Teilfrankierte oder nicht ausreichend frankierte Briefe von Hamburg
Im Stempelhandbuch von Dr. Meyer-Margreth [1] sind zwei Stempel aufgeführt, die bei nicht ausreichend frankierten Briefen zur Anwendung kamen, und zwar der Stempel „Unzureichend frankirt“ in Schreibschrift und, „…für Auslandsbriefe … ein Stempel in englischer Sprache …, ein Zweizeiler in Blockschrift INSUFFICIENTLY PAID“. Nun gibt es noch einen dritten Stempel, nämlich den Einzeiler in Blockschrift PART PAID, der mir nur auf wenigen Belegen bekannt geworden und bei „Meyer-Margreth“ nicht aufgeführt ist. Hier ist einer der prominentesten Briefe der ersten Markenausgabe; er stammt aus der Boker-Sammlung, die in den 1980er Jahren bei der Firma Köhler versteigert wurde:
ex Boker: der einzige Brief mit einer Mehrfachfrankatur der 4-Schilling-Marke, PART PAID als Nebenstempel
Volker Parthen hat den Brief wie folgt beschrieben: „Der Brief war unterfrankiert (Das Porto hätte 14 Schilling betragen müssen) und wurde in England nachtaxiert und mit den Stempeln PART PAID (wahrscheinlich hamburger Stempel!) und MORE TO PAY versehen…“. [Anmerkung: am 9. März 1859 hätte das Porto für einen einfachen Brief nach England 9 Schilling betragen; eine Unterfrankatur von 1 Schilling erscheint mir – auf aufgrund der handschriftlichen Notiz „more to pay 1d“ – wahrscheinlicher als eine Unterfrankatur von 6 Schillingen bei doppelter Gewichtsstufe (2x 7 Schilling), wie es Volker Parthen damals annahm.]
Ganz sicher über die Herkunft des PART PAID-Stempels war sich der Beschreiber nicht. Auf dem folgenden Brief ist meiner Meinung nach die Sache eindeutiger:
Nach „Wandsbeck near Hamburgh“ lautet die Adresse. 10c amerikanisches Porto galt aber nur BIS Hamburg. Wandsbek aber lag im dänischen Postgebiet, also war der Brief nur „PART PAID“ und wurde entsprechend nachtaxiert
Eingegangen beim Stadtpostamt, weitergereicht an das Königlich Dänische Oberpostamt (KDOPA Hamburg) und dann in WANDSBECK angekommen
Und hier ist der Stempel PART PAID wohl auch in Hamburg draufgekommen:
Leider ist dies nur ein Brieffragment. Aber der Brief war garantiert unterfrankiert. In Birmingham hieß es dann „MORE TO PAY“, und zwar „1d.“, wie in Tinte vermerkt wurde.
Es handelt sich wohl doch um einen Hamburger Stempel, wie auch James van der Linden in seinem Attest für den Brief aus den USA darlegt. Den anderen „englischen Stempel“, den ich bereits oben erwähnt habe, sehen Sie hier:
Nur 2 Schilling zu frankieren, war schon etwas „frech“. der Empfänger wurde entsprechend zur Kasse gebeten.
Dieser Brief zeigt den INSUFFICIENTLY PAID – Stempel. Er wurde im Jahre 1864 geschrieben, also etwa 3-4 Jahre später als die oben gezeigten Beispiele des PART PAID Stempels. Ich könnte mir vorstellen, dass er den „Part Paid“-Stempel abgelöst hat, um vielleicht auch Verwechselungen mit dem ähnlichen PAID PART -Stempel zu vermeiden, der eine gewollte Portoteilung dokumentiert. Beide Stempel sind im Stempelhandbuch der Arbeitsgemeinschaft [2] aufgeführt.
