Frank Arthur Bellamy und seine Philatelistische Bibliothek

F.A.Bellamy – für „Bibliophile“ unter den Philatelisten hat dieser Name einen besonderen Klang. Sein Ex-Libris hat als Pedigree für Bücherfreunde die gleiche Wertigkeit wie eine Signatur z.B. von Ferrary auf einer Briefmarke sie für Philatelisten hat.  Abhishek Bhuwalka aus Mumbai, der eine sehr schöne Webseite pflegt, hat jetzt unter seiner Rubrik „Blog on Philatelic Literature“ über F.A. Bellamy berichtet. Er war sofort einverstanden, als ich ihm vorschlug, diesen Artikel auch in meinem „Bulletin“ zu veröffentlichen, mit einer deutschen Übersetzung. Viel Spaß!

Frank Arthur Bellamy war einer der größten Sammler aller Zeiten von philatelistischer Literatur. Nachdem die Bibliothek des Earl of Crawford dem Britischen Museum vermacht worden war (heute in der British Library), galt die Bibliothek Bellamy `s als die größte der Welt, bis zu ihrem Verkauf im Jahre 1938.

Bellamy wurde in Oxford am 17.Oktober 1863 geboren, als siebtes und letztes Kind einer College Mitarbeiterin und eines Meister-Buchbinders (vielleicht einer der Gründe für seine Liebe zu Büchern). Er war ab 1881 im Radcliffe Observatorium beschäftigt und arbeitete dort 46 Jahre lang am „Astrographic Catalogue“, dem ersten internationalen Werk, das die Photographie zur Katalogisierung von Sternen beider Hemisphären nutzte.

Zusammen mit seiner Nichte, Ethel Bellamy, katalogisierte er etwa eine Million Sterne.

Bellamy wurde im Jahre 1896 zum Fellow der Royal Astronomical Society ernannt, seine Nichte Ethel folgte ihm darin im Jahre 1926.

Im Jahre 1931 wurde H.H. Plaskett zum neuen Direktor des Observatoriums ernannt; Bellamy konnte jedoch mit seinem neuen Vorgesetzten nicht auskommen, so dass er seinen Posten am 30.Januar 1936 aufgab. Er starb, vielleicht an gebrochenem Herzen, zwei Wochen später, am 15.Februar 1936.

Bellamy begann als Kind im Alter von 5 Jahren mit dem Briefmarkensammeln. Sein Augenmerk lag auf den Kuriermarken der Oxford und Cambridge Colleges, von denen er etwa 2500 Stück besaß. Dieser Bestand und einige andere Marken und philatelistische Stücke wurden von John Johnson von Ethel Bellamy erworben und sind heute Teil der weltberühmten „John Johnson collection of printed Ephemera“, die sich in der Bodleian Library befindet [der Hauptbibliothek der Universität Oxford und gleichzeitig eine der sechs Pflichtexemplarbibliotheken im Vereinigten Königreich, in denen jedes im Land gedruckte Werk hinterlegt werden muss].

Bellamy war der Autor von „Oxford and Cambridge College Messenger Postage Stamps, Cards, and Envelopes 1871-86“ (1921) sowie von „A Concise Register of the College Messenger Postage Stamps, Envelopes, and Cards used in the Universities of Oxford and Cambridge 1871-95, together with the stamps used by the Oxford Union Society 1859-85“ (1925). Zudem war er Co-Autor von „A History of the Philatelic Congress of Great Britain and a Précis of the Proceedings at the First Four Congresses held at Manchester, London, Birmingham, Margate in 1909, 1910, 1911, 1912“ (1914).

Bellamy` s bedeutendster Beitrag zur aktiven Philatelie war seine Mitgliedschaft und sein ehrenamtliches Engagement in der Oxford Philatelic Society (OPS). Am 13.Dezember 1890 fand im Boys` School Room in Gloucester Green ein Treffen statt, um über die Gründung „eines Briefmarken-Sammlervereins bzw. über eine Briefmarken-Sammler-Gesellschaft in Oxford“ zu diskutieren. Als Ergebnis wurde am 27.Januar 1891 „The Jubilee Philatelic Association“ gegründet, mit Bellamy als ehrenamtlicher Geschäftsführer und Schatzmeister. Diese Vereinigung verschmolz (oder besser, die ursprüngliche Vereinigung wurde umbenannt) zur Oxford Philatelic Society (OPS), und zwar am 22.März 1892. Bellamy blieb in seiner Funktion bis 1930 und noch einmal ab 1933 oder 1934.

