Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (19): Wie alles begann – Hamburg`s Start als „Markenland“

Wie Alles begann – die ersten Briefmarken in Hamburg

 „My dear Susel“ – so beginnt der Brief, den Henry Carew Hunt am 9.Juni 1840 in Hamburg an seine Frau in England schrieb. Der Kaufmann Mr. Hunt, der auch eine Niederlassung in Hamburg besaß, vertraute den Brief wohl dem Kapitän eines Schiffes an, das nach England ging, und dieser übergab ihn in London der Post, die den Brief dann an seine Empfängerin expedierte. Die neuen Postwertzeichen waren in England gerade einen Monat vorher „erfunden“ worden und die Briefgebühr von 1 Penny war natürlich ein ganz anderer Schnack als die sonst fälligen 1sh/6d., die normalerweise als Gebühr von Hamburg fällig gewesen wären.

„Hamburgs ältester Brief“ titelte die BILD, als ich das Stück vor ca. 15 Jahren versteigerte. Das stimmt natürlich nicht ganz, denn die frühesten Handelskorrespondenzen aus Hamburg datieren in das 16.Jahrhundert zurück, aber man sicher sagen, dass dieses Poststück der optimale Beginn einer Hamburg-Sammlung sein könnte, die das Thema „Postwertzeichen“ zum Inhalt hat.

Ich kenne einige Briefe aus verschiedenen europäischen Ländern, die nach England liefen und mit einer „Penny Black“ frankiert sind, interessanterweise stammen sie alle aus dem Juni oder Juli 1840.

Im „London Philatelist“, dem Journal der Royal Philatelic Society in London, erschien im September 2018 ein Artikel, der die Verwendung des ersten Postwertzeichens der Welt auf Briefen aus fremden Ländern thematisierte. Patrick Maselis, der damalige Präsident der „Royal“, stellte einen Brief mit der Penny Black – aus Antwerpen kommend – vor und schrieb mir dazu, „dies sei der ultimative Beginn seiner Sammlung und logischerweise die „Seite 1“ seines Belgien-Exponates.

Der hamburgische Postbeamte hat im Jahre 1840 den oben gezeigten Brief natürlich nicht gesehen, aber die – praktische – Idee einer „Briefmarke“, also einer Quittung für eine zu erbringende Dienstleistung, sollte ihm bekannt gewesen sein, denn sehr viele europäische und überseeische Länder hatten ja in den 1840er und 1850er Jahren Postwertzeichen eingeführt, und die klebten auf vielen Briefen, die nach Hamburg kamen oder über Hamburg liefen. In Hamburg benutzten ja auch schon die „fremden“ Postämter von Hannover, Mecklenburg, Preußen und Thurn & Taxis Freimarken.

Und man darf doch gern die Frage stellen, warum es in Hamburg, dieser großen Handelsmetropole mit ihrer doch so oft zitierten weltoffenen Kaufmannschaft und der Drehscheibe für fast alle Post, die in Nord-Süd und West-Ost-Richtung lief, noch fast 20 Jahre dauerte, bis man auch hier von dieser großartigen Erfindung Gebrauch machte und selbst Briefmarken verausgabte!

In den Protokollen der Senatsdeputation, die im Hamburgischen Staatsarchiv verwahrt sind, findet sich die erste Erwähnung „zur Einführung von Briefmarken“ erst im November 1857, und es wurde im Jahre 1858 noch einige Male über das Für und Wider gestritten, ehe ein Beschluss dann endlich am 6.Dezember 1858 gefasst wurde.

Was passiert nun „vorher“, also bevor das fertige Produkt, die Briefmarke, an der Post erhältlich ist?

Am Beginn eines klassischen Briefmarkenexponats sollten Entwürfe und Probedrucke stehen. Das sagen nicht nur die Empfehlungen der Sammlerverbände und der Juroren – mit dem Blick auf „großes Gold“ für das Exponat -, das ist meiner Meinung nach auch völlig logisch, denn bevor ein solches Endprodukt wie die Briefmarke an die Postschalter zum Verkauf kommt, müssen Entwürfe gefertigt und den entsprechenden Dienststellen vorgelegt, müssen – politische – Entscheidungen getroffen werden, nicht zuletzt muss der Drucker Farbproben und Probedrucke vorlegen, bevor der zuständige Minister oder Senator das finale „Go“ gibt.

