Die Vereinssammlung des Hamburger Vereins für Briefmarkenkunde – Festvortrag anlässlich des 118. Deutschen Philatelistentages in Hamburg am 5.Oktober 2025

Guten Morgen, meine Damen und Herren,

„Die Vereinssammlung“ – das klingt zugegebener Maßen etwas trocken und unspektakulär für einen Festvortrag an dieser Stelle. Ich möchte versuchen, Ihnen nahezubringen, wie spannend das Thema sein kann. Dazu muss ich etwas in die Philateliegeschichte gehen.

„Die meisten Vereine sind mehr Tausch- resp. Kaufvereinigungen, die die wissenschaftliche Seite der Philatelie teils gar nicht, teils nur sehr oberflächlich behandeln“. Das sagte 1911 Arthur Wülbern, Ihnen sicher bekannt ist als Autor (Stichwort „Helgoland“) und einer der Väter der wissenschaftlichen Philatelie.

In die Vereine wurden also Mitglieder aufgenommen ohne Rücksicht auf deren Sammelgebiete; erst die wachsende Spezialisierung brachte es mit sich, dass später Vereine (oder noch viel später Arbeits- und Forschungsgemeinschaften) aufkamen, deren Mitglieder das gleiche Sammelgebiet hatten.

Beim Hamburger Verein – lassen Sie mich diesen Namen als „pars pro toto“ benutzen, denn er entstand ja aus dem Zusammenschluss zweier Vereine, nämlich dem Hamburger und dem Altonaer Verein – Gründungsjahre 1885 und 1888 – war dies sicher nicht anders, aber es gab doch einen besonderen Schwerpunkt: Die Postgeschichte von Hamburg.

In den Annalen der Vereinsgeschichte heißt es, „beide Vereine hatten schon bald nach ihrer Begründung begonnen, eine Hamburg-Sammlung anzulegen und auszubauen.“

„Bald nach ihrer Begründung“ – wir sind also im letzten Jahrzehnt des 19.Jahrhunderts. Den „Gründervätern“, wenn ich das mal so salopp sagen darf, und die meisten hatten sicherlich noch ihre Post mit Hamburger Briefmarken frankiert, muss also klar gewesen sein, welch enorme Vielzahl an Stempeln in Hamburg Verwendung gefunden hatte, und dies sollte dokumentiert und für die Nachwelt erhalten werden.

Kataloge gab es für Postwertzeichen, aber von einer systematischen Katalogisierung von Poststempeln war man noch weit entfernt. Der Gedanke, vermittels einer „Vereinssammlung“ dieses postgeschichtliche Erbe zu dokumentieren, war also genial.

Das war der Beginn, und nun, um die Jahrhundertwende, Auftritt ERNST VICENZ. Ein bekannter Architekt (noch heute gibt es einige Bauwerke in Hamburg, die mit seinem Namen verknüpft sind), wurde er Vereinsvorsitzender. Wenn Sie seinen Namen bei Wikipedia eingeben, lesen Sie dort: „Neben seiner Arbeit als Architekt war Vicenz ein bekannter Briefmarkensammler, publizierte zum Thema und war von 1911 bis 1923 Vorsitzender des Bundes Deutscher Philatelistenvereine.“

Ich halte wenig davon, viele Bilder von den ehrwürdigen „Alten Herren“ zu zeigen, aber den markanten Schnauzbart möchte ich Ihnen doch nicht vorenthalten.

 

Ernst Vicenz ist insofern für unsere heutige Betrachtung von Bedeutung, als er der erste war, der die Poststempel von Hamburg zu dokumentieren versuchte. Im Jahre 1908 waren es zusammengeheftete hektographierte Bögen, die als Arbeitsgrundlage dienen sollten, um die „Abstempelungen der Hamburgischen Stadt- und Landpost sowie der fremdstaatlichen Postämter in Hamburg“ systematisch zu erfassen.

