Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (16) – Zeitzeugen: Die Bombardierung von Kopenhagen.

Zeitzeuge sind sie eigentlich ja alle, die Briefe, die aus alten Zeiten erhalten sind und deren Inhalte über das Leben und Arbeiten vor 200 Jahren Auskunft geben. Der Brief, den ich heute vorstelle, ist aber außergewöhnlich. Er ist ein Zeitzeuge der

Bombardierung von Kopenhagen im September 1807.

Der geschichtliche Hintergrund: 

Dänemark war politisch mit Frankreich „verbandelt“. Die dänische Handelsflotte wurde von der britischen Marine auf ihren Routen behindert, woraufhin die dänische Regierung zum Schutz eine Bewaffnung der Schiffe vornahm. Das veranlasste die Britische Admiralität, präventiv (!) die Bombardierung Kopenhagens zu befehlen, um einen potentiellen Gegner auszuschalten. Die Bombardierung Kopenhagen erfolgte vom 2.-5.September 1807 und richtete erhebliche Schäden an: 30% der Stadtfläche von Kopenhagen wurden zerstört und ca. 2000 Tote waren zu beklagen. In der Folge wurde die Auslieferung der dänischen Flotte an England erzwungen und Kopenhagen wurde sechs Wochen von britischen Truppen besetzt.

Der Postverkehr zwischen Hamburg und Kopenhagen war bis Mitte Oktober 1807 unterbrochen. Es sind nur ganz wenige Briefe aus dem Zeitraum von Mitte August bis Mitte Oktober 1807 bekannt, die vermutlich in einem verschlossenen Umschlag per Handelsschiff, privat, oder, wie oben gezeigt, durch die Feldpost befördert wurden. Georg Mehrtens hat in seinem Vortrag in der Philatelistischen Bibliothek Hamburg im November 2021 die schwierigen Umstände zu der Zeit – anhand eines Beleges, der in umgekehrter Richtung lief – dargelegt.[1]

Nun zu dem außerordentlich interessanten Inhalt des Briefes:

 

Copenhagen, d. 12ten Septbr. 1807

Seit mein letzter Brief vom 16.August ist ahle Communication zwischen Seeland und den festen Landen abgeschnitten gewesen, so daß keiner selbst jetzt nicht hier weiß, was auf dem festen Lande geschehen.- Hier hat der Engländer als gewöhnlicher Seeräuber seine Rohle höllisch gespielt – die Stadt ist mit 8- 10 000 Bomben beschoßen und nach 4-tägiges Bombardement, nachdem 1/3 der Stadt gebrandt und hunderte Familien unglücklich geworden, hat der Commandant capitulirt und unsere ganze Dänische Flotte wird den Engländern übergeben, und nach 6 Wochen müßen die Engländer Seeland verlaßen – Der Däne träumte keinen Krieg als er von 30 000 Engländern überfallen wurden, die Dänen waren keine 3000 Mann. Wärend der Belagerung die vier Wochen dauerte, war jeder Bürger Soldat, auch ich war freywillig Vertheidiger meines Vaterlandes – von unser Corps welches 500 Mann stark war, sind 66 Thöden und Verwundeten -. Da der Abreise jetzt erlaubt ist, so ziehe ich nach Norwegen, und werde ahles bey dieser Confusion verusachten Zufahles zu Ihrer nötigen Zufriedenheit in Ordnung zu bringen…  

 

 

 

Ob nun in Norwegen das Leben leichter war, darüber kann man nur spekulieren. Jedenfalls war der Absender guten Willens, seine Geschäfte mit Schröder & Schuyler zu regulieren…

 

[1] Georg D.Mehrtens. Einige Anmerkungen zum Postverkehr zwischen Frankreich und Skandinavien in den Kriegszeiten der Französischen Revolution von 1783-1813. Postverkehr über Hamburg nach Skandinavien in den Zeiten Napoleonischer Kriege. Philatelistische Bibliothek Hamburg, November 2021.