So ist das Prozedere auch heute noch und es war sicher auch so in Hamburg im Jahre 1858 – könnte man meinen.

Die Frage, der ich gern nachgehen möchte, lautet: Gab es in Hamburg Entwürfe und/oder Probedrucke für die ersten Freimarken?

Die Aktenlage dazu im Hamburger Staatsarchiv gibt dazu, wie ich gleich zeigen werde, keine endgültige Aufklärung. Gab es Anordnungen, Senatsbeschlüsse oder gar Entscheidungs-Findungs-Kommissionen oder „Arbeitskreise“?

Eine gute Fundstelle ist der Bericht der Post-Deputation an Syndikus Dr. Merck vom März 1858.[1] Der unterzeichnende Vorsitzende C. G. Hencke berichtet von seinen Korrespondenzen mit „London, Wien. Berlin und München“ und den dort gemachten Erfahrungen mit Freimarken. Kostenvoranschläge der Druckerei Meißner und des Graveurs Siegmund wären einzuholen, und dann kommt er auf die Gestaltung der Freimarken zu sprechen:

„Eine weitere Frage, die schon jetzt näher festgestellt werden kann, ist die Form, oder vielmehr das Aussehen (das Bild) der anzuschaffenden Freimarken. Wird es auch nicht sehr schwierig seyn, 7 verschiedenartige Farben für die Marken zu finden, so ist es doch nicht zweckmäßig die Farbe, wenn auch nicht allein, so doch als hauptsächliches Unterscheidungszeichen gelten zu lassen, da diese, namentlich bey Lampenlicht, leicht täuschen. So sind z.B. die dem Preussischen Schreiben anliegenden Marken zu 6 Pfennig und ein Silbergroschen bey Licht schwer zu unterscheiden. Ein weiteres Erkennungszeichen ist die Ziffer, wenn solche nur deutlich und in gehöriger Größe angebracht ist. Fast alle mir bekannten Freimarken, sowohl im In- und im Auslande, haben den Fehler, daß die Ziffer, die darauf angegeben, viel zu klein und daher undeutlich ist, mit alleiniger Ausnahme derer, der Thurn & Taxischen und Hannoverschen Verwaltung, von denen untenstehend ein Exemplar aufgeklebt ist. Dem Zwecke der Deutlichkeit ganz besonders entsprechend, und daher auch am besten als Muster für die Hamburgischen dienend, sind die Thurn & Taxischen (…)

Ich möchte vorschlagen, die Hamburgischen Marken den Thurn & Taxischen im Prinzip ähnlich , so anfertigen zu lassen, dass das, in guillochirter Manier angefertigte Hamburger Wappen, als Untergrund dient und die jedesmalige Ziffer wenigstens in derselben Größe, wie die auf den taxischen Marken gewissermaßen als Sargschild auf dieses Wappen gelegt würde. Zu dem Rande könnte dann, zu beiden Seiten das Wort: „Hamburg“ , oben „Schilling“ und unten „Freimarke“, zu stehen kommen. Wird dann noch eine, von der auf den Taxischen Marken verschiedene, Randverzierung gewählt, so werden sich beide Sorten, selbst bei ganz gleicher Farbe, sehr leicht voneinander unterscheiden lassen. Auf die Hannoverschen Marken ist eine mehr [Künstelei] verwandt, und eben dadurch zeichnen sie sich weniger durch Deutlichkeit aus (…)“

Herr Hencke, der der Vorsitzende der Postverwaltungs-Deputation, also der Postdirektor war, beschreibt also die späteren Hamburger Briefmarken ganz genau, und wenn Ihnen der Name bekannt vorkommt: C.G.Hencke ist als Entwerfer der ersten Briefmarken Hamburgs in allen Katalogen genannt. Aber in dem ganzen Bericht, der über viele Seiten geht und den Sie auszugsweise oben lesen, findet sich keinerlei Erwähnung von Entwürfen oder Proben oder gar Mustern von Briefmarken.