 

Dieses erste „Stempelwerk“ war noch voller Irrtümer. Die auf der rechten Seite abgebildeten zweizeiligen „Hamburg“-Stempel wurden vom Mecklenburgischen bzw. vom Preussischen Postamt in Hamburg verwendet.

Jetzt mache ich einen Zeitsprung in die 1930er Jahre. Im Jahre 1931 war es zur Vereinigung der beiden Gründungsvereine gekommen, die eingangs erwähnten zwei Vereinssammlungen wurden durch Richard Weissenburg zusammengeführt und neu geordnet. 1935 war das Jubiläumsjahr – 50. „Geburtstag“ des Vereins – und es erschien eine Festschrift, in der wir dann alle Poststempel von Hamburg abgebildet finden. Diese Festschrift mit dem sperrigen Titel „Hamburg, seine Postgeschichte, Postwertzeichen und Poststempel. Festschrift zur Erinnerung an die 50-jährige Wiederkehr des Gründungstages des Vereins für Briefmarkenkunde zu Hamburg von 1885“ sollte für ein paar Jahrzehnte DAS Stempelwerk für das Gebiet „Hamburg“ bleiben.

Im gleichen Jahr, 1935, wurde dann die Sammlung dem Hamburger Senat, genauer, dem Museum für Hamburgische Geschichte, übereignet („um diese Sammlung vor unbefugtem Zugriff zu retten“, wie es hieß).

Den Verantwortlichen im Hamburger Verein schwante aber, dass der Sammlung vielleicht das Schicksal so vieler anderer Sammlungen bevorstehen könnte, nämlich nur im Archiv des Museums ihr Dasein zu fristen, und hatten sich daher – unter Federführung von Richard Renner – vertraglich zusichern lassen, dass die Sammlung in regelmäßigen Abständen (3x im Jahr!) im Museum dem Publikum gezeigt werden müsse. Was wohl zunächst auch geschah, dann aber – nach dem 2.Weltkrieg -, verschiedenen Umständen geschuldet, nicht mehr möglich war. Um es kurz zu machen, die Sammlung wurde nach „einigen Jahrzehnten zäher Verhandlungen“ aus dem Museum zurückgeholt und befindet sich seit 2005 wieder in der Obhut des Vereins.

Es ist jetzt an der Zeit, dass ich Ihnen Herrn Dr. Ernst Meyer-Margreth vorstelle.

Sie werden den Namen sicher schon einmal gehört haben, vermutlich in Zusammenhang mit philatelistischer Literatur.

Er tritt im Vereinsleben erst nach dem Ende des 2.Weltkrieges in Erscheinung. Geboren 1897, finden wir seinen Namen von 1946-48 im Vorstand des Hamburger Richtervereins und als Vorsitzenden des Hamburger Vereins für Briefmarkenkunde bis 1950.

Dr. Meyer-Margreth war wohl ein eigenwilliger Mensch. Als Oberstaatsanwalt legte er Wert auf seinen Titel, war aber durchaus zugänglich, wenn es Fragen zur Hamburg-Philatelie betraf. Er wohnte in einer großen Altbauwohnung an der Alster, am Schwanenwik, in der ein Zimmer seinem zweiten Hobby, dem Bauen mit Betonbausteinen, vorbehalten war. Sie müssen sich eine ca. 100qm große Zimmerfläche mit bestem Alsterblick vorstellen, in dem sich u.a. die Akropolis und das Kolosseum in einem recht ungewöhnlich großen Maßstab befanden. Zeitzeugen, die ich befragt habe, waren jedenfalls sehr beeindruckt.

Was ebenfalls im kollektiven Gedächtnis früher Vereinssitzungen hängen blieb, ist eine Episode, als er vom Wirt des Vereinslokals verwiesen wurde, weil er sich Butterbrote mitgebracht hatte und dazu nur einen Malventee bestellen wollte.

 

Fotos von „MM“ aus seiner Zeit als Oberstaatsanwalt zu finden, ist schwierig. In seiner beruflichen Funktion hatte er oft mit den ganz „schweren Fällen“ zu tun, und er war dementsprechend wohl auch kamerascheu. Dieses Foto zeigt ihn als schon gebrechlichen alten Herren; es wurde anlässlich seines 85.Geburtstags aufgenommen.

