Quittung für eine zu erbringende Dienstleistung, sollte ihm bekannt gewesen sein, denn sehr viele europäische und überseeische Länder hatten ja in den 1840er und 1850er Jahren Postwertzeichen eingeführt, und die klebten auf vielen Briefen, die nach Hamburg kamen oder über Hamburg liefen. In Hamburg benutzten ja auch schon die „fremden“ Postämter von Hannover, Mecklenburg, Preußen und Thurn & Taxis Freimarken.
Und man darf doch gern die Frage stellen, warum es in Hamburg, dieser großen Handelsmetropole mit ihrer doch so oft zitierten weltoffenen Kaufmannschaft und der Drehscheibe für fast alle Post, die in Nord-Süd und West-Ost-Richtung lief, noch fast 20 Jahre dauerte, bis man auch hier von dieser großartigen Erfindung Gebrauch machte und selbst Briefmarken verausgabte!
In den Protokollen der Senatsdeputation, die im Hamburgischen Staatsarchiv verwahrt sind, findet sich die erste Erwähnung „zur Einführung von Briefmarken“ erst im November 1857, und es wurde im Jahre 1858 noch einige Male über das Für und Wider gestritten, ehe ein Beschluss dann endlich am 6.Dezember 1858 gefasst wurde.
.. Erleichterung des Postverkehrs durch Freimarken…
Was passiert nun „vorher“, also bevor das fertige Produkt, die Briefmarke, an der Post erhältlich ist?
Am Beginn eines klassischen Briefmarkenexponats sollten Entwürfe und Probedrucke stehen. Das sagen nicht nur die Empfehlungen der Sammlerverbände und der Juroren – mit dem Blick auf „großes Gold“ für das Exponat -, das ist meiner Meinung nach auch völlig logisch, denn bevor ein solches Endprodukt wie die Briefmarke an die Postschalter zum Verkauf kommt, müssen Entwürfe gefertigt und den entsprechenden Dienststellen vorgelegt, müssen – politische – Entscheidungen getroffen werden, nicht zuletzt muss der Drucker Farbproben und Probedrucke vorlegen, bevor der zuständige Minister oder Senator das finale „Go“ gibt.
So ist das Prozedere auch heute noch und es war sicher auch so in Hamburg im Jahre 1858 – könnte man meinen.
Die Frage, der ich gern nachgehen möchte, lautet: Gab es in Hamburg Entwürfe und/oder Probedrucke für die ersten Freimarken?
Die Aktenlage dazu im Hamburger Staatsarchiv gibt dazu, wie ich gleich zeigen werde, keine endgültige Aufklärung. Gab es Anordnungen, Senatsbeschlüsse oder gar Entscheidungs-Findungs-Kommissionen oder „Arbeitskreise“?
Eine gute Fundstelle ist der Bericht der Post-Deputation an Syndikus Dr. Merck vom März 1858.[1] Der unterzeichnende Vorsitzende C. G. Hencke berichtet von seinen Korrespondenzen mit „London, Wien. Berlin und München“ und den dort gemachten Erfahrungen mit Freimarken. Kostenvoranschläge der Druckerei Meißner und des Graveurs Siegmund wären einzuholen, und dann kommt er auf die Gestaltung der Freimarken zu sprechen:
„Eine weitere Frage, die schon jetzt näher festgestellt werden kann, ist die Form, oder vielmehr das Aussehen (das Bild) der anzuschaffenden Freimarken. Wird es auch nicht sehr schwierig seyn, 7 verschiedenartige Farben für die Marken zu finden, so ist es doch nicht zweckmäßig die Farbe, wenn auch nicht allein, so doch als hauptsächliches Unterscheidungszeichen gelten zu lassen, da diese, namentlich bey Lampenlicht, leicht täuschen. So sind z.B. die dem Preussischen Schreiben anliegenden Marken zu 6 Pfennig und ein Silbergroschen bey Licht schwer zu unterscheiden. Ein weiteres Erkennungszeichen ist die Ziffer, wenn solche nur deutlich und in gehöriger Größe angebracht ist. Fast alle mir bekannten Freimarken, sowohl im In- und im Auslande, haben den Fehler, daß die Ziffer, die darauf angegeben, viel zu klein und daher undeutlich ist, mit alleiniger Ausnahme derer, der Thurn & Taxischen und Hannoverschen Verwaltung, von denen untenstehend ein Exemplar aufgeklebt ist. Dem Zwecke der Deutlichkeit ganz besonders entsprechend, und daher auch am besten als Muster für die Hamburgischen dienend, sind die Thurn & Taxischen (…)