Das deutschsprachige „Pendant“ darf dann in der kleinen Dokumentation nicht fehlen:
1 Schilling hätte bis Bergedorf gereicht. Aber „Curslack“ liegt im Bergedorfer Landbezirk und da wäre ein weiterer Schilling fällig gewesen
Das Amt Ritzebüttel war zwar eine „Unterabteilung“ des Hamburger Stadtpostamtes, aber der Tarif dorthin war 2 Schilling
Nach Rotterdam hätten es 7 Schilling sein müssen; der Brief war mit 4 Schilling frankiert und eben nicht „Franco“
Auch im Preußischen und im Thurn & Taxis`schen Postamt wurden ungenügend frankierte Briefe entsprechend behandelt:
Dieser Brief aus Russland wurde gleich zweimal „behandelt“, mit einem Zweizeiler und einem Rahmenstempel
rückseitig u.a. der Doppelkreisstempel des Preußischen Postamtes Hamburg
Hier gibt es den Stempel in blau..und das war am letzten Tag der preußischen Post in Hamburg – 31.12.1867 !
Bezüglich der Zuordnung des Rahmenstempels folge ich der Meinung des großen Hamburg-Kenners, Walter Engel, der diesen Stempel eindeutig dem Preußischen Oberpostamt in Hamburg zuordnet.
Am Ende des Jahres 1866 war Hannover schon preußisch.
Der Brief wurde im Briefkasten vorgefunden und dann vom Stadtpostamt an das Preußische Postamt weitergeleitet. „Reicht nicht“ wurde handschriftlich mit Tinte unter der Marke vermerkt und dann wurde noch der Rahmenstempel abgeschlagen, diesmal in schwarz.
Das Thurn & Taxis`sche Postamt machte es dann international – in Französisch, der amtlichen Sprache des Weltpostvereins:
3x 2 Schllinge in Hamburger Marken reichten nach Frankreich ebenso wenig…
…wie drei Silbergroschen in Thurn & Taxis`schen Postwertzeichen
Beide Briefe (aus den Jahren 1865 und 1866) wurden im Briefkasten vorgefunden und, da nicht ausreichend frankiert, mit dem Dreizeiler BOITE/AFFRANCHISSEMENT INSUFFISANT versehen. Der Empfänger wurde dann zur Kasse gebeten.
Aufgrund der diversen Währungen und Tarife, die bei den verschiedenen Postämtern in Hamburg zur Anwendung kamen, finden wir oftmals unter- oder überfrankierte Briefe, die keinerlei postalische Vermerke bzw. Taxierungen aufweisen, sondern einfach „durchgeschlüpft“ sind. Briefe mit den oben beschriebenen Stempeln sind generell nicht häufig.
[1] Dr. Ernst Meyer-Margreth. Die Poststempel von Hamburg. Hamburg,1965
[2] Handbuch der Poststempel von Hamburg. Hrsg. Arbeitsgemeinschaft für Postgeschichte und Philatelie Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck e.V. Hamburg, 1982.
Nun war es also soweit: Am 1.Januar 1859 erschienen die ersten Freimarken, und es waren gleich 7 (sieben) verschiedene Wertstufen. Das war (und blieb) bei den Deutschen Staaten einmalig, denn kein altdeutscher Staat hatte es bisher auf mehr als sechs verschiedene Wertstufen gebracht. In der schon im vorigen Kapitel zitierten Bekanntmachung der Postverwaltungsdeputation vom 27.Dezember 1858 wird genau aufgeführt, welche „Sorten“ es gab, welche Farbe diese haben und für welche Zwecke die einzelnen Werte zu gebrauchen waren. Die Bekanntmachung ist vollständig auf dieser Webseite hinterlegt; wer die Muße hat, sollte sich die einzelnen Bestimmungen einmal durchlesen.
Zunächst einmal: alle Freimarken wurden ohne Perforation gedruckt, was die Postabfertigung nicht unbedingt beschleunigt haben dürfte, und die Mindestabnahme betrug 8 Stück pro Sorte, nämlich eine komplette horizontale Reihe.