Die Postgeschichte von Hamburg aber war sein größtes Thema, und er war eine „Instanz“, die von Sammlern und Berufsphilatelisten gern in Anspruch genommen wurde, wenn es um die Klärung von Fragen zu Hamburger Poststempeln oder postgeschichtlichen Zusammenhängen ging.

Im Jahre 1965 erschien sein „Opus Magnum“: „Die Poststempel von Hamburg/von der Mitte des achtzehnten bis gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts“. Auf Kunstdruckpapier gedruckt, war dies natürlich von ganz anderer Qualität als die 1935 erschienene „Festschrift“. Neu war auch, dass jetzt Stempelabbildungen und Beschreibungen auf einer Seite nebeneinander lagen.

 

„Der Meyer-Margreth“ – das war– und ich möchte sagen, ist auch heute noch – die „Bibel“ für Hamburg-Sammler, es erschienen zudem noch einige Ergänzungen über neue Stempel, ergänzende Daten usw. Ein Werk, das sicher auch einen Preis verdient gehabt hätte.

Seine Hamburg-Sammlung vermachte später „MM“ dem Hamburger Verein, so dass derzeit zwei Sammlungen existieren. Diese komplett zusammenzuführen und ggf. zu digitalisieren, dürfte eine Aufgabe für die Zukunft sein. Einzelne interessante Belege werden in unregelmäßigen Abständen auf den Vereinssitzungen vorgestellt.

Was die Stempelwerke anbelangt, sei angemerkt, dass die ARGE Schleswig-Holstein im Jahre 2004 das „Handbuch der Poststempel von Hamburg“ neu herausgebracht hat. Dies ist das immer noch aktuelle Werk; es hat den Vorteil, dass die Stempel mit einer Bewertung versehen sind. „Nobody is perfect“, es sind auch hierzu Ergänzungen erschienen, und irgendwann wird es dann wieder Zeit für eine Neuauflage…

So, nun sind sie nicht zu einem Philatelistentag gekommen, um nur ein paar Bilder von verdienten Altvorderen anzusehen.

Jetzt gibt es „Butter bei die Fische“, wie man hier im Norden sagt. Ich möchte Ihnen aus den Vereinssammlungen einige wenige Belege vorstellen, die meiner Meinung das Prädikat „ungewöhnlich“ verdienen. Selten sind sie allemal.

Also begleiten Sie mich auf eine kleine Zeitreise:

Ich beginne mit zwei Briefen aus den Jahren 1755 und 1776. DE HAMBURG – dies sind mit die frühesten Stempel, die in Hamburg verwendet wurden, und zwar im Transitverkehr nach Dänemark. Zunächst mit Rahmen, etwa 10 Jahre später dann ohne Rahmen. Insbesondere die erste Type ist sehr selten, mir sind nur 3 Briefe bekannt.

 

Experten sind sich nicht einig, ob diese Stempel im Thurn & Taxis`schen (Reichs-)Postamt oder im dänischen Postamt verwendet wurden. Vergleichbar dem in Altona verwendetem dänischen Stempel „De Altona“ scheint mir eine Zuordnung zur dänischen Post plausibler, zumal für Thurn & Taxis Hamburg ja der Endpunkt war und die Anbringung eines Herkunftsstempels keinen rechten Sinn ergäbe. In den einschlägigen Stempelwerken (ARGE Schlesw.-Holstein, Feuser) wird er mal hier, mal dort gelistet.

30 Jahre später, im Jahre 1797, nimmt die Hamburger Fußpost ihren Betrieb auf. Von Hamburger Kaufleuten initiiert und organisiert, ist diese Fußpost nur in der Stadt und in den Vororten tätig.