Im Jahre 1935 erschien eine Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für Briefmarkenkunde Hamburg [2]. Darin berichtet Richard Weißenburg in seinem Beitrag „Die Hamburgischen Briefmarken 1859-1867“ von seinen „viermonatigen“ Studien im Hamburger Staatsarchiv, bezüglich der Einführung von Freimarken. Er schreibt: „Es haben der Deputation auch mehrere Proben vorgelegen, doch konnte ich in den Akten keine mehr finden; auch in der mir vorgelegten Staats-Freimarkensammlung, die im Staatsarchiv verwahrt wird, sind die Proben nicht vorhanden.“  

Eventuelle Proben waren also schon 1935 nicht mehr vorhanden, aber Richard Weißenburg haben offensichtlich Akten vorgelegen, in denen von „Proben für die Deputation“ die Rede war. Die Staats-Freimarkensammlung existiert heute nicht mehr, ebenso sind einige Akten, die Weißenburg erwähnt, nicht mehr im Staatsarchiv zu finden. Im 2.Weltkrieg wurden Teile des Archives vernichtet, vielleicht waren diese Akten bzw. auch die Sammlung darunter.

Von jetzt ab dauerte es nur noch ein Dreivierteljahr, bis die ersten Briefmarken an die Postschalter kamen.

Hin und wieder werden Probedrucke von Hamburg angeboten, von denen ich Ihnen einige vorstellen möchte:

Ich glaube nicht, dass es sich hier um Probedrucke handelt, die VOR Erscheinen der Briefmarken gefertigt wurden. Die Wertstufe zu 2 ½ Schilling wurde erst 1864 – nach Übernahme der dänischen Post – gebraucht, der gezeigte Probedruck gibt sogar die neue, erst 1867 erschienene 2 ½ Schilling-Marke wieder.

Die 4- und 9-Schilling-Werte sind auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt und ich könnte mir vorstellen, dass diese mit der Entstehungsgeschichte der ersten Hamburger Markenserie in Zusammenhang stehen, vielleicht sind es sogar solche, die in den – Richard Weißenburg im Jahre 1935 – vorgelegten Akten früher enthalten gewesen waren. In der Beschreibung eines 4 Schilling-Wertes aus der „Sellschopp“-Sammlung, die im Jahre 1997 bei der Firma Köhler versteigert wurde, las ich: „zur Vorlage beim Senat“ –  eine Quelle dafür konnte ich nicht finden.

Auch das Kohl-Handbuch [3] schreibt, dass „…Farbproben auf WZ-Papier…existieren, so dass sie offenbar schon 1858 für die erste ungezähnte Ausgabe angefertigt wurden…“. Ich weiß nicht, auf Grund welcher Erkenntnisse Dr.Munck das Jahr „1858“ genannt hat, auch sind die oben gezeigten Farbproben auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt.

3 Schilling blau Randstück – nicht zu verwechseln mit der Nr. 15U, die ja eigentlich die gezähnte 3 Schilling ist und ungezähnte Stücke aus unfertigen Restbeständen stammen (anderes Blau, Druck weniger klar) – mit Wasserzeichen! –

Die Farbproben des 7-Schilling-Wertes wurden auf Papier mit Wasserzeichen gedruckt. Die bräunlichen Farben ähneln verdächtig der späteren 7-Schilling-Marke (Mi.No.19), die ja erst im Jahre 1865 erschien. 1859 war der 7-Schilling-Wert ja noch orange…

Es gibt in der mir zur Verfügung stehenden Literatur und auch nicht in den Akten des Hamburger Staatsarchivs Anhaltspunkte, die diese oder irgendwelche anderen Proben auf die Zeit vor dem 1.Januar 1859, dem Erscheinungstag der ersten Briefmarken, datieren.

Auch der gängige (Michel-) Katalog gibt zum Produktionsjahr der Probedrucke keine Auskunft. Ebenso finden sich im Werk von Peter U.Theuss, der „Bibel“ für alle Entwürfe, Proben und Essais der altdeutschen Staaten, keine Hinweise auf das Jahr der Herstellung. [4]

Ich besitze einen der frühesten Briefmarkenkataloge überhaupt. Er erschien – bereits in 5.Auflage (!) – im Jahre 1864, der Herausgeber war Mount Brown [5]. Unter „Hamburg“ werden bereits „proofs“ gelistet; einige der Farben sind oben abgebildet.