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (15) – Die Forwarding Agents

Eigentlich ist ein „Forwarding Agent“ ja ein Frachtführer, ein Spediteur im allgemeinen Sinne, der Güter aller Art von „A“ nach „B“ transportiert. Im philatelistischen Sprachgebrauch wird der Begriff aber in erster Linie für eine Person gebraucht, die Briefe und andere Postsachen befördert. Ich betrachte in der kleinen „Aspekte“-Artikelreihe ja die Hamburger Postgeschichte, und da bleibt festzuhalten, dass z.B. alle Briefe aus der frühesten (Corsini-)Handelskorrespondenz durch „Forwarder“ befördert wurden, oft genug ist der Name des Schiffskapitäns vorderseitig vermerkt u.a. Die „Merchants Adventurers Post“ folgte zwar Regeln, aber von einer regulären Post, wie sie die Fürsten von Thurn & Taxis organisierten, kann man im 16.Jahrhundert nicht sprechen.

Das Standardwerk zum Thema der Forwarding Agents stammt aus der Feder von Kenneth Rowe [1]. Er datiert die ersten „Signaturen“ von Forwardern auf die Zeit um 1740, und das ist auch die Zeit, wo er die frühesten Forwarding Agents in Hamburg registriert hat. Überhaupt war Hamburg als Drehscheibe zwischen Skandinavien und Osteuropa einerseits und dem westlichen und südlichen Kontinentaleuropa andererseits ein Zentrum, über das alle Kommunikationswege liefen und entsprechend hoch war hier die Zahl der Forwarding Agenten. Nach den Recherchen von K. Rowe waren in Hamburg an die 150 Firmen als Agenten tätig, nur in New York und in London gab es noch mehr. (Nur einmal zum Vergleich: Die Hanse- und Hafenstädte Bremen und Lübeck verzeichnen im Register von K. Rowe gerade einmal 32 bzw. 14 Unternehmen, die in diesem Geschäft tätig waren).

Jetzt können Sie einmal den Versuch machen, Belege von allen in Hamburg tätig gewesenen „Agents“ zu sammeln; das dürfte – auch wenn der einzelne Brief vielleicht gar nicht teuer ist – schwierig bis unmöglich, vielleicht am Ende sogar langweilig sein.

Ich stelle Ihnen hier ein paar typische und auch ausgefallene Exemplare vor. K. Rowe nennt verschiedene Gründe für die Einschaltung eines Forwarding Agenten. Ich beginne mit

1. Erreichbarkeit bzw. schlechte Anbindung an das Postsystem – und der damit verbundene Zeitfaktor.

Das waren oftmals Orte im Binnenland, die eine schnelle Verbindung zum einem Hafenplatz benötigten oder gar das gänzliche Fehlen einer (regulären) Postverbindung. Der früheste Brief aus meiner Sammlung stammt aus dem Jahre 1764. Danzig – Hamburg – Bordeaux; die Strecke ab Hamburg wurde durch die Kaiserliche Reichspost gut bedient, die Strecke von Danzig nach Hamburg organisierte der Forwarding Agent.

 

1857, ein Brief aus Cöln, adressiert nach „Carlshütte bei Rendsburg in Dänemark“, „Dänemark“ durchstrichen und durch „Holstein“ ersetzt; bis Hamburg privat befördert und dann durch die Firma Osenbrüg, Corty & Co., Hamburg der dänischen Post zur Weiterbeförderung übergeben. Vermutlich war hier die Einsparung von Kosten der Hauptgrund für die Einschaltung eines Forwarding Agenten, denn die Strecke Cöln-Hamburg „funktionierte“ postalisch ja gut.

 

 

 

 

2. Die Einsparung von Kosten bei der Beförderung. 

Insbesondere bei über den Seeweg ein- und ausgehender Post bedienten sich die Kaufleute gern eines Forwarding Agenten, indem sie mehrere Briefe in einem Umschlag an den Zielort sandten und der empfangene Forwarding Agent dann die Distribution der Briefe am Empfangsort organisierte.