 

Sie sehen hier die ersten Stempel, die die Fußpost verwendete. Nur im ersten Jahr war die Stempelfarbe schwarz, ab 1798 kommt dann die rote Farbe. Der schwarze Stempel ist enorm selten, ich kenne nur diesen Brief. Sehen Sie, wie „künstlerisch wertvoll“ die beiden Buchstaben „F“ und „P“ angeordnet sind? Das trifft natürlich auch auf die zweite Type zu. Bedeutet das nun „Fußpost“ oder „Portofrei“?

Die Fußpoststempel waren bis etwa 1835 in Gebrauch, und die Hamburger Fußpost musste auch nicht während der Franzosenzeit ihren Betrieb einstellen. Man darf sich also einmal fragen, warum diese frühen Stempel so selten sind.

Es gibt dafür meiner Meinung nach zwei entscheidende Gründe.

Zum einen: die Fußpost beförderte keine Post aus Hamburg hinaus, sondern war ein Kurierdienst innerhalb der Hamburger Stadtmauern inklusive der Vorstadt. Nachrichten recht trivialer Art wurden in der Regel auch nicht aufgehoben.

Zum anderen haben in Hamburg keine bedeutende Archive das große Feuer von 1842 (mit der Zerstörung von größten Teilen der Hamburger Innenstadt) und die beiden Weltkriege des 20.Jahrhunderts überlebt.

Als die Hamburger Fußpost im Jahre 1835 in die staatliche Hamburger Stadtpost überging, stieg auch das Postaufkommen gewaltig an und es kamen andere Stempel in Gebrauch.

Ein prägendes Kapitel für die Hamburger Postgeschichte ist die Franzosenzeit. Sie beginnt mit der Einrichtung des Großherzoglich Bergischen Postamtes im November 1806, über die Übernahme durch die französische Postverwaltung im August 1808 und endet im Mai des Jahres 1814.

Geradezu „furchterregend“ ist die Zahl der verwendeten Stempel. Allein fast 50 Stempel verzeichnen die Stempelkataloge während der Zeit des Bergischen Postamtes, also innerhalb von knapp zwei Jahren. Viele davon sind große Raritäten.

 Sehen Sie diesen Stempel. Abgesehen davon, dass hier der Stempelsetzer mit den Buchstaben etwas „in Tüddel“ gekommen ist (HAMBORUG – in korrekter Schreibweise ist der Stempel nicht bekannt), kenne ich nur diesen einen Abschlag. Er dient als Abbildung in allen Stempelwerken (von MM über Arge bis Feuser).

Es gibt eine Vielzahl von Transitstempeln aus der Zeit des Bergischen Postamtes. Während die Post nach und aus Dänemark noch relativ häufig vertreten ist, findet man andere „Destinationen“ deutlich weniger.

 

Auch dieser rote „Prusse par …“ Stempel diente als Vorlage in allen Stempelwerken, vielleicht ebenfalls ein Unikat (?).

Als im Jahre 1808 die Post in französische Verwaltung überging, war die neue Postverwaltung auch nicht „knickrig“, was die Zahl der verwendeten Stempel anbelangt: Ebenfalls gut 50 verschiedene Stempel notieren die Stempelwerke, Verwendungszeitraum allerdings etwa 6 Jahre. Nur kursorisch hier ein paar Beispiele:

 

Der Bürgermeister besaß das Privileg der Portofreiheit; hier ein Brief in Amtsgeschäften nach Fehmarn.

 

Ein besonders schöner Abschlag des „Port Payé“-Stempels. Hier habe ich einmal einen Brief aus einer französischen Weinkorrespondenz ausgewählt. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Bemerkung von Walter Kindermann (er war Kurator der „Hamburg“-Sammlung) aus dem Jahre 1959. Er rief immer wieder einmal die Vereinsmitglieder dazu auf, Brief- und Stempelmaterial für die Vereinssammlung zur Verfügung zu stellen. „Ergänzungsbedürftig sind besonders … Die Frühzeit, die bis 1935 noch fast unbekannt war … [u.a.] das Bergische Postwesen…“.