Bellamy war ein „spröder“, oftmals starrköpfiger Mensch, aber penibel und hingebungsvoll in seinen Ämtern und Ansichten.

So hatte er zum Beispiel im Jahre 1889 bei der Gründung der Photographischen Gesellschaft Oxford mitgewirkt, aber zog sich bereits 1892 aus prinzipiellen Gründen zurück; er lehnte es auch ab, der Nachfolgegesellschaft, dem „Oxford Camera Club“, beizutreten, statt dessen schloss er sich dem „Banbury Photographic Club“ an!

Die zeitliche Lücke von 3 oder 4 Jahren in seiner Tätigkeit in der Oxford Philatelic Society kam wie folgt zustande: Bei einem Treffen der OPS am 12.März 1929 wurde Bellamy` s Antrag auf Erhöhung des Jahresbeitrages mit 8 gegen 1 Stimmen abgelehnt. Seine sofortige Kündigung am gleichen Tag nahm er zurück und erklärte sich einverstanden, seine Funktion als Geschäftsführer und Schatzmeister bis zur nächsten jährlichen Hauptversammlung im Januar 1930 weiterzuführen. Als dann ein Captain Harley sein Nachfolger wurde, fanden keine weiteren Treffen bis zum 25.Juli 1933 statt. Bellamy kehrte zurück, um seine Ämter wieder aufzunehmen, entweder bei diesem Treffen oder dem nächsten, das am 13.Februar 1934 stattfand.

Bellamy` s Interesse an philatelistischer Literatur kann man wahrscheinlich auf die letzten zwei Jahrzehnte des 19.Jahrhundert zurückdatieren. Er war Juror für philatelistische Literatur auf der Londoner Philatelistischen Ausstellung 1897.

Um 1916 hatte er eine umfangreiche Bibliothek zusammengetragen. Einige Titel aus seiner Bibliothek halfen Edward D. Bacon bei der Erstellung des Crawford Kataloges.

Bereits um die Jahrhundertwende entschloss sich Bellamy, seine Sammlung der Universität von Oxford zu schenken. im Jahre 1916 führte er Vorgespräche mit der Universität, doch wurde er gebeten, bis zum Ende des Krieges zu warten. Im Jahre 1920 machte er ein formelles Angebot, das sechs Jahre später, im Jahre 1926, zurückgewiesen wurde. Die Universität wies das Angebot mit der Begründung zurück, „…dass die Philatelie kein Studienfach der Universität sei und dass die Sammlung, wie begehrenswert auch immer, Kosten für die Universität verursachen würde, die die Sammlung aufzunehmen nicht rechtfertigen würde.“

Bellamy war zutiefst gekränkt und schrieb zwei Briefe, von denen einer in der „Times“ vom 9.Juni und der andere, mehr ausführlichere, in der „Oxford Times“ vom 25.Juni 1926 erschien. In beiden Briefen legte Bellamy dar, dass er angeboten hatte, sämtliche Kosten, die aus seinem Geschenk erwachsen würden, jetzt und in Zukunft zu tragen. Lediglich der Platz würde benötigt werden, und davon gäbe es genug in verschiedenen Gebäuden der Universität; zudem, falls es später zu Engpässen kommen würde, könnten die Sachen immer noch verlagert oder vernichtet werden! Er hatte das Gefühl, dass die Leitung der Universität die Bedeutung von Postgeschichte nicht erkannt hatte.

Ungesagt blieb der stille Vorwurf, dass, wenn das Britische Museum die Schenkung vom Earl of Crawford annehmen konnte, warum konnte dann nicht die Universität von Oxford sein Geschenk annehmen, das von einer gleich hohen Qualität war?

Diese beiden Briefe wurden später als kleine Monographie gedruckt, unter dem Titel „Statements and Comments upon the Result of a Proffered Gift to the University of Oxford“ [Feststellungen und Kommentare zum Ergebnis eines angebotenen Geschenks an die Universität von Oxford]. Diese Monographie ist heute recht selten.