Durch Zufall – und Übereinkunft – zur „Nummer 1“ in allen Katalogen wurde die kleinste Wertstufe zu 1/2 Schilling, schwarzer Druck. Zu verwenden war sie nur für die Frankierung von Zeitungen und Drucksachen; selbst die Brieftaxe für Ortsbriefe betrug 1 Schilling, und das noch bis zum Jahre 1865, bevor das Stadtbriefporto auf 1/2 Schilling abgesenkt wurde. Da die Hamburgischen Marken nie ungültig wurden, wäre natürlich die Verwendung als Ortsporto nach dem 1.1.1865 möglich gewesen, aber zu dem Zeitpunkt war ja schon die zweite, die gezähnte Ausgabe erschienen.
Viererblock mit zwei postfrischen Exemplaren der ersten Hamburger Briefmarke
Vom linken Rand mit Reihenzahl „6“
Rechte obere Bogenecke mit Randinschrift und Reihenzähler „1“
Feiner Strichstempel
Vom rechten Bogenrand mit Reihenzahl „6“
Drucksachenhülle nach Jever. Innen ist noch ein zarter Abdruck der ehemals einliegenden Geschäftsdrucksache zu sehen.
Der nebengesetzte Schmetterlingsstempel vom 2.Juli 1860 dokumentiert die zeitrechte Verwendung als Drucksachenfrankatur. Das Stück stammt aus der berühmten „Traber“-Sammlung.
Und damit geht es schon zur nächsten Wertstufe, der Marke zu 1 Schilling braun. Dieser Wert wurde zum größten Teil im Ortsverkehr gebraucht, und die Vorräte wurden auch aufgebraucht, denn größere ungebrauchte Restbestände sind nicht erhalten geblieben.
Linkes Randstück
Paar mit vollständiger Originalgummierung
Es gibt einige verschiedene Stempel, die auf der 1 Schilling-Marke zu finden sind:
Der lange Strichstempel 57mm
Der „normale“ Strichstempel
Schmetterlingsstempel vom März 1860
Ovalstempel vom August 1864
Der erste Strichstempel war 57mm lang und ist eigentlich nur auf Briefen oder großen Briefstücken einmal komplett zu sehen:
Die Adresse auf diesem Brief wurde ausgeschnitten und wieder ergänzt. Zum „Zeigen“ des langen Stempels ist er aber ein gutes Beispiel.
Ortsbrief an Frau Senatorin Versmann in der Milchstrasse in Pöseldorf
2-Schilling-Frankatur nach Cuxhaven. Ist der kleine Punkt oben rechts am „M“ ein Vorstadium der Abart oder nur ein Fliegenschiss?
Bei dem rechten Brief erwähnt das Attest bei der linken Marke eine kleine Druckzufälligkeit: „kleiner Punkt oben am M von HAMBURG“:
Die kleine Druckzufälligkeit
Der als Plattenfehler im Michel gelistete Punkt
Hier noch einmal auf einer gestempelten Marke
Die beiden anderen hier gezeigten Marken zeigen den Plattenfehler „Mi.Nr. 2 I“ . Kann sich aus der Druckzufälligkeit der Plattenfehler entwickelt haben? Über das Thema „Abarten“ beim Sammelgebiet Hamburg wird noch zu sprechen sein…
7 Schilling – Porto nach England, mal „etwas anders“ dargestellt..
Zum Abschluss des Kapitels „1 Schilling“ noch etwas ganz Feines: Darstellung des 7-Schilling-Portos nach England durch 1x 1 plus 2x 3 Schilling. Buntfrankaturen der ersten Markenausgabe sind sehr selten; das „Publikum“ war angehalten, möglichst „passend“ zu frankieren, und der 7 Schilling-Wert war ja eigentlich vorhanden!
Jetzt geht die Post ab nach Lübeck!
Der 2-Schilling-Wert war für den Tarif nach Lübeck verausgabt worden.
Die rechte obere Bogenecke zeigt die Reihenzahl „1“
Mit dem nebengesetztem Schmetterlingsstempel lässt sich die Verwendung genau datieren
Auch der linke Rand mit Reihenzählern
Teil der oberen Bogeninschrift
2 Briefe nach Lübeck –
– unterschiedliche Strichstempel
…und von Lübeck nach Bremen. 3 Schilling war der Tarif dorthin, und erstaunlicherweise nur 6 Schilling nach New York, wenn denn der Brief direkt von Hamburg per Dampfboot befördert wurde.