Die Firma Schröder & Schuyler, die Sie hier als Adresse sehen, wurde im Jahre 1739 in Hamburg gegründet, siedelte dann später nach Bordeaux über und existiert noch heute. Meine Frau und ich haben die Firma im Jahre 2017 besucht, die Firmenadresse ist seit 1739 unverändert (und auch das Firmengebäude …)

Der jetzige Chef, Yann Schyler, bemerkte zu mir, das Unternehmen habe im 2.Weltkrieg Besuch von der Deutschen Wehrmacht gehabt, und danach war das Firmenarchiv nicht mehr ganz so wie vorher, etwa 400 Briefe seien aber noch vorhanden.

Man darf durchaus einmal gewisse Hochrechnungen anstellen…

 

Ein Brief von Lübeck (Papiersiegel!) nach Bergedorf. Bergedorf war natürlich zu der Zeit noch längst kein Vorort, und die Sache mit dem beiderstädtischen Postamt (Hamburg/Lübeck) kam auch erst viel später.

Am 18.März 1813 besetzten die Russen für zwei Monate die Stadt. Die Kosaken unter dem Kommando von Tettenborn wurden begeistert empfangen, und die Hamburger meinten, dass nun die bedrückende Franzosenzeit vorbei sei. (Das war nicht so, die Kosaken benahmen sich teilweise ziemlich unmöglich und als Tettenborn nach zwei Monaten die Stadt wieder verlassen musste, transportierte man sein „persönliches Gepäck“ in 94 Kutschen ab, bei einer soll die Achse gebrochen sein vom Gewicht der Silber- und Goldbarren).

In der Verwaltung muss auch ein ziemliches Chaos geherrscht haben, lapidar heißt es in Bezug auf unsere postgeschichtlichen Untersuchungen: „Infolge der kriegerischen Ereignisse waren einige Poststempel in Verlust geraten…“

Allerdings gibt es eine Ausnahme:

 

Herkunft und Bedeutung dieses Stempels scheinen auch bei den Experten nicht klar gewesen zu sein. Dr.Meyer-Margreth vermerkt „…der Einzeiler, der wahrscheinlich preußischer Herkunft ist“. Im französischen Werk von Dr.Heinsen und Leralle über die Hamburger Stempel während der Franzosenzeit aus dem Jahre 1957 lautet die Erklärung „.. un cachet énimatique, qu`on croyait Russe, a servi au moment de la Révolte de Hambourg, et voici un photo“ (Also etwa „ein rätselhafter Stempel, den man für russischen Ursprungs hielt, war während der Revolution in Hamburg in Gebrauch, und hier ein Foto …“, und es folgt die Abbildung des Briefes, wie Sie ihn hier sehen.

Es ist ein Brief nach Bergedorf, rückseitig mit einem dekorativen Papiersiegel von Hamburg.

Und ganz offensichtlich wurde der Stempel auch im Transitverkehr benutzt:

 

Ein Brief aus Kopenhagen, auch hier eine bekannte Adresse: Firma Dürninger in Herrnhut. (Stichwort Herrnhuter Brüdergemeinde)

Es sind dies die beiden einzigen Abschläge, die mir bekannt sind.

Es gibt viel zu erzählen, über fremde Postämter in Hamburg, über Poststellen auf Helgoland, in Ritzebüttel, über die Hamburger Markenzeit. Ich möchte aber heute einmal bei den markenlosen Stücken bleiben und zum Schluss noch einen kleinen Rückgriff auf die Hamburger Stadtpost machen.

 

Dieser kleine ovale Stempel war von 1799 bis 1831, also über 30 Jahre in Gebrauch. Er ist aber – trotz dieser langen Verwendungszeit, selten. Er kommt m.W. nur auf Briefen aus Amerika vor, und die meisten Abschläge habe ich auf Briefen nach Herrnhut, an Firma Dürninger registriert. Also, wenn es die großen alten Firmenarchive nicht gegeben hätte, wäre es mit der Nachzeichnung der Hamburger Postgeschichte verdammt schwierig … Sie sehen hier sehr schön den Postlauf, die Übernahme durch den Stempel AMERICA T.T. (der übrigens auch schon eine kleine Rarität an sich darstellt) und viele Taxierungen, die mit einiger Kenntnis sicher zu entschlüsseln sind. Im Hintergrund die Originalseite aus der Vereinssammlung.