…am besten als Muster für die Hamburgischen dienend, sind die Thurn & Taxischen…
Ich möchte vorschlagen, die Hamburgischen Marken den Thurn & Taxischen im Prinzip ähnlich , so anfertigen zu lassen, dass das, in guillochirter Manier angefertigte Hamburger Wappen, als Untergrund dient und die jedesmalige Ziffer wenigstens in derselben Größe, wie die auf den taxischen Marken gewissermaßen als Sargschild auf dieses Wappen gelegt würde. Zu dem Rande könnte dann, zu beiden Seiten das Wort: „Hamburg“ , oben „Schilling“ und unten „Freimarke“, zu stehen kommen. Wird dann noch eine, von der auf den Taxischen Marken verschiedene, Randverzierung gewählt, so werden sich beide Sorten, selbst bei ganz gleicher Farbe, sehr leicht voneinander unterscheiden lassen. Auf die Hannoverschen Marken ist eine mehr [Künstelei] verwandt, und eben dadurch zeichnen sie sich weniger durch Deutlichkeit aus (…)“
Herr Hencke, der der Vorsitzende der Postverwaltungs-Deputation, also der Postdirektor war, beschreibt also die späteren Hamburger Briefmarken ganz genau, und wenn Ihnen der Name bekannt vorkommt: C.G.Hencke ist als Entwerfer der ersten Briefmarken Hamburgs in allen Katalogen genannt. Aber in dem ganzen Bericht, der über viele Seiten geht und den Sie auszugsweise oben lesen, findet sich keinerlei Erwähnung von Entwürfen oder Proben oder gar Mustern von Briefmarken.
Im Jahre 1935 erschien eine Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für Briefmarkenkunde Hamburg [2]. Darin berichtet Richard Weißenburg in seinem Beitrag „Die Hamburgischen Briefmarken 1859-1867“ von seinen „viermonatigen“ Studien im Hamburger Staatsarchiv, bezüglich der Einführung von Freimarken. Er schreibt: „Es haben der Deputation auch mehrere Proben vorgelegen, doch konnte ich in den Akten keine mehr finden; auch in der mir vorgelegten Staats-Freimarkensammlung, die im Staatsarchiv verwahrt wird, sind die Proben nicht vorhanden.“
Eventuelle Proben waren also schon 1935 nicht mehr vorhanden, aber Richard Weißenburg haben offensichtlich Akten vorgelegen, in denen von „Proben für die Deputation“ die Rede war. Die Staats-Freimarkensammlung existiert heute nicht mehr, ebenso sind einige Akten, die Weißenburg erwähnt, nicht mehr im Staatsarchiv zu finden. Im 2.Weltkrieg wurden Teile des Archives vernichtet, vielleicht waren diese Akten bzw. auch die Sammlung darunter.
Von jetzt ab dauerte es nur noch ein Dreivierteljahr, bis die ersten Briefmarken an die Postschalter kamen.
Hin und wieder werden Probedrucke von Hamburg angeboten, von denen ich Ihnen einige vorstellen möchte:
„Proben…je Einzelabzug auf Kleinbogen, ex Dr. Schröder-Sammlung“. So beschrieben bei der Firma Grobe, die im Jahre 1966 die Schliemann-Sammlung versteigerte
Ich glaube nicht, dass es sich hier um Probedrucke handelt, die VOR Erscheinen der Briefmarken gefertigt wurden. Die Wertstufe zu 2 ½ Schilling wurde erst 1864 – nach Übernahme der dänischen Post – gebraucht, der gezeigte Probedruck gibt sogar die neue, erst 1867 erschienene 2 ½ Schilling-Marke wieder.
Die 4- und 9-Schilling-Werte sind auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt und ich könnte mir vorstellen, dass diese mit der Entstehungsgeschichte der ersten Hamburger Markenserie in Zusammenhang stehen, vielleicht sind es sogar solche, die in den – Richard Weißenburg im Jahre 1935 – vorgelegten Akten früher enthalten gewesen waren. In der Beschreibung eines 4 Schilling-Wertes aus der „Sellschopp“-Sammlung, die im Jahre 1997 bei der Firma Köhler versteigert wurde, las ich: „zur Vorlage beim Senat“ – eine Quelle dafür konnte ich nicht finden.
Auch das Kohl-Handbuch [3] schreibt, dass „…Farbproben auf WZ-Papier…existieren, so dass sie offenbar schon 1858 für die erste ungezähnte Ausgabe angefertigt wurden…“. Ich weiß nicht, auf Grund welcher Erkenntnisse Dr.Munck das Jahr „1858“ genannt hat, auch sind die oben gezeigten Farbproben auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt.
Als Probedruck auf Wasserzeichen-Papier beschrieben und attestiert
Nicht zu verwechseln mit der ungezähnten Mi.Nr. 15 U. Die Farbe ist ganz anders.
3 Schilling blau Randstück – nicht zu verwechseln mit der Nr. 15U, die ja eigentlich die gezähnte 3 Schilling ist und ungezähnte Stücke aus unfertigen Restbeständen stammen (anderes Blau, Druck weniger klar) – mit Wasserzeichen! –
Vom Rand mit Reihenzähler. Das Wasserzeichen ist fast schon von vorn zu erkennen!
Die Farbproben des 7-Schilling-Wertes wurden auf Papier mit Wasserzeichen gedruckt. Die bräunlichen Farben ähneln verdächtig der späteren 7-Schilling-Marke (Mi.No.19), die ja erst im Jahre 1865 erschien. 1859 war der 7-Schilling-Wert ja noch orange…
Es gibt in der mir zur Verfügung stehenden Literatur und auch nicht in den Akten des Hamburger Staatsarchivs Anhaltspunkte, die diese oder irgendwelche anderen Proben auf die Zeit vor dem 1.Januar 1859, dem Erscheinungstag der ersten Briefmarken, datieren.
Auch der gängige (Michel-) Katalog gibt zum Produktionsjahr der Probedrucke keine Auskunft. Ebenso finden sich im Werk von Peter U.Theuss, der „Bibel“ für alle Entwürfe, Proben und Essais der altdeutschen Staaten, keine Hinweise auf das Jahr der Herstellung. [4]
Ich besitze einen der frühesten Briefmarkenkataloge überhaupt. Er erschien – bereits in 5.Auflage (!) – im Jahre 1864, der Herausgeber war Mount Brown [5]. Unter „Hamburg“ werden bereits „proofs“ gelistet; einige der Farben sind oben abgebildet.
Fassen wir zusammen: Es gibt keine gesicherten Anhaltspunkte, dass es von Hamburger Briefmarken Probedrucke oder Entwürfe gibt, die vor Erscheinen der Marken am 1.1.1859 produziert wurden. „Zeitgenössisch“, d.h. während der Zeit Hamburgs als eigenes Markenland, sind die gezeigten Probedrucke bzw. Farbproben aber allemal.
Die „Postverwaltungs-Deputation“ machte dann dem Publikum am 27.Dezember 1858 – also 4 Tage vor dem „Start“ – die Einführung von Freimarken beim Stadt-Postamte zum 1.Januar 1859 bekannt. Zu dem Zeitpunkt konnte man in England seine Post schon fast 20 Jahre lange mit Briefmarken frankieren!
[
[1] Staatsarchiv Hamburg. Extractus Protocolli Senatus Hamburgensis. Einführung von Briefmarken. Sign. 111-1_1124
[2] Hamburg, seine Postgeschichte, Postwertzeichen und Poststempel. Festschrift zur Erinnerung an die 50jährige Wiederkehr des Gründungstages des Vereins für Briefmarkenkunde zu Hamburg von 1885. Hamburg. 1935.
[3] Dr.H. Munck.KOHL-Briefmarken-Handbuch. 11.Aufl. Band IV, S.407
[4] Peter U.Theuss. Postwertzeichen und Ganzsachen. Entwürfe, Essais, Probe und Sonderdrucke Deutschland (Bd. II). Toronto. 1996.