Fassen wir zusammen: Es gibt keine gesicherten Anhaltspunkte, dass es von Hamburger Briefmarken Probedrucke oder Entwürfe gibt, die vor Erscheinen der Marken am 1.1.1859 produziert wurden. „Zeitgenössisch“, d.h. während der Zeit Hamburgs als eigenes Markenland, sind die gezeigten Probedrucke bzw. Farbproben aber allemal.

Die „Postverwaltungs-Deputation“ machte dann dem Publikum am 27.Dezember 1858 – also 4 Tage vor dem „Start“ – die Einführung von Freimarken beim Stadt-Postamte zum 1.Januar 1859 bekannt. Zu dem Zeitpunkt konnte man in England seine Post schon fast 20 Jahre lange mit Briefmarken frankieren!

 

[

[1] Staatsarchiv Hamburg. Extractus Protocolli Senatus Hamburgensis. Einführung von Briefmarken. Sign. 111-1_1124

[2] Hamburg, seine Postgeschichte, Postwertzeichen und Poststempel. Festschrift zur Erinnerung an die 50jährige Wiederkehr des Gründungstages des Vereins für Briefmarkenkunde zu Hamburg von 1885. Hamburg. 1935.

[3] Dr.H. Munck.KOHL-Briefmarken-Handbuch. 11.Aufl. Band IV, S.407

[4] Peter U.Theuss. Postwertzeichen und Ganzsachen. Entwürfe, Essais, Probe und Sonderdrucke Deutschland (Bd. II). Toronto. 1996.

[5] Catalogue of British, Colonial and Foreign Postage Stamps by Mount Brown. Fifth Edition. London. 1864

 

Aspekte zur Hamburger Postgeschichte (18) – Das Cholerajahr 1831

Desinfizierte Post

Ein sehr interessantes Thema ist die Behandlung der Post in Zeiten von Seuchen. Man ging früher davon aus, dass durch das Übergeben („von Hand zu Hand“) von Briefen oder Paketen möglicherweise auch Krankheiten übertragen werden konnten und ersann daher verschiedene Möglichkeiten, Briefe und andere Postsachen zu desinfizieren. Das geschah insbesondere durch Eintauchen in Essigwasser oder durch Räuchern von Poststücken in speziellen Räucherkammern. Hierfür wurden die Briefe oftmals vorher mit Messern geschlitzt oder mit Nadeln durchstoßen, so dass der Rauch die Briefschaften sozusagen „durchströmen“ konnte.

Den Nachweis einer Desinfektion ist bei frühen Briefen nicht immer sicher zu erbringen; oftmals sind bräunliche Verfärbungen im Briefpapier, die von der Reinigung mit Essigwasser herrühren und die dann meist gehäuft in bestimmten Jahren zu finden sind , die einzigen Zeugnisse. Erst ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts wurde dann vielfach durch einen entsprechenden Stempel auf der Briefschaft die Prozedur der Desinfektion dokumentiert. Aus Hamburg kennen wir die Cuxhavener Quarantäne-Stempel, von denen ich einige schon in einem vorherigen Beitrag gezeigt habe. (www.schwanke-philatelie.de/2021/04/aspekte-zur-hamburger-postgeschichte-14-das-amt-ritzebuettel/)

Die Cuxhavener Quarantäne-Stempel sind fast immer auf Post zu finden, die von – meist – überseeischen Gebieten nach Hamburg hereinkam. Ich habe einen Brief gefunden, bei dem dieser Stempel auf ausgehender Post zu sehen ist:

Dieser Brief kam aus Bremen und wurde vermutlich über die hannoversche Postroute nach Ritzebüttel/Cuxhaven befördert und dort als ausgehende Post vom Amtmann Hartung „behandelt“. Bei der Ankunft in England hat man ihn dann noch ein zweites Mal desinfiziert, mittels Räucherschlitzen und wohl auch Essigwasser, und zwar in Queensborough.

Findet man Desinfektionsstempel auf Post aus z.B. dem Mittelmeerraum relativ häufig, so sind solche aus nordischen oder norddeutschen Ländern eher selten zu finden. Im Sommer des Jahres 1831 brach in Russland die Cholera aus und verbreitete sich rasch über den baltischen Raum nach Westen. Hamburg war stark betroffen.