1855: Ein Geschäftsbrief aus Liverpool, aus Portoersparnisgründen per Forwarder nach Hamburg und dort beim Dänischen Postamt aufgegeben und nach Kopenhagen befördert. Interessant ist die privat gezähnte 4 Skilling-Marke. Die Vermutung liegt nahe, dass der Versender in Hamburg viel Post abzuwickeln hatte und seinen Portobestand  mit einer Perforation versah, um das ganze „Handling“ zu vereinfachen!

3. Die Einschaltung von Forwarding Agenten in Zeiten von Krieg und Unruhen.

Auswirkungen des 1. dänischen Krieges: Am 27.4.1848 erfolgte die Einstellung aller direkten Postverbindungen mit Dänemark. Das dänische Oberpostamt in Hamburg wurde am 28.4. geschlossen. Die Post lief von Hamburg über Lauenburg nach Lübeck/Travemünde (oder auch nach Wismar, Stralsund, Stettin) und dann weiter per Schiff nach Dänemark.

4.Sonderfälle

1857, dies ist Diplomatenpost, aus den USA nach Berlin, adressiert an den Konsul der Vereinigten Staaten. Bis Hamburg per Schiff und dann von der Firma James McDonald & Co. dem preussischen Postamt in Hamburg zur Weiterbeförderung übergeben. (Der Konsul besaß Portofreiheit, die Briefgebühr von „3“ (Sgr.) wurde gestrichen!). Kenneth Rowe schreibt dazu: „United States Despatch Agents were employees of the US Department of State and handled the transfer and relocation…of the diplomatic mail bags. … In addition to diplomatic mail the despatch agents forwarded personal mail for U.S. civil or naval personnel stationed abroad. (…) They are listed as being located in London, Liverpool, Hamburg and Le Havre as early as 1844″.

Die Bedeutung Hamburgs und der hier ansässigen Forwarding Agents wird hier noch einmal sehr deutlich.

Einen weiteren Sonderfall – Zusammenwirken von Forwarding Agent und der Stadtpost – dokumentiert die nachstehend abgebildete 2-Schilling-Ganzsache von Hamburg:

Der Absender, die Firma Schörmer & Teichmann/Hamburg benutzte zum Versand eines Konossements einen 2 Schilling-Umschlag der Hamburger Stadtpost und versandte ihn am 14.12.1867 – unter Umgehung der Post – direkt per Schiff nach London; der Firmenstempel des Empfängers ist direkt daneben abgeschlagen.

Alle staatlichen Posten, und natürlich auch die Hamburger Staatspost, waren eigentlich überhaupt nicht „amused“, wenn Kaufleute (oder andere Personen) ihr staatliches Monopol umgingen und Briefe privat beförderten. Dies wurde zum Teil mit hohen Strafgeldern geahndet. Bei der regen Kommunikation der Hamburger Kaufmannschaft mit London hat man aber wahrscheinlich gedacht, besser mit 2 Schilling „in der Partie“ zu sein, als bei einer „heimlichen“ (und wohl auch kaum kontrollierbaren) Übergabe der Post direkt aufs Schiff völlig leer auszugehen.  Jedenfalls wurde das Verfahren in einer Bekanntmachung vom 16.9.1866 ganz offiziell geregelt:

 

 

 

 

 

 

 

 

„…zur Erleichterung des Verkehrs sollen indessen für die Zukunft Briefe…von den Absendern unmittelbar den Schiffs-Capitainen übergeben und von diesen mitgenommen werden dürfen, wenn die Briefe (Connoissements) in Post-Couverts à 2 ß [Schilling] gelegt und letztere nicht nur mit vollständiger Adresse, sondern neben den Werthzeichen auch mit dem Namen des Absenders und dem Namen der Absendung versehen sind….“

 

 

 

 

 

 

 

 

Hier wird also der Sonderfall dokumentiert, bei dem die private Postbeförderung durch einen Forwarding Agenten (oder sagen wir jetzt besser „Spediteur“..) staatlich sanktioniert wurde. Von solchen Umschlägen sind nur wenige erhalten geblieben; das gezeigte Verfahren war aber auch nur von Mitte September 1866 bis zum Ende der Hamburger Stadtpost am 31.12.1867 möglich.