Unterrandstück ohne Gummierung
Die beiden unteren Marken sind postfrisch
Randstück und Schmetterlingsstempel aus dem Jahre 1859
Die Abart „Zweites „l“ an der Basis verkürzt“
3 Schilling nach Bremen. Die Marke zeigt die bekannte Abart von Feld 7 im Bogen, vergrössert oben dargestellt
„Reicht nicht“ – das Porto nach Oldenburg wäre mit 3 Schilling normalerweise völlig korrekt gewesen. Aber vielleicht war der Brief schwerer und wurde daher nachtaxiert?
6 Schilling nach New York, aber nur bei Beförderung per Dampfboot von Hamburg
Die Wertstufe zu 4 Schilling gibt es in zwei Farbnuancen: „gelbgrün“ und „bläulichgrün“. (Der „Michel“-Katalog macht es wissenschaftlich-komplizierter und bezeichnet die Farben als „dunkelgelblichgrün“ und „(dunkel)grünoliv“; das mag nun jeder seinem Gusto handhaben, ich bleibe bei den altbekannten Farbbezeichnungen, die jahrzehntelang in allen Attesten Gültigkeit hatten…)
gelblichgrün als Bogenecke…
… und bläulichgrün
Das Farbenspiel gestempelt
Gelblichgrün mit Originalgummierung
Dieser Viererblock hat das Wasserzeichen „Turm“ bzw. das Hamburger Wappen
Ohne Gummierung – die Bogeninschrift „macht was her“
Doppeldruck – bläulichgrüne Nuance
Schon ziemlich selten – nach Helgoland im Juli 1859. Das 4-Schilling-Porto fand nur auf Briefen nach Helgoland und einigen Orten im Oldenburgischen Verwendung
Der 4-Schilling-Wert der 1859er Ausgabe auf Brief ist meiner Meinung nach das „Pièce de Résistance“, eben weil die Verwendungsmöglichkeiten sehr eingeschränkt und das Postaufkommen nach Helgoland und nach Oldenburg nicht eben sehr hoch waren. Der 9-Schilling-Wert, zu dem wir gleich kommen, notiert in den gängigen Katalogen zwar ebenso hoch, ist aber deutlich häufiger anzutreffen.
7 Schilling war das Porto u.a. nach Amsterdam und nach London, nach Großbritannien allerdings erst ab dem 1.7.1859 (vorher kostete es 9 Schilling). Hamburg – London, das war seit Jahrhunderten eine „innige“ Beziehung; Kaufmannsbriefe zwischen beiden Städten beginnen mit den „Corsini“-Korrespondenzen. Ich habe diese schon in den „Aspekten zur Hamburger Postgeschichte Teil (1)“ ausführlich beschrieben. Mit Marken frankierte Briefe sind keine Raritäten, aber in ordentlicher Erhaltung kann man manchmal etwas länger suchen.
Ein Viererblock vom rechten Rand
Bogenecke – auf den breiten Rändern kann man Radfahren!
Der Strichstempel gut datierbar
Ovalstempel ist seltener zu finden
Sogar eine gestempelte Bogenecke
und noch einmal vom rechten Rand
1863 – der Ankunftstempel beweist: Beförderungszeit 2 Tage!
Last but not least – die Wertstufe zu 9 Schilling. Die wurde im ersten Halbjahr 1859 für die Korrespondenz nach England gebraucht, danach finden wir sie nur noch auf Übersee-Briefen. Es gibt von der Marke eine frühe Auflage, gedruckt in hellem Gelb, die späteren Ausgaben gehen in gelb-orange Farbtöne über. Diese Farbunterschiede sind seit langem bekannt, eine Unterscheidung in den Katalogen findet bei diesem Wert (im Gegensatz zur 4-Schilling-Marke, s.o.) nicht statt.