Kurz vor seinem Tod im Jahre 1936 stand Bellamy unter dem Eindruck, dass seine Sammlung ins Queen` s College (Cambridge) gehen würde. Queen` s hatte in der Tat Bereitschaft signalisiert, zog diese Zustimmung jedoch in Anbetracht der finanziellen Situation von Bellamy` s zwei Nichten zurück, die mit ihm lebten und die von ihm finanziell abhängig waren. Bellamy selbst starb mittellos.

 

 

Viele Quellen behaupten, dass Bellamy` s Bibliothek etwa 200.000 Titel umfasste. Dies ist falsch. In seinen Briefen erwähnt Bellamy, dass die Gesamtzahl seiner Sammlungsstücke einschließlich der Briefmarken über 200.000 betragen würde. Seine Bibliothek allein enthielt „über 75.000 Titel“ und würde 320 Fuß (ca. 100+ Meter) laufende Regalmeter belegen.

Die frühesten Titel datierten zurück bis etwa zum Jahre 1500; hierbei handelte es sich um postalische Verfügungen und Verordnungen; sowie Straßenkarten aus der Zeit, bevor die Eisenbahn fuhr. Ein handschriftliches Bibliotheksverzeichnis befindet sich in der John Johnson Sammlung.

Bellamy` s Bibliothek wurde im Jahre 1938 an Albert H. Harris verkauft. Das Gesamtgewicht betrug circa 10 Tonnen. Seitdem sind Bellamy` s Bücher, kenntlich an seinem Ex-Libris (ein schwarzer Gummistempel von 19mm Durchmesser)[siehe oben], in der ganzen Welt verstreut. In letzter Zeit kann man solche Stücke nur selten finden; vielleicht sind sie alle in bibliophilen Sammlungen verborgen.

Anmerkung: Dieser Artikel wurde erstmals am 21.Februar 2020 veröffentlicht, aber noch einmal gründlich am 12.März 2020 überarbeitet, nachdem der Autor ein Buch über die Geschichte der OPS erwerben konnte (es ist erhältlich von der Society). Viele neue Informationen kamen aus dieser Quelle.

Literaturverzeichnis:

  1. Hughes, A. M. Oxford Philatelic Society: A History. Oxford: Oxford Philatelic Society, 2016
  2. Birch, Brian J. Philatelic and Postal Bookplates. Montignac Toupinerie, France: The Author, 2018
  3. Birch, Brian J. The Philatelic Bibliophile’s Companion. Montignac Toupinerie, France: The Author, 2018
  4. https://en.wikipedia.org/wiki/Frank_Arthur_Bellamy
  5. ​https://cseligman.com/text/atlas/discoverers.htm#bellamy
  6. http://www.abps.org.uk/Home/Who_Was_Who/index.xalter#B
  7. https://www.bodleian.ox.ac.uk/__data/assets/pdf_file/0004/86044/catalogue-of-an-exhibition.pdf
  8. http://www.oxfordshireblueplaques.org.uk/plaques/bellamy.html
  9. https://oxfordphilatelicsociety.wordpress.com/2019/01/13/simon-reviews-our-new-season-to-jan-2019/
  10. http://www.stsepulchres.org.uk/burials/bellamy_frank.html

 

Soweit der Artikel von Abhishek Bhuwalka aus Mumbai, Indien. Sie können den Originaltext in englischer Sprache auch hier lesen.

„Jeder stirbt für sich allein“ – privater Widerstand in den letzten Monaten des Dritten Reiches

Ein (post-)historisches Dokument aus der Reichshauptstadt Berlin im Oktober 1944:

Ein Aufruf an Euch!

Unsere HEIMAT ist in höchster GEFAHR!!

DEUTSCHLAND steht vor seiner SELBSTVERNICHTUNG!