Sie sehen die kleinen Löcher im Briefpapier – das sind Zeugnisse einer Desinfektion, die vermutlich in Greifswald oder Stralsund vorgenommen wurde. In dem vorzüglichen Werk von K.F. Meyer „Desinfected Mail“ wird dieser Brief beschrieben. [1] Es kommt – wie so oft – auf den Inhalt an:

Anordnung vom 17.Oktober 1831 „Choleraausbruch in Hamburg“. Auf der zweiten Seite die Auflistung der Städte, die betroffen sind, mithin also die gesamte Ostsee-Küste. Die kleinen Durchlochungen („Rastellöcher“) im Briefpapier sind gut zu sehen.

Dieser Brief aus Schweden nach Amiens wurde über das K.S.&N.P.C. (=Königlich Schwedisches & Norwegisches Postcontor) in Hamburg abgefertigt und lief über das preußische Postamt nach Frankreich (CPR4 = Correspondance Prusse 4.Rayon), wo er beim Grenzübertritt geschlitzt und geräuchert wurde. Dies ist insofern ungewöhnlich, als Post aus Skandinavien während der Cholera-Epidemie möglichst unter Umgehung Hamburgs nach Süden geleitet wurde.

Mecklenburg war sehr vorsichtig. Ein Brief aus dem hannoverschen Stade über Hamburg nach Mecklenburg. In Hamburg dem mecklenburgischen Postamt übergeben (Zweizeiler Hamburg/31.12.1831), adressiert nach „Golchen bei Brühl“. Der Brief wurde an der Grenze desinfiziert – Rastellöcher und der kleine Kreisstempel SAN.ST. mit dem Büffelkopf. Dieser Stempel ist sehr selten, ich kenne außer diesem Brief nur einen weiteren, der in den Büchern von K.F.Meyer und C. Ravasini abgebildet ist. Dazu heißt es dort: „…cholera was very much feared and the letters were destroyed.“ [2]

Aber nicht nur im Norden war man in Bezug auf die Cholera in Hamburg auf dem „Quivive“. Post aus Hamburg wurde eben auch an anderen Stellen „behandelt“. Hier kann ich einen Paketbegleitbrief zeigen, der vom hannoverschen Postamt in Hamburg abgefertigt wurde und nach Braunschweig ging:

Post nach Frankreich wurde  in Hamburg vom Thurn & Taxis`schen Postamt abgefertigt. Die Behandlung gegen die Seuche fand aber meines Wissens nicht in Hamburg statt, sondern erst nach dem Grenzübergang; jedenfalls ist in der mir zugänglichen Literatur kein Hinweis zu finden, dass sich in Hamburg (mit Ausnahme der Cuxhavener Quarantäne-Station) eine  „Contumaz“- oder Seuchenstation befand.

Interessant ist der Inhalt, den ich als Auszug wiedergebe:

„Die Cholera Krankheitsfälle steigen leider; von gestern bis heute, erkrankt 40, gestorben 12, genesen 6. In Summe jetzt: erkrankt 302, gestorben 133, genesen 17, bleibt Bestand 152. Man wird aber immer ruhiger, denn auch hier beurkundet es sich, dass bei vorsichtiger Lebensweise nicht viel zu fürchten, und bei gleich ärztlicher Hülfe, beim ersten Anfange, Rettung gewiß ist. Die bis jetzt Gestorbenen sind entweder solche, die prädisponiert waren, oder solche, die nach begangenen Diätfehler oder Erkältung zu spät Hülfe nachsuchten. Dergleichen leichtsinnige Leute giebt es in einer großen Stadt viele, und es ist daher kein Wunder, wenn Viele ergriffen wurden.“ 

Ebenfalls nach Bordeaux lief der folgende Brief

Auch hier beziehen sich Teile des Inhalts auf die Cholera:

„In Geschäften Stille, die Cholera ist hier seit mehreren Tagen sehr im Abnehmen wie aus anl. Bericht zu ersehen belieben. Wären nicht noch manche Störungen durch Absperrungen, man würde von der Krankheit nicht mehr reden, da überall nicht mehr darauf reflektiert wird.“

Es bleibt zu erforschen, warum der erste Brief nach Bordeaux Räucherschlitze aufweist, die beiden anderen jedoch „gerastelt“ wurden.

Ende Januar 1832 war in Hamburg die Cholera-Epidemie vorbei, dennoch wurde dieser Brief sogar zweimal desinfiziert – in Frankfurt a./M. und beim Grenzübertritt nach Frankreich (Rastellöcher für die „Durchräucherung“). Der Ovalstempel „Gereinigt in Frankfurt a./M.“ ist recht selten, dies hier ist, soweit mir bekannt ist, der späteste Abschlag.

In Hamburg selbst erschienen Extra-Ausgaben der Hamburgisch-Altonaischen Nachrichten zur Cholera-Epidemie, hier zwei Beispiele:

Neben den statistischen Zahlen findet man in den Innenteilen der Zeitungen auch Ratschläge, wie man sich verhalten solle. Formulierungen und „erhobene Zeigefinger“ ähneln sehr denen, die wir  heute – noch unter dem Eindruck der Corona-Jahre 2020-2022 –  meinen, doch alle schon einmal gehört zu haben…

 

[1] K.F.Meyer. Desinfected Mail, Kansas/USA, 1962. S.289

[2] Carlo Ravasini. Documenti Sanitari, Turin, o.J. S.342

Frank Arthur Bellamy und seine Philatelistische Bibliothek

F.A.Bellamy – für „Bibliophile“ unter den Philatelisten hat dieser Name einen besonderen Klang. Sein Ex-Libris hat als Pedigree für Bücherfreunde die gleiche Wertigkeit wie eine Signatur z.B. von Ferrary auf einer Briefmarke sie für Philatelisten hat.  Abhishek Bhuwalka aus Mumbai, der eine sehr schöne Webseite pflegt, hat jetzt unter seiner Rubrik „Blog on Philatelic Literature“ über F.A. Bellamy berichtet. Er war sofort einverstanden, als ich ihm vorschlug, diesen Artikel auch in meinem „Bulletin“ zu veröffentlichen, mit einer deutschen Übersetzung. Viel Spaß!

Frank Arthur Bellamy war einer der größten Sammler aller Zeiten von philatelistischer Literatur. Nachdem die Bibliothek des Earl of Crawford dem Britischen Museum vermacht worden war (heute in der British Library), galt die Bibliothek Bellamy `s als die größte der Welt, bis zu ihrem Verkauf im Jahre 1938.

Bellamy wurde in Oxford am 17.Oktober 1863 geboren, als siebtes und letztes Kind einer College Mitarbeiterin und eines Meister-Buchbinders (vielleicht einer der Gründe für seine Liebe zu Büchern). Er war ab 1881 im Radcliffe Observatorium beschäftigt und arbeitete dort 46 Jahre lang am „Astrographic Catalogue“, dem ersten internationalen Werk, das die Photographie zur Katalogisierung von Sternen beider Hemisphären nutzte.

Zusammen mit seiner Nichte, Ethel Bellamy, katalogisierte er etwa eine Million Sterne.

Bellamy wurde im Jahre 1896 zum Fellow der Royal Astronomical Society ernannt, seine Nichte Ethel folgte ihm darin im Jahre 1926.

Im Jahre 1931 wurde H.H. Plaskett zum neuen Direktor des Observatoriums ernannt; Bellamy konnte jedoch mit seinem neuen Vorgesetzten nicht auskommen, so dass er seinen Posten am 30.Januar 1936 aufgab. Er starb, vielleicht an gebrochenem Herzen, zwei Wochen später, am 15.Februar 1936.

Bellamy begann als Kind im Alter von 5 Jahren mit dem Briefmarkensammeln. Sein Augenmerk lag auf den Kuriermarken der Oxford und Cambridge Colleges, von denen er etwa 2500 Stück besaß. Dieser Bestand und einige andere Marken und philatelistische Stücke wurden von John Johnson von Ethel Bellamy erworben und sind heute Teil der weltberühmten „John Johnson collection of printed Ephemera“, die sich in der Bodleian Library befindet [der Hauptbibliothek der Universität Oxford und gleichzeitig eine der sechs Pflichtexemplarbibliotheken im Vereinigten Königreich, in denen jedes im Land gedruckte Werk hinterlegt werden muss].

Bellamy war der Autor von „Oxford and Cambridge College Messenger Postage Stamps, Cards, and Envelopes 1871-86“ (1921) sowie von „A Concise Register of the College Messenger Postage Stamps, Envelopes, and Cards used in the Universities of Oxford and Cambridge 1871-95, together with the stamps used by the Oxford Union Society 1859-85“ (1925). Zudem war er Co-Autor von „A History of the Philatelic Congress of Great Britain and a Précis of the Proceedings at the First Four Congresses held at Manchester, London, Birmingham, Margate in 1909, 1910, 1911, 1912“ (1914).

Bellamy` s bedeutendster Beitrag zur aktiven Philatelie war seine Mitgliedschaft und sein ehrenamtliches Engagement in der Oxford Philatelic Society (OPS). Am 13.Dezember 1890 fand im Boys` School Room in Gloucester Green ein Treffen statt, um über die Gründung „eines Briefmarken-Sammlervereins bzw. über eine Briefmarken-Sammler-Gesellschaft in Oxford“ zu diskutieren. Als Ergebnis wurde am 27.Januar 1891 „The Jubilee Philatelic Association“ gegründet, mit Bellamy als ehrenamtlicher Geschäftsführer und Schatzmeister. Diese Vereinigung verschmolz (oder besser, die ursprüngliche Vereinigung wurde umbenannt) zur Oxford Philatelic Society (OPS), und zwar am 22.März 1892. Bellamy blieb in seiner Funktion bis 1930 und noch einmal ab 1933 oder 1934.

Bellamy war ein „spröder“, oftmals starrköpfiger Mensch, aber penibel und hingebungsvoll in seinen Ämtern und Ansichten.

So hatte er zum Beispiel im Jahre 1889 bei der Gründung der Photographischen Gesellschaft Oxford mitgewirkt, aber zog sich bereits 1892 aus prinzipiellen Gründen zurück; er lehnte es auch ab, der Nachfolgegesellschaft, dem „Oxford Camera Club“, beizutreten, statt dessen schloss er sich dem „Banbury Photographic Club“ an!

Die zeitliche Lücke von 3 oder 4 Jahren in seiner Tätigkeit in der Oxford Philatelic Society kam wie folgt zustande: Bei einem Treffen der OPS am 12.März 1929 wurde Bellamy` s Antrag auf Erhöhung des Jahresbeitrages mit 8 gegen 1 Stimmen abgelehnt. Seine sofortige Kündigung am gleichen Tag nahm er zurück und erklärte sich einverstanden, seine Funktion als Geschäftsführer und Schatzmeister bis zur nächsten jährlichen Hauptversammlung im Januar 1930 weiterzuführen. Als dann ein Captain Harley sein Nachfolger wurde, fanden keine weiteren Treffen bis zum 25.Juli 1933 statt. Bellamy kehrte zurück, um seine Ämter wieder aufzunehmen, entweder bei diesem Treffen oder dem nächsten, das am 13.Februar 1934 stattfand.

Bellamy` s Interesse an philatelistischer Literatur kann man wahrscheinlich auf die letzten zwei Jahrzehnte des 19.Jahrhundert zurückdatieren. Er war Juror für philatelistische Literatur auf der Londoner Philatelistischen Ausstellung 1897.

Um 1916 hatte er eine umfangreiche Bibliothek zusammengetragen. Einige Titel aus seiner Bibliothek halfen Edward D. Bacon bei der Erstellung des Crawford Kataloges.

Bereits um die Jahrhundertwende entschloss sich Bellamy, seine Sammlung der Universität von Oxford zu schenken. im Jahre 1916 führte er Vorgespräche mit der Universität, doch wurde er gebeten, bis zum Ende des Krieges zu warten. Im Jahre 1920 machte er ein formelles Angebot, das sechs Jahre später, im Jahre 1926, zurückgewiesen wurde. Die Universität wies das Angebot mit der Begründung zurück, „…dass die Philatelie kein Studienfach der Universität sei und dass die Sammlung, wie begehrenswert auch immer, Kosten für die Universität verursachen würde, die die Sammlung aufzunehmen nicht rechtfertigen würde.“

Bellamy war zutiefst gekränkt und schrieb zwei Briefe, von denen einer in der „Times“ vom 9.Juni und der andere, mehr ausführlichere, in der „Oxford Times“ vom 25.Juni 1926 erschien. In beiden Briefen legte Bellamy dar, dass er angeboten hatte, sämtliche Kosten, die aus seinem Geschenk erwachsen würden, jetzt und in Zukunft zu tragen. Lediglich der Platz würde benötigt werden, und davon gäbe es genug in verschiedenen Gebäuden der Universität; zudem, falls es später zu Engpässen kommen würde, könnten die Sachen immer noch verlagert oder vernichtet werden! Er hatte das Gefühl, dass die Leitung der Universität die Bedeutung von Postgeschichte nicht erkannt hatte.