Helle Farbe – schöner Viererblock
Nochmals frühe Auflage, hier vom Oberrand mit Teil der Bogeninschrift
Hier kann man die Farben der verschiedenen Auflagen einmal gut sehen
Am 2.April 1859 nach London – Ankunft schon 2 Tage später
Ich mag diesen Brief aus einem besonderen Grund. Er stammt aus der berühmten „Berkefeld/Mesters“- Korrespondenz. Die meisten dieser Briefe wurden in der Anschrift verändert, und zwar überschrieb man „Berkefeld“ in „Wüstenkopf“. Das war Datenschutz in analoger Form, und vielleicht wollte man auch die Herkunft verschleiern… Hier ist ein Brief in ursprünglicher Form, taufrisch und über 100 Jahre vor Sonne geschützt in einem Archiv verwahrt.
Und wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind, haben Sie „Hamburg komplett bis 1863“ gesehen. Dann kam im Jahre 1864 die Post nach Schleswig-Holstein und Dänemark dazu, die vom Stadtpostamt bewältigt werden musste, und die Postautomatisation in Form von perforierten (gezähnten) Marken nahm auch in Hamburg ihren Lauf.
Wie Alles begann – die ersten Briefmarken in Hamburg
„My dear Susel“ – so beginnt der Brief, den Henry Carew Hunt am 9.Juni 1840 in Hamburg an seine Frau in England schrieb. Der Kaufmann Mr. Hunt, der auch eine Niederlassung in Hamburg besaß, vertraute den Brief wohl dem Kapitän eines Schiffes an, das nach England ging, und dieser übergab ihn in London der Post, die den Brief dann an seine Empfängerin expedierte. Die neuen Postwertzeichen waren in England gerade einen Monat vorher „erfunden“ worden und die Briefgebühr von 1 Penny war natürlich ein ganz anderer Schnack als die sonst fälligen 1sh/6d., die normalerweise als Gebühr von Hamburg fällig gewesen wären.
Der erste mit einer Briefmarke frankierte Brief aus Hamburg
My dear Susel… – so beginnt er
„Hamburgs ältester Brief“ titelte die BILD, als ich das Stück vor ca. 15 Jahren versteigerte. Das stimmt natürlich nicht ganz, denn die frühesten Handelskorrespondenzen aus Hamburg datieren in das 16.Jahrhundert zurück, aber man sicher sagen, dass dieses Poststück der optimale Beginn einer Hamburg-Sammlung sein könnte, die das Thema „Postwertzeichen“ zum Inhalt hat.
Ich kenne einige Briefe aus verschiedenen europäischen Ländern, die nach England liefen und mit einer „Penny Black“ frankiert sind, interessanterweise stammen sie alle aus dem Juni oder Juli 1840.
Im „London Philatelist“, dem Journal der Royal Philatelic Society in London, erschien im September 2018 ein Artikel, der die Verwendung des ersten Postwertzeichens der Welt auf Briefen aus fremden Ländern thematisierte. Patrick Maselis, der damalige Präsident der „Royal“, stellte einen Brief mit der Penny Black – aus Antwerpen kommend – vor und schrieb mir dazu, „dies sei der ultimative Beginn seiner Sammlung und logischerweise die „Seite 1“ seines Belgien-Exponates.
Der hamburgische Postbeamte hat im Jahre 1840 den oben gezeigten Brief natürlich nicht gesehen, aber die – praktische – Idee einer „Briefmarke“, also einer Quittung für eine zu erbringende Dienstleistung, sollte ihm bekannt gewesen sein, denn sehr viele europäische und überseeische Länder hatten ja in den 1840er und 1850er Jahren Postwertzeichen eingeführt, und die klebten auf vielen Briefen, die nach Hamburg kamen oder über Hamburg liefen. In Hamburg benutzten ja auch schon die „fremden“ Postämter von Hannover, Mecklenburg, Preußen und Thurn & Taxis Freimarken.