Nun folgt noch ein kleiner Sonntagsspaziergang: in die Hamburger Randgebiete. Jedenfalls waren es vor 175 Jahren solche, wie Sie gleich sehen werden.

In meinem Zeitstrahl geht es etwa 30 Jahre weiter, in die 1850er Jahre. Die Stadtpost war auch für die Vororte zuständig, und Sie werden hoffentlich einige dieser „Vororte“ besucht haben, wenn Sie ein wenig das Rahmenprogramm dieses Philatelistentages genossen haben.

 

Ein Brief – 1857 – im „Damenformat“ nach Zürich, an Siegmund Warburg. Vergessen Sie im Augenblick einmal, was Sie gerade mit dem Namen „Warburg“ assoziieren…, es ist eine der größten Privatbanken in Deutschland und eine der feinsten Adressen in Hamburg. Siegmund Warburg, geboren 1835, war im Jahre 1857 vielleicht auf einer Dienstreise in die Schweiz, er war bereits zum dem Zeitpunkt Generalbevollmächtigter der Warburg-Bank. „Social Philately“-Affine können sich hier austoben und die Handschrift vielleicht einer netten jungen Dame zuordnen, die in Alsterdorf, Borstel, Langenhorn oder Winterhude wohnte, feine Wohngegenden im Norden oder Nordosten, wo auch viele Hamburger Großbürger Sommer-Landsitze hatten. Die Post von dort ging nur zweimal wöchentlich, Briefe mit diesem Stempel sind große Seltenheiten.

Nun ein Sprung über die Elbe.

 

Wenn Sie ein wenig Sightseeing in Hamburg machen konnten, waren Sie auch an den Landungsbrücken. Zwischen den Landungsbrücken und Steinwerder wurde etwa 60 Jahre nach dem Entstehen dieses Stiches der (alte) Elbtunnel gebaut. Im Jahre 1850 ging es nur mit der Fähre über den Fluss, und die Fähre betrieb Herr Dede.

 

Dieses markante Haus haben Sie eben auf dem alten Stich sehen können. Herr Dede fertigte auch die Post ab und verwendete dazu diesen Stempel:

Auch dieser Stempel ist nur in wenigen Stücken erhalten geblieben, obwohl er ab 1854 bis 1868 in Gebrauch war, und die Post dreimal pro Tag in jede Richtung abging [N.B: im Doppelkreis sehen Sie unten die Zahl „2“ – die zweite Postbestellung des Tages]. Grund für die Seltenheit ist sicher, dass der Stempel nur auf den obersten Brief eines Postbündels abgeschlagen wurde.

Der Inhalt dieses Briefes ist etwas für Romantiker – und nebenbei bemerkt – vielleicht auch deshalb der Lieblingsbeleg unseres Vorsitzenden Dieter Stephan: Es handelt sich um einen Heiratsschein, den der Schiffszimmermann Franz Baumann in Lauenburg von seinem Geburtsort im Hannöverschen erbeten hatte.

Und noch einen weiteren Vorort möchte ich Ihnen vorstellen. Es geht um Hamm und Horn. Wenn Sie in den vergangenen Tagen die Ausstellung der Deutschen Philatelisten-Jugend, der JUNIORPOSTA in der Simeon-Gemeinde angesehen haben, dann waren Sie in Hamm. Nicht weit von hier, oder? Aber eben damals Vorort und die Post von dort erhielt diesen Stempel:

 

Hübsche „adelige“ Adresse, der Brief stammt aus dem Jahr 1857.