Die große Zeit der Forwarding Agents  ging um 1860, mit den immer besser werdenden Kommunikationsmöglichkeiten (schnellere Transportwege, günstigere Posttarife usw.) langsam zu Ende. Wenn Sie alte Hamburg-Briefe genau ansehen, werden Sie oftmals – meist handschriftliche – Vermerke finden, die auf eine Expedierung außerhalb des oder der staatlichen Postsysteme hinweisen. An dieser Stelle wollte ich nur einige typische Beispiele vorstellen, vielleicht aber haben auch Sie Spaß am Suchen – „Happy hunting“!

 

[1] Rowe, Kenneth. The Postal History of the Forwarding Agents. Louisville,Kentucky, 1984.

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (14) – Das Amt Ritzebüttel

Das Hamburger Amt Ritzebüttel – ein postgeschichtlicher Überblick von 1799 bis 1867.

Die beiden netten Damen, die im Museum des heutigen „Bürgerschlosses“ arbeiten, haben auf ihren Heimatort Ritzebüttel verständlicherweise eine ganz andere Sicht als wir Hamburger, die – mitten in der Corona-Zeit im April 2021 – dort einen Besuchstermin bekamen. „Ritzebüttel ist die Keimzelle und das [geistige] Zentrum von Cuxhaven“, einer lebendigen, modernen Stadt an der Mündung der Elbe, die sich heute als Zentrum einer touristischen Region versteht, mit Badestränden, Schiffstouren zu Seehundsbänken, Wattfahrten nach Neuwerk und dem Ausgangspunkt der Schiffsverbindung nach Helgoland.

Das Ritzebütteler Schloss war vor 500 Jahre kein „Schloss“ in dem Sinne, wie wir es heute vielleicht verstehen, es war eher das Zentrum einer Wehranlage, mit einem anständigen Burggraben und Kanonen auf den Wällen, bereit, Hamburger Interessen gegen allerlei Begehrlichkeiten fremder Mächte (z.B. der Engländer oder der Dänen) zu verteidigen.

Heute heißt es „Bürgerschloss Ritzebüttel“, und dort finden Veranstaltungen wie Tagungen oder Kunstausstellungen statt, man kann dort auch heiraten oder eine andere Familienfeier veranstalten. Der „museale“ Bereich ist klein, im Grunde besteht er aus dem Gebäude selbst, das in seiner äußeren Form seit über 300 Jahren unverändert ist; das aufwändig restaurierte Innere beherbergt nur wenige Artefakte aus der Zeit der Hamburger Amtmänner, die dort immerhin fast 500 Jahre lang das Sagen hatten.

Das Amt Ritzebüttel wurde bereits im 14.Jahrhundert eine Hamburger Exklave und blieb dies bis zum „Groß-Hamburg-Gesetz“ aus dem Jahre 1937, als Hamburg dieses Gebiet mit „umliegenden“ Stadtteilen wie Altona und Wandsbek tauschte. Welche strategische Bedeutung dieser Außenposten an der Elbmündung für Hamburg hatte, habe ich schon in meinem Artikel „Aspekte…(9) – Der elektromagnetische Telegraph und das preußisch-österreichische Seegeschwader“ beschrieben. Welche postalischen Spuren Ritzebüttel hinterlassen hat, möchte ich gern hier aufzeigen.

Die Hamburger Amtmänner – eine Gedenktafel mit allen jemals tätigen Herren hängt im Museum – waren „kleine Könige“.  Sie konnten und mussten alle Entscheidungen für die Stadt Hamburg allein treffen; dazu gehörte die Überwachung der Wehrhaftigkeit der Schlossanlage, die Rechtsprechung (bis zur Einführung der Gewaltenteilung im Jahre 1864), die Beobachtung und Überwachung des Schiffsverkehrs u.a. Es waren Senatoren oder hochgestellte Persönlichkeiten der Hamburger Politik, die das Amt meist für sechs Jahre ausübten, und die sich praktisch in der „Diaspora“ ihre Meriten verdienen sollten. Viele Namen Ritzebütteler Amtmänner finden wir später als Bürgermeister von Hamburg wieder.