Und man darf doch gern die Frage stellen, warum es in Hamburg, dieser großen Handelsmetropole mit ihrer doch so oft zitierten weltoffenen Kaufmannschaft und der Drehscheibe für fast alle Post, die in Nord-Süd und West-Ost-Richtung lief, noch fast 20 Jahre dauerte, bis man auch hier von dieser großartigen Erfindung Gebrauch machte und selbst Briefmarken verausgabte!
In den Protokollen der Senatsdeputation, die im Hamburgischen Staatsarchiv verwahrt sind, findet sich die erste Erwähnung „zur Einführung von Briefmarken“ erst im November 1857, und es wurde im Jahre 1858 noch einige Male über das Für und Wider gestritten, ehe ein Beschluss dann endlich am 6.Dezember 1858 gefasst wurde.
.. Erleichterung des Postverkehrs durch Freimarken…
Was passiert nun „vorher“, also bevor das fertige Produkt, die Briefmarke, an der Post erhältlich ist?
Am Beginn eines klassischen Briefmarkenexponats sollten Entwürfe und Probedrucke stehen. Das sagen nicht nur die Empfehlungen der Sammlerverbände und der Juroren – mit dem Blick auf „großes Gold“ für das Exponat -, das ist meiner Meinung nach auch völlig logisch, denn bevor ein solches Endprodukt wie die Briefmarke an die Postschalter zum Verkauf kommt, müssen Entwürfe gefertigt und den entsprechenden Dienststellen vorgelegt, müssen – politische – Entscheidungen getroffen werden, nicht zuletzt muss der Drucker Farbproben und Probedrucke vorlegen, bevor der zuständige Minister oder Senator das finale „Go“ gibt.
So ist das Prozedere auch heute noch und es war sicher auch so in Hamburg im Jahre 1858 – könnte man meinen.
Die Frage, der ich gern nachgehen möchte, lautet: Gab es in Hamburg Entwürfe und/oder Probedrucke für die ersten Freimarken?
Die Aktenlage dazu im Hamburger Staatsarchiv gibt dazu, wie ich gleich zeigen werde, keine endgültige Aufklärung. Gab es Anordnungen, Senatsbeschlüsse oder gar Entscheidungs-Findungs-Kommissionen oder „Arbeitskreise“?
Eine gute Fundstelle ist der Bericht der Post-Deputation an Syndikus Dr. Merck vom März 1858.[1] Der unterzeichnende Vorsitzende C. G. Hencke berichtet von seinen Korrespondenzen mit „London, Wien. Berlin und München“ und den dort gemachten Erfahrungen mit Freimarken. Kostenvoranschläge der Druckerei Meißner und des Graveurs Siegmund wären einzuholen, und dann kommt er auf die Gestaltung der Freimarken zu sprechen:
„Eine weitere Frage, die schon jetzt näher festgestellt werden kann, ist die Form, oder vielmehr das Aussehen (das Bild) der anzuschaffenden Freimarken. Wird es auch nicht sehr schwierig seyn, 7 verschiedenartige Farben für die Marken zu finden, so ist es doch nicht zweckmäßig die Farbe, wenn auch nicht allein, so doch als hauptsächliches Unterscheidungszeichen gelten zu lassen, da diese, namentlich bey Lampenlicht, leicht täuschen. So sind z.B. die dem Preussischen Schreiben anliegenden Marken zu 6 Pfennig und ein Silbergroschen bey Licht schwer zu unterscheiden. Ein weiteres Erkennungszeichen ist die Ziffer, wenn solche nur deutlich und in gehöriger Größe angebracht ist. Fast alle mir bekannten Freimarken, sowohl im In- und im Auslande, haben den Fehler, daß die Ziffer, die darauf angegeben, viel zu klein und daher undeutlich ist, mit alleiniger Ausnahme derer, der Thurn & Taxischen und Hannoverschen Verwaltung, von denen untenstehend ein Exemplar aufgeklebt ist. Dem Zwecke der Deutlichkeit ganz besonders entsprechend, und daher auch am besten als Muster für die Hamburgischen dienend, sind die Thurn & Taxischen (…)
…am besten als Muster für die Hamburgischen dienend, sind die Thurn & Taxischen…