Ungesagt blieb der stille Vorwurf, dass, wenn das Britische Museum die Schenkung vom Earl of Crawford annehmen konnte, warum konnte dann nicht die Universität von Oxford sein Geschenk annehmen, das von einer gleich hohen Qualität war?

Diese beiden Briefe wurden später als kleine Monographie gedruckt, unter dem Titel „Statements and Comments upon the Result of a Proffered Gift to the University of Oxford“ [Feststellungen und Kommentare zum Ergebnis eines angebotenen Geschenks an die Universität von Oxford]. Diese Monographie ist heute recht selten.

Kurz vor seinem Tod im Jahre 1936 stand Bellamy unter dem Eindruck, dass seine Sammlung ins Queen` s College (Cambridge) gehen würde. Queen` s hatte in der Tat Bereitschaft signalisiert, zog diese Zustimmung jedoch in Anbetracht der finanziellen Situation von Bellamy` s zwei Nichten zurück, die mit ihm lebten und die von ihm finanziell abhängig waren. Bellamy selbst starb mittellos.

 

 

Viele Quellen behaupten, dass Bellamy` s Bibliothek etwa 200.000 Titel umfasste. Dies ist falsch. In seinen Briefen erwähnt Bellamy, dass die Gesamtzahl seiner Sammlungsstücke einschließlich der Briefmarken über 200.000 betragen würde. Seine Bibliothek allein enthielt „über 75.000 Titel“ und würde 320 Fuß (ca. 100+ Meter) laufende Regalmeter belegen.

Die frühesten Titel datierten zurück bis etwa zum Jahre 1500; hierbei handelte es sich um postalische Verfügungen und Verordnungen; sowie Straßenkarten aus der Zeit, bevor die Eisenbahn fuhr. Ein handschriftliches Bibliotheksverzeichnis befindet sich in der John Johnson Sammlung.

Bellamy` s Bibliothek wurde im Jahre 1938 an Albert H. Harris verkauft. Das Gesamtgewicht betrug circa 10 Tonnen. Seitdem sind Bellamy` s Bücher, kenntlich an seinem Ex-Libris (ein schwarzer Gummistempel von 19mm Durchmesser)[siehe oben], in der ganzen Welt verstreut. In letzter Zeit kann man solche Stücke nur selten finden; vielleicht sind sie alle in bibliophilen Sammlungen verborgen.

Anmerkung: Dieser Artikel wurde erstmals am 21.Februar 2020 veröffentlicht, aber noch einmal gründlich am 12.März 2020 überarbeitet, nachdem der Autor ein Buch über die Geschichte der OPS erwerben konnte (es ist erhältlich von der Society). Viele neue Informationen kamen aus dieser Quelle.

Literaturverzeichnis:

  1. Hughes, A. M. Oxford Philatelic Society: A History. Oxford: Oxford Philatelic Society, 2016
  2. Birch, Brian J. Philatelic and Postal Bookplates. Montignac Toupinerie, France: The Author, 2018
  3. Birch, Brian J. The Philatelic Bibliophile’s Companion. Montignac Toupinerie, France: The Author, 2018
  4. https://en.wikipedia.org/wiki/Frank_Arthur_Bellamy
  5. ​https://cseligman.com/text/atlas/discoverers.htm#bellamy
  6. http://www.abps.org.uk/Home/Who_Was_Who/index.xalter#B
  7. https://www.bodleian.ox.ac.uk/__data/assets/pdf_file/0004/86044/catalogue-of-an-exhibition.pdf
  8. http://www.oxfordshireblueplaques.org.uk/plaques/bellamy.html
  9. https://oxfordphilatelicsociety.wordpress.com/2019/01/13/simon-reviews-our-new-season-to-jan-2019/
  10. http://www.stsepulchres.org.uk/burials/bellamy_frank.html

 

Soweit der Artikel von Abhishek Bhuwalka aus Mumbai, Indien. Sie können den Originaltext in englischer Sprache auch hier lesen.