[5] Catalogue of British, Colonial and Foreign Postage Stamps by Mount Brown. Fifth Edition. London. 1864
Ein sehr interessantes Thema ist die Behandlung der Post in Zeiten von Seuchen. Man ging früher davon aus, dass durch das Übergeben („von Hand zu Hand“) von Briefen oder Paketen möglicherweise auch Krankheiten übertragen werden konnten und ersann daher verschiedene Möglichkeiten, Briefe und andere Postsachen zu desinfizieren. Das geschah insbesondere durch Eintauchen in Essigwasser oder durch Räuchern von Poststücken in speziellen Räucherkammern. Hierfür wurden die Briefe oftmals vorher mit Messern geschlitzt oder mit Nadeln durchstoßen, so dass der Rauch die Briefschaften sozusagen „durchströmen“ konnte.
Den Nachweis einer Desinfektion ist bei frühen Briefen nicht immer sicher zu erbringen; oftmals sind bräunliche Verfärbungen im Briefpapier, die von der Reinigung mit Essigwasser herrühren und die dann meist gehäuft in bestimmten Jahren zu finden sind , die einzigen Zeugnisse. Erst ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts wurde dann vielfach durch einen entsprechenden Stempel auf der Briefschaft die Prozedur der Desinfektion dokumentiert. Aus Hamburg kennen wir die Cuxhavener Quarantäne-Stempel, von denen ich einige schon in einem vorherigen Beitrag gezeigt habe. (www.schwanke-philatelie.de/2021/04/aspekte-zur-hamburger-postgeschichte-14-das-amt-ritzebuettel/)
Die Cuxhavener Quarantäne-Stempel sind fast immer auf Post zu finden, die von – meist – überseeischen Gebieten nach Hamburg hereinkam. Ich habe einen Brief gefunden, bei dem dieser Stempel auf ausgehender Post zu sehen ist:
1831 von Bremen nach London
Dieser Brief kam aus Bremen und wurde vermutlich über die hannoversche Postroute nach Ritzebüttel/Cuxhaven befördert und dort als ausgehende Post vom Amtmann Hartung „behandelt“. Bei der Ankunft in England hat man ihn dann noch ein zweites Mal desinfiziert, mittels Räucherschlitzen und wohl auch Essigwasser, und zwar in Queensborough.
Findet man Desinfektionsstempel auf Post aus z.B. dem Mittelmeerraum relativ häufig, so sind solche aus nordischen oder norddeutschen Ländern eher selten zu finden. Im Sommer des Jahres 1831 brach in Russland die Cholera aus und verbreitete sich rasch über den baltischen Raum nach Westen. Hamburg war stark betroffen.
1831, dieser Brief hat Hamburg gar nicht berührt. Er wurde aus Schweden an das Königlich Schwedische Generalkonsulat in Lübeck gesandt.
Sie sehen die kleinen Löcher im Briefpapier – das sind Zeugnisse einer Desinfektion, die vermutlich in Greifswald oder Stralsund vorgenommen wurde. In dem vorzüglichen Werk von K.F. Meyer „Desinfected Mail“ wird dieser Brief beschrieben. [1] Es kommt – wie so oft – auf den Inhalt an:
Anordnung vom 17.Oktober 1831 „Choleraausbruch in Hamburg“. Auf der zweiten Seite die Auflistung der Städte, die betroffen sind, mithin also die gesamte Ostsee-Küste. Die kleinen Durchlochungen („Rastellöcher“) im Briefpapier sind gut zu sehen.
1831, 27.8. aus GÖTHEBORG
Dieser Brief aus Schweden nach Amiens wurde über das K.S.&N.P.C. (=Königlich Schwedisches & Norwegisches Postcontor) in Hamburg abgefertigt und lief über das preußische Postamt nach Frankreich (CPR4 = Correspondance Prusse 4.Rayon), wo er beim Grenzübertritt geschlitzt und geräuchert wurde. Dies ist insofern ungewöhnlich, als Post aus Skandinavien während der Cholera-Epidemie möglichst unter Umgehung Hamburgs nach Süden geleitet wurde.