Ich möchte vorschlagen, die Hamburgischen Marken den Thurn & Taxischen im Prinzip ähnlich , so anfertigen zu lassen, dass das, in guillochirter Manier angefertigte Hamburger Wappen, als Untergrund dient und die jedesmalige Ziffer wenigstens in derselben Größe, wie die auf den taxischen Marken gewissermaßen als Sargschild auf dieses Wappen gelegt würde. Zu dem Rande könnte dann, zu beiden Seiten das Wort: „Hamburg“ , oben „Schilling“ und unten „Freimarke“, zu stehen kommen. Wird dann noch eine, von der auf den Taxischen Marken verschiedene, Randverzierung gewählt, so werden sich beide Sorten, selbst bei ganz gleicher Farbe, sehr leicht voneinander unterscheiden lassen. Auf die Hannoverschen Marken ist eine mehr [Künstelei] verwandt, und eben dadurch zeichnen sie sich weniger durch Deutlichkeit aus (…)“
Herr Hencke, der der Vorsitzende der Postverwaltungs-Deputation, also der Postdirektor war, beschreibt also die späteren Hamburger Briefmarken ganz genau, und wenn Ihnen der Name bekannt vorkommt: C.G.Hencke ist als Entwerfer der ersten Briefmarken Hamburgs in allen Katalogen genannt. Aber in dem ganzen Bericht, der über viele Seiten geht und den Sie auszugsweise oben lesen, findet sich keinerlei Erwähnung von Entwürfen oder Proben oder gar Mustern von Briefmarken.
Im Jahre 1935 erschien eine Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für Briefmarkenkunde Hamburg [2]. Darin berichtet Richard Weißenburg in seinem Beitrag „Die Hamburgischen Briefmarken 1859-1867“ von seinen „viermonatigen“ Studien im Hamburger Staatsarchiv, bezüglich der Einführung von Freimarken. Er schreibt: „Es haben der Deputation auch mehrere Proben vorgelegen, doch konnte ich in den Akten keine mehr finden; auch in der mir vorgelegten Staats-Freimarkensammlung, die im Staatsarchiv verwahrt wird, sind die Proben nicht vorhanden.“
Eventuelle Proben waren also schon 1935 nicht mehr vorhanden, aber Richard Weißenburg haben offensichtlich Akten vorgelegen, in denen von „Proben für die Deputation“ die Rede war. Die Staats-Freimarkensammlung existiert heute nicht mehr, ebenso sind einige Akten, die Weißenburg erwähnt, nicht mehr im Staatsarchiv zu finden. Im 2.Weltkrieg wurden Teile des Archives vernichtet, vielleicht waren diese Akten bzw. auch die Sammlung darunter.
Von jetzt ab dauerte es nur noch ein Dreivierteljahr, bis die ersten Briefmarken an die Postschalter kamen.
Hin und wieder werden Probedrucke von Hamburg angeboten, von denen ich Ihnen einige vorstellen möchte:
„Proben…je Einzelabzug auf Kleinbogen, ex Dr. Schröder-Sammlung“. So beschrieben bei der Firma Grobe, die im Jahre 1966 die Schliemann-Sammlung versteigerte
Ich glaube nicht, dass es sich hier um Probedrucke handelt, die VOR Erscheinen der Briefmarken gefertigt wurden. Die Wertstufe zu 2 ½ Schilling wurde erst 1864 – nach Übernahme der dänischen Post – gebraucht, der gezeigte Probedruck gibt sogar die neue, erst 1867 erschienene 2 ½ Schilling-Marke wieder.
Die 4- und 9-Schilling-Werte sind auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt und ich könnte mir vorstellen, dass diese mit der Entstehungsgeschichte der ersten Hamburger Markenserie in Zusammenhang stehen, vielleicht sind es sogar solche, die in den – Richard Weißenburg im Jahre 1935 – vorgelegten Akten früher enthalten gewesen waren. In der Beschreibung eines 4 Schilling-Wertes aus der „Sellschopp“-Sammlung, die im Jahre 1997 bei der Firma Köhler versteigert wurde, las ich: „zur Vorlage beim Senat“ – eine Quelle dafür konnte ich nicht finden.