Eine Postverbindung nach Hamburg bestand alten Quellen zufolge seit ca. 1740. Eine Reise nach Hamburg dauerte 3 Tage, die reitende Post war sicherlich schneller; erst ab 1848 gab es eine Telegraphenverbindung. Meine frühesten Briefe aus Ritzebüttel stammen aus der Zeit 1799-1800. Einen Poststempel gab es nicht, der Aufgabeort wurde handschriftlich notiert.

 

Bei dem rechts gezeigten Brief handelt es sich um Schreiben des damaligen Amtmannes Johann Arnold Heise („J.A.Heise“) an den „Hochwohlgeborenen Herrn Syndikus“ der Stadt Hamburg. J.A.Heise war von 1794 bis 1803 Amtmann in Ritzebüttel, später, ab 1807, Hamburger Bürgermeister.

Auch aus den ersten Jahren des 19.Jahrhunderts sind philatelistische Spuren selten. Erhalten gebliebene Dokumente haben meist militärischen Inhalt. In dem nachfolgend gezeigten Schreiben aus „Cuxhaven, den 31. Januar 1810“ fordert der Kommandant des „Königlich Westphälischen Artillerie-Regiments“ fünfzig Arbeiter aus Neuhaus an, die bei den Arbeiten an den Befestigungsanlagen helfen mussten.

Nach der Besetzung durch die Franzosen und der Errichtung des Départements „Bouches d`Elbe“ wurde am 1.Oktober 1810 ein französisches Postamt eröffnet. Der zweizeilige Departementstempel „128/RITZBÜTTEL“ war in Gebrauch. Die Militärbriefe waren natürlich portofrei; es musste aber der Vermerk „Service Militaire“ und ein entsprechender Franchise-Vermerk angebracht werden:

Und noch ein Brief aus der „Franzosenzeit“: Ovalstempel COMMANDEMENT DE RITZEBÜTTEL ET CUXHAVEN. Die beiden Ortsbezeichnungen wurden nebeneinander gebraucht, obwohl der Zusammenschluss der Ortsteile offiziell erst im Jahre 1872 erfolgte.

Ende der 1820er Jahre kam ein zweizeiliger Stempel in Gebrauch, der in zwei unterschiedlichen Längen (43 und 52mm Länge) bekannt ist. Ob diese Stempel nebeneinander gebraucht wurden, oder ob der „kleine“ Stempel praktisch als „Reservestempel“ später wieder benutzt wurde, ist mir nicht bekannt. Zwischendurch gab es dann auch eine handschriftliche Entwertung, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen – die zeitliche Abfolge ist interessant:

Dieser Brief datiert aus dem Jahr 1842 und zeigt einen Langstempel RITZEBÜTTEL mit zusätzlicher handschriftlicher Datumsaufgabe und lief über das hannoversche Otterndorf nach Oldenburg. Geschrieben wurde der Brief in „Altenwalde“, einer Ortschaft, die auf hannoverschem Territorium liegt, praktisch an der Grenze zum hamburgischen Amt Ritzebüttel (s. die Übersichtskarte oben). In Ritzebüttel gab es zu der Zeit noch kein hannoversches Postamt, aber der Hamburger Postamtmann Oelkers hat sicher auch die hannoverschen Interessen mit vertreten … Eine spannende Geschichte, und auch wenn der Brief sein Alter zeigt, ist er es sicher wert, hier gezeigt zu werden.

Cholerastempel

Jetzt haben Sie schon einige der Hamburger Amtmänner kennengelernt, zumindest als Absender einiger Dienstbriefe… Eine ihrer wichtigen Aufgaben war es auch, Post von Schiffen, die aus Seuchengebieten kamen, zu desinfizieren. Um dies amtlich zu bestätigen, hatten die Amtmänner spezielle „Quarantäne-Siegel“, die personalisiert waren.  Ein paar Beispiele:

Dies ist der einzig mir bekannte Brief, der die Desinfizierung von aus Hamburg ausgehender Post belegt. Im Cholerajahr 1831 von Bremen vermutlich über die hannoversche Postroute nach Ritzebüttel gelaufen, dort vom Amtmann Hartung behandelt. Die Choleraschlitze und die Bräunung vom Essigwasser sind erst bei der zweiten Desinfizierung in Queensborough entstanden.

Was denn nun – „Ritzebüttel“ oder „Cuxhaven“ (?), so könnte man fragen. Beide Ortsbezeichnungen wurden ja nebeneinander verwendet. „Ritzebüttel“ stand für den

Verwaltungsbezirk, „Cuxhaven“ war nur das Hafengebiet. Im Jahre 1841 gab es eine neue Vereinbarung zur Postverbindung zwischen Großbritannien und dem Hamburger Stadtpostamt, und wenn die Tarife „angepasst“ wurden, bedeutete dies nicht wie heute eine automatische Verteuerung – das Gegenteil war der Fall. Das Postaufkommen stieg, und die Tarife wurden gesenkt. Auch Bremen profitierte davon und konnte nach London bestimmte Post über die – von Hannover betriebene – Postroute Bremen-Cuxhaven transportieren. Eine lesenswerte Beschreibung der alten Postroute finden Sie z.B. auf wikipedia . Heute kann man auf dem weitgehend wiederhergestellten Postweg sehr gut mit dem Fahrrad unterwegs sein. Für die Abfertigungsstelle in Cuxhaven gab es einen speziellen Stempel:

Dieser einzeilige Stempel ist nicht häufig. Ich habe ihn nur auf Post aus Bremen gefunden und vermute, dass die von dort kommende Post (die ja eine „hannöversche“ war) gleich zur Abfertigungsstelle am Hafen ging. Die Leitung der Poststelle hatte Postmeister J.W.Oelkers [er war der zweite „Oelkers“ aus der Postmeister-Dynastie der Oelkers, die die Postmeister-Stelle über 80 Jahre lang fast ununterbrochen innehatte], den wir auch auf nachfolgendem Postschein finden – der Vordruck ist hier wieder „Ritzebüttel…Hamburgisches Post=Comptoir“ – die „Multitask-Fähigkeit“ der Postmeister unter Beweis stellend…:

Ab dem Jahre 1854 kam der Einkreisstempel in Gebrauch.

In der Form anderer Hamburger Vorortsstempel wurde ab 1850 (?) dieser kleine Rahmenstempel benutzt:

Dieser Stempel soll bis zum Jahre 1867 in Gebrauch gewesen sein. Es ist selten, und ich habe ihn auf ganzen Belegen sonst nur nachverwendet, also aus der Zeit nach 1867, gesehen.

Das Porto von Hamburg nach Ritzebüttel betrug 2 Schilling, in umgekehrter Richtung natürlich ebenso. Ab 1859 wurde mit Marken frankiert und neben dem oben gezeigten Einkreisstempel kommt jetzt der „Ritzebütteler Wellenstempel“ zum Einsatz. Eine Besonderheit dieses Wellenstempels ist, dass er meist als Vorausentwertung diente, einem Mittel der „Postautomatisation“, das Hannover an vielen Orten einsetzte, eben auch in Ritzebüttel (siehe unten!). Die Hamburger haben sich das garantiert abgeguckt, denn andere Vorausentwertungen von Hamburg gibt es nicht.

Die „Schuchmacher“-Korrespondenz. Fräulein Elise wohnte an der Alster, Herr Otto Schuchmacher in Ritzebüttel. Aus dieser Korrespondenz sind zum Glück einige Belege erhalten geblieben.

„Zwischendurch“ ein Brief nach Groden. Wie Sie auf den Landkartenausschnitten oben sehen können, liegt Groden im Amtsbezirk von Ritzebüttel, also auf Hamburger Gebiet. Briefe dorthin liefen folglich über das Hamburger Stadtpostamt und wurden mit Hamburger Marken frankiert (während z.B. ein Brief in das nur 5km entfernte Altenbruch beim Hannoverschen Postamt in Hamburg hätte aufgegeben werden müssen!). Groden hatte im Jahre 1866 kein eigenes Postamt, der Brief ging nach Ritzebüttel und wurde von dort zum Empfänger befördert.

Dieser Brief wurde zu der Zeit, als Hannover bereits von Preußen annektiert war, in Hamburg in den Briefkasten geworfen. Das Stadtpostamt übergab ihn dem preußischen Postamt, das den Doppelkreisstempel danebensetzt und die Beförderung nach Altenbruch vornahm. Das Porto wäre korrekt 1 Silbergroschen oder 1 1/3 Hamburger Schillinge gewesen; eine 1 1/3 Sch.-Marke gab es aber nicht und der Absender hat dann zur 1 1/4 Schilling-Marke noch 2x 1/2 Schilling dazugeklebt. Interessant ist auch der vorderseitige – gestrichene – Vermerk „durch Güte“. Vermutlich hatte der Absender gehofft, einen (preiswerten) Spediteur zu finden …

Nachtaxiert wurden „3/4“ (Sgr. = 1 Schilling). Die „8 pfg.) Bestellgeld war eine Erfindung des hannoverschen Postmeisters Oelckers, über den es viele Klagen gab. Hamburg hat nie Bestellgeld erhoben.

 Welche Postwertzeichen-Wertstufen waren in Ritzebüttel am Postschalter zu haben? Ich kann Ihnen nur Frankaturen mit der 1/2, der 1 und 2 Schilling-Marke vorstellen, von der Wertstufe zu 4 Schilling kenne ich nur eine lose Marke. Auch die 2-Schilling-Ganzsachen hat es gegeben, und zwar mit und ohne Wasserzeichen. Beide Sorten wurden nebeneinander verwendet,

Seit dem 1.Januar 1852 bestand in Ritzebüttel neben der Hamburger Post auch eine Hannöversche Postexpedition. Diese wurde vom Hamburger Postbeamten mit verwaltet. Die offizielle Bekanntgabe erfolgte in Hannover am 30.Dezember 1851:

1852 – Hannover hatte ja schon Briefmarken verausgabt… 

Die mit Hannover-Marken frankierte Post ging auch in andere Postgebiete:

Die „Zuständigkeiten“ der Hamburger und der Hannoverschen Post vermischten sich ganz offensichtlich. Für die Post nach London wäre das Hamburger Stadtpostamt zuständig gewesen. Der links gezeigte Brief wurde in „Cuxhaven“ – in englischer Sprache – geschrieben und ging  direkt aufs Schiff. Frankiert mit einer vorausentwerteten 1/10 Thaler-Marke von Hannover!

Das Hannoversche Postamt war eigentlich auch nicht zuständig für Post ins Thurn & Taxis`sche Postgebiet oder nach Preußen (2. und 3.Brief). Wie dies gehandhabt wurde oder wie eine Gebührenverrechnung stattfand, weiß ich nicht. Beide Briefe haben rückseitig keine Stempel des hamburgischen TT- bzw. preußischen Postamtes, sind also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht über Hamburg gelaufen.

Vorausentwertungen waren in Ritzebüttel an der Tagesordnung. Aber auch der Einkreisstempel fand Verwendung. Ein paar Beispiele für Post in das „richtige“ Postgebiet:

Ein seltener Taxstempel. Die Vortaxe eines inländischen Portobriefes, die 1,5 Groschen bedeutete und vom Empfänger zu zahlen war:

Als Hannover durch Preußen besetzt wurde, ging auch das Postwesen am 1.10.1866 in preußische Hände über. Folglich wurden auch im Amt Ritzebüttel preußische Marken verwendet. Belege aus dem kurzem Zeitraum bis Ende 1867 sind selten. Gewisse leichte Qualitätseinschränkungen muss man wohl tolerieren.

Mit dem 31.12.1867 endete nicht nur die preußische Post in der hannöverschen Abteilung des Hamburger Amtes Ritzebüttel, sondern ebenso die Hamburger Post. Einige Stempel wurden weiterverwendet, wir finden sie auf Marken des Norddeutschen Postbezirks und des Deutschen Reiches, und es gibt dort viel Seltenes. Doch das soll ein späteres Thema sein.