Schon vorher gab es in umgekehrter Richtung eine ganz besondere Postverbindung nach Hamm und Horn, die Expedition der Journaliere:

 

Die „Journaliere“ war ein Eilwagen, der in erster Linie der Personenbeförderung diente, der aber auch Post nach Hamm, Horn und Umgebung mitnahm. Dieser Brief aus dem Jahre 1852 kam aus Amsterdam und ist gerichtet an „Herrn Wichern im Rauhen Hause in Horn“.

Herrn Wichern muss ich nicht extra vorstellen, ich sage nur „Erfinder des Adventskranzes“, hier ist er auf dem Höchstwert der bundesrepublikanischen Wohlfahrtsserie aus dem Jahre 1949 zu sehen.

Ein wunderbarer Brief und der Stempel ebenfalls von größter Seltenheit.

So, last but not least, noch ein letzter Beleg (auch dieser ausnahmsweise nicht aus der Vereinssammlung) – ein, wie Sie gleich sehen werden, „notwendiger“ Rückgriff auf die Fußpost vom Beginn meines Vortrags:

 

Dieser Brief aus dem Jahre 1822 zeigt noch einmal den roten Fußpost-Stempel das verschlungene F/P, diesmal jedoch die letzte Type ohne Stundenangabe. Warum nun dieser Beleg zum Schluss?

Grund ist die Adresse: Er kam aus London und war gerichtet an einen Kapitän Jones in Hamburg; und weil das dann doch ein wenig zu ungenau war, hat der Postofficiant der Fußpost noch in seiner Handschrift hinzugefügt „Billwärder bei der Grünen Brücke“.

Billwärder war damals auch ein Vorort

Hier sehen Sie auch „Hammer Brook“ – von Hamm haben wir eben gesprochen. Luftlinie von hier etwa 6-8km, vor 200 Jahren aber eben doch ziemlich weit weg. Und die „Grüne Brücke“ ?

Dazu lernen Sie etwas „Hamburgisches“: die Brücken über die Bille , dem zweitlängsten Fluß Hamburgs (noch 10 km länger als die Alster), haben alle „Farbnamen“, also schwarze, braune, gelbe, blaue, grüne Brücke, sie sind auch entsprechend ihrer Farben gestrichen. Es heißt, das sollte schon damals Arbeitern und Flußschiffern, die oftmals des Lesens unkundig waren, die Orientierung erleichtern.

Heute befindet sich direkt an der „Grünen Brücke“ ein philatelistischer „Hotspot“ Hamburgs – die Hamburger Philatelistische Bibliothek. Ich hoffe sehr, viele von Ihnen haben ihren Hamburg-Besuch mit einer Stippvisite dort verbunden.

Und weil mir gesagt wurde, ich dürfte über alles reden, nur nicht über 20 Minuten, beende ich an dieser Stelle meine kleine Rundreise. Die wenigen Belege, die ich hier aus der Vereinssammlung des Hamburger Vereins vorstellen konnte, regen ja vielleicht Ihren Appetit an, sich mit dem Thema etwas intensiver zu beschäftigen.

Vielen Dank für`s Zuhören!

 

 

 

 

 

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (30): Die „Gezähnten“ kommen!

Die „Postautomatisation“ macht auch vor Hamburg nicht halt: am 26.August 1864 erscheinen von fast allen Wertstufen gezähnte Versionen.

Das zunehmend höhere Postaufkommen erforderte ein schnelleres Abfertigen der Postsendungen, und die Perforation der Markenbögen erleichterte den Postbetrieb ungemein, auch wenn an das Publikum nach wie vor nur ganze Markenreihen (à 8 Stück) abgegeben werden sollten.

Mit Ausnahme der Wertstufen zu 1 1/4 und 2 1/2 Schilling kamen alle Werte ab dem 26.8.1864 an die Postschalter. Die beiden „Ausnahmen“ nehmen ja schon aufgrund ihres abweichenden Druckverfahrens (Steindruck statt Buchdruck) eine Sonderstellung ein; ich habe dazu ja schon an anderer Stelle ausführlich berichtet (Aspekte (5) – Der Beginn des Deutsch-Dänischen Krieges und die postalischen Auswirkungen). Nachfolgend nun ein Ausflug zu den anderen Wertstufen, ihren Besonderheiten und Verwendungen.