Mecklenburg war sehr vorsichtig. Ein Brief aus dem hannoverschen Stade über Hamburg nach Mecklenburg. In Hamburg dem mecklenburgischen Postamt übergeben (Zweizeiler Hamburg/31.12.1831), adressiert nach „Golchen bei Brühl“. Der Brief wurde an der Grenze desinfiziert – Rastellöcher und der kleine Kreisstempel SAN.ST. mit dem Büffelkopf. Dieser Stempel ist sehr selten, ich kenne außer diesem Brief nur einen weiteren, der in den Büchern von K.F.Meyer und C. Ravasini abgebildet ist. Dazu heißt es dort: „…cholera was very much feared and the letters were destroyed.“ [2]
Aber nicht nur im Norden war man in Bezug auf die Cholera in Hamburg auf dem „Quivive“. Post aus Hamburg wurde eben auch an anderen Stellen „behandelt“. Hier kann ich einen Paketbegleitbrief zeigen, der vom hannoverschen Postamt in Hamburg abgefertigt wurde und nach Braunschweig ging:
Adressiert an das „Herzogliche Staatsministerium in Braunschweig“. Deutlich sind die Rastellöcher zu sehen
GERÄUCHERT – klare Ansage für den Empfänger!
Rasteleisen: Wie dieses Gerät funktionierte, kann sich jeder denken…
Post nach Frankreich wurde in Hamburg vom Thurn & Taxis`schen Postamt abgefertigt. Die Behandlung gegen die Seuche fand aber meines Wissens nicht in Hamburg statt, sondern erst nach dem Grenzübergang; jedenfalls ist in der mir zugänglichen Literatur kein Hinweis zu finden, dass sich in Hamburg (mit Ausnahme der Cuxhavener Quarantäne-Station) eine „Contumaz“- oder Seuchenstation befand.
Brief vom 2.September nach Bordeaux. Deutlich sind zwei parallele Schlitze zu sehen, auch zeigt das Papier Verfärbungen, die von der Behandlung mit Essigwasser herrühren.
Brief vom 21.Oktober. Hier ist die Behandlung durch ein Rasteleisen erfolgt.
Interessant ist der Inhalt, den ich als Auszug wiedergebe:
„Die Cholera Krankheitsfälle steigen leider; von gestern bis heute, erkrankt 40, gestorben 12, genesen 6. In Summe jetzt: erkrankt 302, gestorben 133, genesen 17, bleibt Bestand 152. Man wird aber immer ruhiger, denn auch hier beurkundet es sich, dass bei vorsichtiger Lebensweise nicht viel zu fürchten, und bei gleich ärztlicher Hülfe, beim ersten Anfange, Rettung gewiß ist. Die bis jetzt Gestorbenen sind entweder solche, die prädisponiert waren, oder solche, die nach begangenen Diätfehler oder Erkältung zu spät Hülfe nachsuchten. Dergleichen leichtsinnige Leute giebt es in einer großen Stadt viele, und es ist daher kein Wunder, wenn Viele ergriffen wurden.“
Ebenfalls nach Bordeaux lief der folgende Brief
5.November 1831 – 14 Tage später
Auch hier beziehen sich Teile des Inhalts auf die Cholera:
„In Geschäften Stille, die Cholera ist hier seit mehreren Tagen sehr im Abnehmen wie aus anl. Bericht zu ersehen belieben. Wären nicht noch manche Störungen durch Absperrungen, man würde von der Krankheit nicht mehr reden, da überall nicht mehr darauf reflektiert wird.“
Es bleibt zu erforschen, warum der erste Brief nach Bordeaux Räucherschlitze aufweist, die beiden anderen jedoch „gerastelt“ wurden.
1832, 31.1. Von Hamburg nach Lyon „Gereinigt in Frankfurt a/M.“
Ende Januar 1832 war in Hamburg die Cholera-Epidemie vorbei, dennoch wurde dieser Brief sogar zweimal desinfiziert – in Frankfurt a./M. und beim Grenzübertritt nach Frankreich (Rastellöcher für die „Durchräucherung“). Der Ovalstempel „Gereinigt in Frankfurt a./M.“ ist recht selten, dies hier ist, soweit mir bekannt ist, der späteste Abschlag.
In Hamburg selbst erschienen Extra-Ausgaben der Hamburgisch-Altonaischen Nachrichten zur Cholera-Epidemie, hier zwei Beispiele:
Neben den statistischen Zahlen findet man in den Innenteilen der Zeitungen auch Ratschläge, wie man sich verhalten solle. Formulierungen und „erhobene Zeigefinger“ ähneln sehr denen, die wir heute – noch unter dem Eindruck der Corona-Jahre 2020-2022 – meinen, doch alle schon einmal gehört zu haben…