Wenn Ihr Euch nicht jetzt besinnt, ist es zu spät. Wollt Ihr noch zusehen, wie Ihr selbst, Eure Kinder und Frauen, die Soldaten an der Front langsam, aber sicher einem qualvollen Ende entgegengehen. Hitler scheut kein Blut, um seine mörderischen Pläne durchzuführen. Der von ihm verbrecherisch heraufbeschworene Krieg hat die Wendung genommen, die ja kommen musste. Jetzt, wo sich die Völker, die er schonungslos überfallen und dann mit süssen Verheissungen umschmeichelt hatte, sich mit Recht erheben, nachdem sie den Betrug gemerkt haben, da will dieser hinterlistige Mordbube seine eigene Niederlage vertuschen. Üble Hetzpropaganda, heuchlerische Versprechen und „neue Waffen“ sollen uns nur von dem Elend, in das er uns gestürzt hat, ablenken. – Es ist doch verständlich, dass die Nazis um ihr Leben und ihr Bonzentum zittern und alles dafür einsetzen. Dass sie aber friedfertige Bürger zum Werkzeug ihrer Pläne machen und sie ins Feuer schicken um ihrer Existenz willen, ist das Verwerflichste. – DEUTSCHE WACHT AUF! Ihr steht vor der Entscheidung: Entweder Untergang oder Erhaltung Eurer Familie, Eures Daseins. Die Kapitulation ist in dieser hoffnungslosen Lage die einzige Rettung und ein Sieg der Vernunft. – Drum schliesst Euch zusammen zum Kampf gegen diese Verleumder und wahren Verräter!!!

– Gebt diesen Aufruf weiter an Kameraden, zu denen Ihr Vertrauen habt –-„

Das ist der Text dieses Kartenbriefes, der am 4.Oktober 1944 in Berlin O17 vermutlich in einen Briefkasten am Schlesischen Bahnhof (dem heutigen Ostbahnhof) geworfen wurde. Adressiert ist der Umschlag an „Leo Frieske, Berlin NO 18, Thornerstraße 64“.

Im Berliner Adressbuch für das Jahr 1943 wird der Name Leo Frieske als „Großfleischerei“ geführt. Natürlich bleibt der Absender anonym, aber wer immer er war, er hat mit der Versendung solcher, gegen das Regime gerichteter Briefe sein Leben riskiert.

Ein erschütterndes Zeitdokument –  wir denken sofort an Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“. Und wie spannend es sein kann, scheinbar belanglose Poststücke genau zu studieren, zeigt dieser historische Beleg. Bald feiern wir den 75.Jahrestag der Beendigung des 2.Weltkrieges und kaum jemand aus den jüngeren Generationen kann sich noch in die Gedanken und Nöte der damals betroffenen Menschen hineinversetzen.

Hier verdient die Philatelie ihre Anerkennung als ernst zu nehmende Hilfswissenschaft!

FERIENLEKTÜRE

Liebe Freunde, was war das für ein Sommer 2018!

Es war doch bei der Hitze eigentlich schlecht möglich, sich mit Briefmarken zu befassen. Vorzuziehen war es allemal, sich mit einem Buch und einem anständigen Aperitivo in den Strandkorb zurückzuziehen. Dass es bei meiner Strandlektüre dennoch auch um die Philatelie ging, mögen Sie mir nachsehen. . Aber – ganz ehrlich – akribisch zusammengestellte Kompendien über das Schuhwerk von Landpostboten oder neu entdeckte Abarten der Notopfermarke zu studieren, ist nicht so richtig „mein Ding“. Die Bücher, die ich Ihnen vorstellen möchte, sind eigentlich dem Bereich „Belletristik“ zuzuordnen.

 

Stamp of the Century

Dies ist ein bemerkenswertes Buch. Es geht um die „Inverted Jenny“, den kopfstehenden kleinen Doppeldecker auf der ersten amerikanischen Flugpostausgabe, der 24c.-Marke aus dem Jahre 1918.

Über die Marke ist soo.. viel geschrieben worden, auch einige Bücher. Doch dieses neue Buch, erschienen zum „100.Geburtstag“ , fasst alles noch einmal zusammen, was zu dieser Marke wissenswert ist.

Da ist zunächst die Entstehungsgeschichte dieser berühmtesten amerikanischen Briefmarke, die im Mai 1918 aus Anlass des ersten Luftpostdienstes zwischen Washington, Philadelphia und New York erschien.

In bisher unbekannten Fotos lernen wir den glücklichen Finder, William Robey, kennen, der den Bogen mit der kopfstehenden Jenny am Postschalter erwirbt (und es sollte der einzige Bogen bleiben), der ihn dann an den Briefmarkenhändler Eugene Klein in Philadelphia verkauft und der wiederum ihn nur ein paar Tage später an „Colonel“ Edward H.R.Green veräußert.

Green trennt sich einige markante Blockstücke aus dem Bogen heraus und übergibt den Rest wieder an Eugene Klein zum Verkauf. Die Käuferliste der so vereinzelten Stücke liest sich wie das „Who is who?“ der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte.