Die Wertstufe zu 1/2 Schilling.

 

Die 1/2 Schilling-Wertstufe wurde oft zur Ergänzung bzw. zum „Kombinieren“ gebraucht. Bei den Steindruckmarken hatte ich schon bei den Norwegen-Frankaturen (Aspekte Nr.5 – siehe oben) darauf hingewiesen. Hier kommen nun noch ein paar andere Beispiele:

„Krumme“ Portostufen kamen häufiger vor, wie auch schon an anderer Stelle erwähnt. Die oft zitierte „preussische Sparsamkeit“, nämlich bloß nicht zu viel zu frankieren, war sicher oftmals dem Bedürfnis untergeordnet, die Briefe so schnell wie möglich zu spedieren. Und wenn mal 1/4 oder 1/2 Schilling zu viel draufgeklebt werden musste, weil eben gerade nichts „Passendes“ zur Hand war, war dies von nachrangiger Bedeutung. Man kann aber generell sagen, dass alle diese Mischfrankaturen recht selten sind.

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (29): Eine interessante Abart – Das verkürzte zweite „l“ in „Schilling“

„Eine Sammlung wird durch Abarten erst schön!“ – titelte Wolfgang Jakubek in einem Artikel des Briefmarken-Spiegels aus dem Jahre 2002 . Er stellte in dem damaligen Beitrag den Plattenfehler „Basis des zweiten „l“ in „Schilling“ verkürzt“ auf der 3-Schilling-Marke gezähnt (Mi.Nr.15) vor.  Obwohl dieser Fehler schon seit weit über 100 Jahren (nämlich seit 1892) literaturbekannt war, hatte der Michel-Katalog bis zum Jahre 2003 keine Notiz davon genommen.

Damit Sie wissen, worum es geht, hier nachstehend einmal die Abart auf drei Einzelmarken:

Nachdem der Artikel im BMS erschienen war, gab es einige Rückmeldungen von Sammlern, die diesen Fehler in ihren Sammlungen gefunden hatten. Die Statistik von Herrn Jakubek, zu der Zeit (2002): 5 lose Stücke, ein Brief und ein Briefstück! Das dürfte also danach etwas aktualisierungsbedürftig gewesen sein. Natürlich ist der Plattenfehler keine „Massenware“… Anhand eines Oberrand-Bogenteils konnte ich die Position im Bogen feststellen, bei der dieser Fehler auftritt:

 

Das Suchen und Finden ging aber weiter: Der gleiche Plattenfehler kommt schon auf der ungezähnten Ausgabe vor – mit Hilfe der Verbandsprüferin, Frau Gertraud Lange, konnten wir ihn auf drei Briefen nachweisen. Einen davon zeige ich Ihnen hier:

Auf einem Brief aus der berühmten „Boker“-Sammlung nach Amsterdam findet sich der Fehler auf der linken Marke eines waagerechten Paares; damals, in den 1980er Jahren, wurde er noch unerkannt verkauft!

Frau Lange konnte weitere interessante Details beisteuern. In ihrem Archiv hatte sie den Fehler auch auf einem Probedruck-Bogenteil der 3 Schilling (Mi.Nr. P4 2 rot) nachgewiesen, auch hier auf dem bekannten Feld 7:

 

Und nun wird es „ganz verrückt“: Ebenfalls im Archiv von Frau Lange erscheint der Plattenfehler auf Feld 2:

Sie sehen, nach über 150 Jahren nach Erscheinen der ersten Hamburger Briefmarken gibt es immer noch Überraschungen! Vielleicht haben Sie, verehrter Leser, noch weitere Belegstücke zu diesem Thema? Über Ihre Zuschrift würde ich mich freuen!

Nachstehend hier der damalige Artikel von Wolfgang Jakubek aus dem Jahre 2002: