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Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (28): Aktion „Undercover“. Postbeförderung während der Kontinentalsperre

Die Überschrift „Achtung, Umleitung“, die ich für Post während der Elbblockade (Aspekte zur Hamburger Postgeschichte Nr.27) benutzte, könnte auch für diesen Beitrag passen.

Napoléons Kontinentalsperre begann am 21.November 1806. Sie verbot jeden Handel, auch Korrespondenz mit England. Aber der Austausch von Nachrichten war (über-)lebenswichtig, nicht nur für die Kaufleute, und so gab es Möglichkeiten…

Es ist an der Zeit, dass ich hier Mr. Freeling vorstelle. Freeling war Sekretär des Generalpostmeisters in London, und er organisierte und koordinierte ab sofort den Postversand zum Kontinent. Husum, Tönning und Göteborg wurden zu regelmäßigen Anlaufstationen. Um eventuellen Kontrollen durch die Franzosen zu entgehen, durften Briefe aus England nicht mehr (Herkunfts-) Stempel tragen. Diese Anweisung Freelings (vom August 1807) ging ganz offiziell an alle Postmeister im Vereinigten Königreich. Doch auch schon vorher wurde diese Praxis geübt. So berichtet der britische Konsul in Altona schon Anfang Januar 1807 „Briefe ohne Stempel kann man gefahrlos verschicken, empfehlenswert ist das Adressieren der Briefe in französischer oder deutscher Sprache“. Und Freeling schreibt „…Die Briefe aus London verlassen seit letztem Dezember [1806] das Auslandspostbüro ohne verräterische Stempel und Vermerke.“

Zudem kam Freeling mit dem Postmeister des Herzogtums Berg zu einer losen Übereinkunft über die Beförderung von Briefen von und nach England über Hamburg. 6d. pro Brief sollten der („Judas“-)Lohn sein. (Denn das Herzogtum Berg war ja eine feindliche Macht, ein solcher „Deal“ war der Geldgier des Postmeisters geschuldet; Napoléon musste den Braten gerochen haben, denn ab 1808 wurde aus der bergischen Post das Französische Hauptpostamt, die Postkontrollen wurden verschärft…).

Die nachfolgenden beiden Briefe sind schöne Beispiele für diese „klandestine“ Postbeförderung:

Auf die gleiche Art und Weise ging es nach Turin:

Einen ganz und gar ungewöhnlichen Postlauf zeigt der nächste Brief. Wir schreiben das Jahr 1809.

Wie ist so etwas möglich, oder auch: „wie kommt Spinat aufs Dach“?

Schon Prof. Hans A.Weidlich und C. Muys hatten in Rundbriefen des Altbriefsammlervereins im Jahre 1981 [1] die Vermutung geäußert, dass es sich bei dem Stempel „Frco NIENHUUS“ um einen Hamburger Stempel handelte. Aber erst durch die Hilfe von Georg D. Mehrtens, Bremen, der hartnäckig im Bremer Staatsarchiv suchte und fündig wurde, konnten der Postlauf und die Stempel erklärt werden. Der Brief wurde vermutlich von London durch einen privaten Forwarder nach Holland geschmuggelt. Von Holland aus bestand immer noch die Fahrpost zwischen Amsterdam und Bremen, in bremischer Regie (!). Und auf dieser Route, nachzulesen bei C. Piefke [2] ,  „…beförderte der frühere Postmeister Heymann nach wie vor auch Briefsendungen mit der ihm gebliebenen Fahrpost. Es geschah dies auf Verabredung zwischen den Hansestädten, die auch sonst den Franzosen manches Schnippchen schlugen.“

In Hamburg wurde der Brief dann im Französischen Postamt abgefertigt und mit dem Stempel „Frco NIENHUUS“ damit „als aus Holland stammend“ deklariert. Die Weiterbeförderung erfolgte über Berlin und Memel nach Polangen, wo die russische Post die Reststrecke bis Riga übernahm.

Weitere interessante Informationen und Details zu den Taxen und der Portoberechnung erhielt ich von Karlfried Krauss, Potsdam. Beiden genannten Herren an diese Stelle meinen herzlichen Dank!

Ein paar Jahre weiter ins Jahr 1813 – immer noch besteht die Kontinentalsperre:

Die „Huth, London“ – Korrespondenz ist ja sehr bekannt. So lernen wir noch Freunde der Firma und Familie in Frankreich kennen! Auch bei diesem Brief ist äußerlich nicht ersichtlich, dass sein Ziel „England“ sein sollte. Der Vermerk „3p freight“ auf der Vorderseite und der Empfängervermerk innen machen den Brief bedeutsamer als einen einfachen Brief aus bekannter Weinkorrespondenz nach Frankreich..

Und noch einmal ein Brief nach Amerika:

Die Russen unter Tettenborn waren am 12.März 1813 in Hamburg einmarschiert, aber bereits am 30.5. wieder verschwunden. Erst fast ein Jahr später, am 19.Mai 1814 wurde Hamburg endgültig von den Franzosen befreit.

Zum Schluss zeige ich noch einen Brief, der überhaupt keine Transitvermerke aufweist:

Faktisch war im Oktober 1813 die Kontinentalsperre nicht mehr wirksam. Ob der Brief über die bekannte Route London-Hamburg-Preußen lief oder vielleicht durch Schweden (?), kann ich nicht feststellen.

[1] Prof. Hans A.Weidlich. Ein Franco-Grenze-Stempel der Bergischen Post. In Rundbrief Altbriefsammlerverein 1981, S.34 und dazu die Antwort von C. Muys

[2] Christian Piefke. Geschichte der Bremischen Landespost. Bremen, 1947.

 

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (27): Achtung, Umleitung! Die Elbblockade ab 1803

Das Bemühen, geschichtliche Begebenheiten durch postalische Zeitzeugen abzubilden oder nachzuzeichnen, erhebt für viele Sammler die Philatelie in den Rang einer Hilfswissenschaft. Und das könnte in diesem Falle zutreffen.

Es geht um den Zeitraum von 1803 bis 1806. Nach dem – brüchigen – Frieden von Amiens (1802) hatte Großbritannien erneut Frankreich den Krieg erklärt, mit der Folge, dass bald darauf die Postverbindungen aus dem Süden Europas nach England unterbrochen waren. Die Postkurse über Calais-Dover oder Ostende-Dover funktionierten nicht mehr. Und jetzt kommt wieder Hamburg ins Spiel. Die Postschiffe Richtung Hamburg sollten, von Harwich kommend, Cuxhaven anlaufen. Ab 1803 aber blockierte England die Elbe und so wurde Tönning Ausweichstation. Von dort wurde dann die Post auf dem Landweg über dänisches Gebiet nach Hamburg befördert und umgekehrt. Hier ein Brief, der in ein neutrales Land ging, in die Vereinigten Staaten von Amerika:

Die Post nach England wurde ebenfalls über Hamburg abgefertigt, wie dieser Brief dokumentiert:

„HAMBURGH – ein englischer Stempel!“ war die Überschrift einer Veröffentlichung von Rolf Dieter Jaretzky im Jahre 1965 [1]. Dieser Stempel ist selten und nur aus den Jahren 1803-1804 bekannt. In seiner Form (und Datumsfolge) sicherlich britischen Ursprungs; jedoch hat es in Hamburg niemals ein britisches Postamt gegeben, vermutlich aber einen britischen Postagenten, der die englische Post als aus Hamburg kommend kenntlich machte, zur Festsetzung des Portos. Im gleichen Artikel erwähnt Herr Jaretzky, dass ihm aus gleicher Korrespondenz – „S. Barber Esq.“ – drei weitere Briefe bekannt seien, alle aus Nimes in Frankreich.

Auch der nächste Brief kommt – vermutlich – aus Frankreich.

Ein Hamburger Turmstempel aus dem Jahre 1806 (?). Ein solcher Stempel war bisher nicht bekannt, es wären immerhin 8 Jahre, bevor wir die Verwendung dieses Stempels ab dem Jahre 1814 kennen. Der untere Teil – zweizeilig HAMBURGH und Datumsangabe – ähnelt dem vorher gezeigten Stempel, die schwarze Farbe könnte auch durch Oxidation der roten Farbe entstanden sein, hier bleiben leider Fragen offen. In jedem Fall aber wurde der Brief nach London und dann darüber hinaus befördert. Es ist ein privater Brief an eine militärische Adresse („Major d`Infanterie“). Aber so sehr man hofft, etwas über militärische Aktivitäten und/oder Transportmöglichkeiten und -wege zu lesen, es geht nur um private Angelegenheiten. Auch dieser Brief muss vom britischen Postagenten in Hamburg behandelt worden sein.

Als Napoléon am 14.10.1806 Hamburg besetzte, musste der Agent seine Tätigkeit aufgeben. Am 21.November 1806 wurde die Kontinentalsperre verhängt, und nun wurde die Korrespondenz mit England noch viel schwieriger.

[1] R.D.Jaretzky. HAMBURGH – ein englischer Stempel. 1965.

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (26): Ritzebüttel „revisited“ oder: Sachen gibt`s, die gibt`s gar nicht….

Einen umfassenden Überblick über die in der Hamburger Enklave „Ritzebüttel“ verwendeten Poststempel hatte ich bereits in meine „Aspekten zur Hamburger Postgeschichte (14) Das Amt Ritzebüttel“ zu geben versucht. Das dachte ich zumindest.

Aber wie soll man über etwas berichten, von dem man gar nicht weiß, dass es existiert?

So erging es mir jedenfalls mit dem in diesem Artikel gezeigten Brief. Ein Rahmenstempel RITZEBÜTTEL aus dem Jahre 1853. Er ist weder im Standardwerk von Dr. Meyer-Margreth [1] noch im Stempelhandbuch der Arbeitsgemeinschaft [2] abgebildet oder beschrieben.

Erst das genaue Studium des „Lenthe“ über die Poststempel von Hannover [3] brachte eine Erklärung:

„Ein ungewöhnlich großer Rahmenstempel von RITZEBÜTTEL, wo seit 1.Januar 1852 ein hannoversches, durch den dortigen hamburgischen Postbeamten mitverwaltetes Postbüro eingerichtet war, ist bisher nur in 2 Exemplaren vom März 1853 (einmal auf Marke 1ggr grün, einmal ohne Marke auf Brief) bekannt geworden, seine Herkunft ist nicht nachweisbar, Hamburg, dessen Stempel sich auch auf Hannover-Marken befinden, hat ihn bisher für sich nicht in Anspruch genommen.“

Hier nun der Stempel:

Ein blauer zweizeiliger Rahmenstempel (57x20mm), datiert RITZEBÜTTEL APR 1  auf einem Brief nach Kirchwärder im Bergedorfer Landbezirk (Vierlande). Vorderseitig mit dem Fußpoststempel, rücks. der Ovalstempel des Hamburger Stadtpostamtes, beide vom gleichen Datum (3.4.1853). Der Brief lief dann nach Bergedorf (roter Zweizeiler rückseitig), und der vorderseitige Rahmenstempel B.L.P.A. (Bergedorfer Landpostamt) bestätigt die Weiterbeförderung über Bergedorf hinaus.

Warum ist dieser Stempel so selten?

Eine mögliche Erklärung ist sicher, dass der Einkreisstempel von Ritzebüttel der – anfangs in schwarzer, später in blauer Stempelfarbe – über viele Jahre Verwendung fand, bereits ab Anfang April 1853 in Gebrauch gewesen sein muss. Im Stempelhandbuch der Arbeitsgemeinschaft [2] wird der 4.4.1853 als frühestens Datum genannt. Vielleicht ist der Rahmenstempel auch kaputt gegangen oder wurde – nach Einführung des Einkreisstempels – bestenfalls noch als Reservestempel verwendet.

Mehrere „Raritätsfaktoren“ kommen bei dem oben gezeigten Brief zusammen. Neben dem ohnehin raren Abgangsstempel noch die seltene Destination „Bergedorfer Landbezirk“ (und dazu noch an die Privatadresse von Pastor Lüders in Kirchwärder…). So soll dieser Brief, der aus der berühmten „Boker“-Sammlung stammt (und auch dessen handschriftliche Notizen rückseitig trägt), im Jahre 1989 bei Köhler in Wiesbaden zum Preis von 5.000 DM zugeschlagen worden sein, einem zur damaligen Zeit „riesigen“ Preis für einen vorphilatelistischen Brief…

 

[1] Meyer-Margreth, Dr.Ernst. Die Poststempel von Hamburg. Hamburg, 1965.

[2] Handbuch der Poststempel von Hamburg bis 1875. Hrsg. Arbeitsgemeinschaft für Postgeschichte und Philatelie Schles-Holstein, Hamburg und Lübeck e.V. Hamburg, 2004.

[3] Lenthe, A.von. Hannover, Postanstalten und Poststempel. Hannover, 1971.