Auch das Kohl-Handbuch [3] schreibt, dass „…Farbproben auf WZ-Papier…existieren, so dass sie offenbar schon 1858 für die erste ungezähnte Ausgabe angefertigt wurden…“. Ich weiß nicht, auf Grund welcher Erkenntnisse Dr.Munck das Jahr „1858“ genannt hat, auch sind die oben gezeigten Farbproben auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt.
Als Probedruck auf Wasserzeichen-Papier beschrieben und attestiert
Nicht zu verwechseln mit der ungezähnten Mi.Nr. 15 U. Die Farbe ist ganz anders.
3 Schilling blau Randstück – nicht zu verwechseln mit der Nr. 15U, die ja eigentlich die gezähnte 3 Schilling ist und ungezähnte Stücke aus unfertigen Restbeständen stammen (anderes Blau, Druck weniger klar) – mit Wasserzeichen! –
Vom Rand mit Reihenzähler. Das Wasserzeichen ist fast schon von vorn zu erkennen!
Die Farbproben des 7-Schilling-Wertes wurden auf Papier mit Wasserzeichen gedruckt. Die bräunlichen Farben ähneln verdächtig der späteren 7-Schilling-Marke (Mi.No.19), die ja erst im Jahre 1865 erschien. 1859 war der 7-Schilling-Wert ja noch orange…
Es gibt in der mir zur Verfügung stehenden Literatur und auch nicht in den Akten des Hamburger Staatsarchivs Anhaltspunkte, die diese oder irgendwelche anderen Proben auf die Zeit vor dem 1.Januar 1859, dem Erscheinungstag der ersten Briefmarken, datieren.
Auch der gängige (Michel-) Katalog gibt zum Produktionsjahr der Probedrucke keine Auskunft. Ebenso finden sich im Werk von Peter U.Theuss, der „Bibel“ für alle Entwürfe, Proben und Essais der altdeutschen Staaten, keine Hinweise auf das Jahr der Herstellung. [4]
Ich besitze einen der frühesten Briefmarkenkataloge überhaupt. Er erschien – bereits in 5.Auflage (!) – im Jahre 1864, der Herausgeber war Mount Brown [5]. Unter „Hamburg“ werden bereits „proofs“ gelistet; einige der Farben sind oben abgebildet.
Fassen wir zusammen: Es gibt keine gesicherten Anhaltspunkte, dass es von Hamburger Briefmarken Probedrucke oder Entwürfe gibt, die vor Erscheinen der Marken am 1.1.1859 produziert wurden. „Zeitgenössisch“, d.h. während der Zeit Hamburgs als eigenes Markenland, sind die gezeigten Probedrucke bzw. Farbproben aber allemal.
Die „Postverwaltungs-Deputation“ machte dann dem Publikum am 27.Dezember 1858 – also 4 Tage vor dem „Start“ – die Einführung von Freimarken beim Stadt-Postamte zum 1.Januar 1859 bekannt. Zu dem Zeitpunkt konnte man in England seine Post schon fast 20 Jahre lange mit Briefmarken frankieren!
[
[1] Staatsarchiv Hamburg. Extractus Protocolli Senatus Hamburgensis. Einführung von Briefmarken. Sign. 111-1_1124
[2] Hamburg, seine Postgeschichte, Postwertzeichen und Poststempel. Festschrift zur Erinnerung an die 50jährige Wiederkehr des Gründungstages des Vereins für Briefmarkenkunde zu Hamburg von 1885. Hamburg. 1935.
[3] Dr.H. Munck.KOHL-Briefmarken-Handbuch. 11.Aufl. Band IV, S.407
[4] Peter U.Theuss. Postwertzeichen und Ganzsachen. Entwürfe, Essais, Probe und Sonderdrucke Deutschland (Bd. II). Toronto. 1996.
[5] Catalogue of British, Colonial and Foreign Postage Stamps by Mount Brown. Fifth Edition. London. 1864