Eisenbahn- und Ölmagnaten, Wall Street-Größen, Wirtschaftsprüfer und Kongreßabgeordnete werden vorgestellt; weit zurück zu den großen Familien des 19.Jahrhunderts und den Nachfolgern der Bürgerkriegsveteranen reichen die Recherchen der Autorinnen Kellen Diamanti und Deborah Fischer, die zudem eine Fülle bisher unbekannten Fotomaterials präsentieren können.

Eingebettet werden die Kapitel über die vielen stolzen Besitzer in die historischen Zeitläufte.

Die Entwicklung des Flugverkehrs und die damit zusammenhängende Entwicklung der Luftpostphilatelie – dargestellt in Schilderungen der großen philatelistischen Ausstellungen – ist ebenso Thema wie die grossen Katastrophen des 20.Jahrhunderts (z.B. der Depression von 1928 und den langen Schatten des 2.Weltkrieges), die ihre dramatischen Spuren hinterließen und ihre Auswirkungen auf Käufe und Verkäufe von Inverted Jennys hatten.

Ein weiterer Aspekt, den die Autorinnen ausgiebig untersuchen, ist die Preisentwicklung.

Die Inverted Jenny war zu keinem Zeitpunkt „billig“. Als Eugene Klein in Greens Auftrag im Jahre 1918 begann, die restlichen Stücke zu detaillieren, verlangte er 250 Dollar für ein vierseitig gezähntes Exemplar. Nach heutigem Gelde dürfte dies einem Kaufkraftwert von ca. 4000 Dollar entsprochen haben. Das war vor 100 Jahren für den viel zitierten „Normalsammler“ ein kaum erschwinglicher Preis.

Im 21.Jahrhundert auf Auktionen angeboten, erzielt eine Inverted Jenny Zuschläge ab 200.000 Dollar aufwärts, je nach Qualität; rekordbrechend der Zuschlag von 1.175.000 Dollar für eines der am besten zentrierten Exemplare auf der Raritäten-Auktion von Robert Siegel in New York 2016.

Man darf fragen, warum dieser Fehldruck solche Preise erzielt, zumal doch immerhin 98 der ursprünglich vorhandenen 100 Stücke als existent nachweisbar sind. (Der im Juni 2018 erreichte Preis von 270.000 CHF plus Auktionsaufgeld für einen „kopfstehenden Schwan“ Westaustraliens, von dem es nur 14 Stücke gibt, die Hälfte davon in Museen, mutet im Vergleich lächerlich an!).

Die Frage ist aber rhetorisch, genauso wie auch die Frage „Was wird die Zukunft für die kopfstehende Jenny bringen, bei der rapide schwindenden Zahl von Sammlern?“

Diamanti und Fisher geben auch gleich die Antwort: Heutige Käufer wollen nicht „nach alter Väter Sitte“ eine Lücke im Album schließen; ein spektakuläres Stück muss es sein, dem ein Zauber innewohnen sollte – „a thing with noise“, wie es der amerikanische Schuh-Designer Stuart Weitzman ausdrückte (der Käufer der 1c. Magenta von British Guiana).

Die Jenny Invert ist eben die meist ikonische Marke (und nicht nur auf die USA bezogen!) des 20.Jahrhunderts – The Stamp of the Century.

Stamp of the Century. Diamanti,Kellen u. Deborah Fisher. APS,Bellefonte,PA. 2018. 403 S., zahlr.Abb.,Tabellen,Karten. In englischer Sprache. Broschiert. ISBN 978-0-933580831.

Eine Erwähnung wert gewesen wären vielleicht noch die Fälschungen oder Nachdrucke der kopfstehenden Jenny – damit wäre dann ein Bogen geschlagen zum jüngsten Coup der amerikanischen Postverwaltung, nämlich die kopfstehende Jenny zum 100.Geburtstag als Kleinbogen von 10 Stück herauszubringen und in die Kleinbogen-Verpackungen 100 Stücke hineinzumischen, auf denen die Jenny eben nicht kopfsteht. („The NON-INVERTED Jenny Sheet“, jüngst verkauft bei Siegel, New York für 40.000 USD).

Noch ein kleiner Abschweif sei hier erlaubt: Frappierend gut gelungen war Peter Winters „Replik“ der kopfstehenden Jenny.  Wolfgang Jakubek hat die herrlich schräge Geschichte im vorigen Jahr im BRIEFMARKEN-SPIEGEL geschildert: „Der Opernsänger und seine Jenny“. Wenn Sie Spaß haben, lesen Sie diesen Artikel gleich am Anschluss an diesen Bulletin-Beitrag.

Zurück zur Ferien- und Strandlektüre:

 

A Million Dollars an Ounce

Das ist sie wieder – die kopfstehende Jenny, zumindest an prominenter Stelle vorn und hinten auf dem Broschurumschlag, und sie spielt auch wieder eine „tragende“ Rolle…Doch dazu später.

Was wäre, wenn das NS-Regime auch Briefmarken mit der gleichen „Gründlichkeit“ geraubt hätte, wie es dies mit Kunstgegenständen, Gemälden, Gold, Juwelen und anderen Wertgegenständen im 2.Weltkrieg tat?

In „A Million Dollar An Ounce“ von M.John Lubetkin ist genau dies der Ausgangspunkt einer Geschichte, in der sich Wahrheit und Fiktion zu einem rasanten Plot vermengen.

Als in den ersten Maitagen des Jahres 1945 das 3.Reich untergeht, flieht Hermann Seis, ein hoher Nazi-Funktionär und einer der Hauptakteure des Nazi-Programms zur Requirierung von Briefmarken, mit einem speziellen Gürtel um den Bauch, der den größten Teil der wertvollsten Stücke enthält. Er hofft, über die Elbe zu entkommen.

Aber in der Nähe von Ludwigslust ist die Flucht zu Ende – er wird gefangen genommen von US Army Capt. Harry Strong von der 82.Luftlande-Division. Strong, der – halbjüdisch – mit seinem Vater und seiner Schwester in den 1930er Jahren nach Amerika geflohen ist, spricht fließend Deutsch und er, der als junger Mensch Briefmarken gesammelt hat, „riecht den Braten“ und enttarnt mit seinem Team den flüchtenden, als Zivilist getarnten Hermann Seis.

Seis wird bei der Festnahme erschossen. Harry Strong nimmt die Marken an sich.

Die weitere Geschichte spielt sich überwiegend im New York der frühen Nachkriegszeit ab.

Strong, nunmehr im zivilen Leben zurück und auf der Karriereleiter einer Baufirma aufsteigend, verkauft die Briefmarken, mit der Hilfe eines bekannten Gangsterbosses, der Verbindungen hat (oder knüpft) zu Briefmarken-Experten, zu Auktionshäusern und – last but not least – zu israelitischen Organisationen wie dem Mossad (an den später Erlöse aus Harry`s Briefmarkenverkäufen gehen).

Zum Showdown kommt es, als der Bruder Franz des 1945 ums Leben gekommenen Hermann Seis, „seine“ Briefmarken zurückerlangen will. Franz Seis, wie sein Bruder ehemals in hoher SS-Funktion, arbeitet nach Verbüßung eines Teils seiner Haftstrafe eigentlich für die „Guten“, nämlich für die Gruppe Gehlen, dem späteren Bundesnachrichtendienst. Seis macht sich auf den Weg nach New York, er will neben seinen Briefmarken auch persönlich Rache nehmen für den Tod seines Bruders.

Mehr sei hier nicht verraten.

Ja, der „Plot“ ist insgesamt stimmig – so könnte es gewesen sein.

Lubetkin erzählt seine Geschichte in kurzen, szenisch wechselnden Abschnitten, die der Dynamik des sich entwickelnden und auf das unausweichliche Ende hinsteuernden Geschehens entsprechen.

Dabei gibt es aber für mich einige Schwächen.

Insbesondere die meisten Charaktere bleiben „leblos“ oder „hölzern“; mit seinem Helden, Harry Strong, kann ich mich bis zum Ende nicht identifizieren. Die „Bösen“ kann man von Herzen hassen. Harry`s Gegenspieler, der ex-SS-Offizier Franz Seis, erfüllt alle Klischees eines solchen Charakters aus bekannter NS-Literatur. Die anderen Bösen (die New Yorker Gangsterwelt) kommen da fast zu gut weg. Meyer Lansky, Lucky Luciano und Bugsy Siegel sind historische Gestalten, die nicht gerade mit Heiligenscheinen herumliefen. Klischeehaft sind auch die Sexszenen und die Beziehungs- und Liebesgeschichten, die Stereotype verarbeiten, wenn der Autor die nach dem 1.Weltkrieg herrschende Männerknappheit in England und Frankreich mit der Promiskuität deutscher Frauen nach 1945 als Vergleich bemüht.

Und dann spielen da natürlich immer die Briefmarken eine Rolle.

Lubetkin bemüht bekannte Namen. Col. H. Green (der als „Brown“ daherkommt) oder die Firma H.R.Harmer („they sold Roosevelt`s collection“) sind nur zwei davon; unglaubwürdig wird es, wenn Harry Strong Meyer Lansky beim ersten Zusammentreffen erzählt, von den „kopfstehenden Jennies“ hätte er allein 7 Stück, darunter einen Viererblock!

Doch bei diesen kritischen Anmerkungen möchte ich es belassen.

Insgesamt ist es ein packender, aktionsgeladener Krimi, und es erfreut einen Philatelisten, wenn einmal die Briefmarke der „spiritus rector“ für einen Roman ist.

A Million Dollar an Ounce. Lubetkin, M.John. San Bernadino,USA, 2018. 363 S., broschiert. In englischer Sprache. ISBN-Nr.978-1-983417139.

Hier nun der oben angekündigte Artikel aus dem BRIEFMARKEN-SPIEGEL:

Nebenbei bemerkt, werden die beschriebenen Stücke aus der Produktion des Opernsängers gut auf Auktionen bezahlt – 400 bis 500 Euro wurden für einen solchen Viererblock schon auf den Tisch gelegt. Sollten Sie an einem solchen „Blöckchen“ interessiert sein, schreiben Sie mir und ich kann Ihnen ein Angebot machen. Die Marken sind einzeln vom Künstler rückseitig signiert, so dass – ein Schelm, der Böses dabei denkt – ein Missbrauch ausgeschlossen ist.

Last – but not least – noch einmal „Ferienlektüre“:

Es geht – weil wir gerade so schön dabei sind – noch einmal um „Millionen“.

Doctor of Millions.

The rise and fall of stamp king Dr. Paul Singer – so lautet der Untertitel des Buches von Seamus Brady, der als Reporter des „Daily Express“ den Aufstieg und Fall des Dr.Paul Singer schildert, als Zeitzeuge des spektakulären Zusammenbruchs der Shanahan-Auktionen und des darauf folgenden Gerichtsverfahren, das bis heute in der irischen Gerichtsbarkeit keine Parallelen kennt .

Die Geschichte katapultiert uns zurück ins Jahr 1954, als eben dieser Dr. Singer beim altehrwürdigen Auktionshaus Shanahan in Dublin über die Schwelle tritt und die Inhaber davon überzeugt, dass eine Abteilung „Briefmarken“ dem Auktionshaus nur Glück und Segen bringen kann. Singer ist der „Macher“, finanzielle Möglichkeiten schafft er durch sein „Ponzi-Schema“, und er ist es, der die sensationellsten philatelistischen Stücke „aufreißt“. Wenn man die Angebote der Shanahan-Kataloge ansieht, gehen auch „gestandenen“ Philatelisten heute noch die Augen über. Glanz und Gloria und rauschende Feste, bei denen kein Auge trocken bleibt,  die Firma erscheint regelmässig nicht nur in der Dubliner Tagespresse. Dr. Paul Singer, der 2-Meter-Mann, der sich feiert, und, wenn er von einer Akquisitions-Tour zurückkommt, seine Mitarbeiter Spalier stehen und einen fröhlichen Gesang „And he is a jolly good fellow…“ anstimmen läßt, ist eine eindrucksvolle Erscheinung!

Das Ende der glanzvollen Shanahan-Auktionen kennen ältere Philatelisten. Es war der bis dahin größte „Phila-Crash“ der Geschichte. Seamus Bradys Buch widmet sich aber besonders der (gerichtlichen) Aufarbeitung „danach“. Schon einmal zu lesen, mit welchen Argumenten und Tricks sich Singer in dem Verfahren selbst verteidigt, dürfte auch für heutige Juristen höchst spannend sein.

Philatelisten werden allemal auf ihre Kosten kommen.

Doctor of Millions. Seamus Brady. Tralee, Irland, 1965. 176 S., broschiert. In englischer Sprache. Nur antiquarisch erhältlich.